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Kultur: Galerie Neu: Auf Demos gehen und schlaue Bücher lesen - Denksportaufgaben von Christian Flamm

Der Wunsch nach kommunikativem Austausch artikuliert sich bei Christian Flamm im "Wir müssen miteinander reden-Stereotyp": Er verhandelt das partizipatorische Element als hinreichende, aber nicht notwendige Bedingung des Kunstschaffens. Der Künstler ist Agent, nicht Animateur.

Der Wunsch nach kommunikativem Austausch artikuliert sich bei Christian Flamm im "Wir müssen miteinander reden-Stereotyp": Er verhandelt das partizipatorische Element als hinreichende, aber nicht notwendige Bedingung des Kunstschaffens. Der Künstler ist Agent, nicht Animateur. Er stellt Inhalte zur Diskussion und bleibt als Ideenlieferant im Hintergrund. Bei "German Open" in Wolfsburg veranstaltete Flamm eine Gruppenausstellung im Kleinformat, indem er Freunde einlud, ihre eigenen Kunstwerke auf eine Tür zu kleben. Das war nicht die übliche "der Künstler als Kurator"-Geste, sondern eine unprätentiöse Mitmach-Aktion, die um das soziale Umfeld weiß, aus dem heraus heutige Kunst entsteht.

Seine erste Ausstellung in der Galerie Neu bestreitet Flamm allein, und im Grunde sehen seine installativen, auf den Raum bezogenen Arbeiten gar nicht besonders kommunikativ aus. Auf dem Boden liegen bunte Computerausdrucke in Form stilisierter Fransenteppiche, an der Wand hängt ein Bilderfries aus Scherenschnitten in grau-weiß (Preise auf Anfrage). Die Andeutung einer Wohnsituation bleibt Andeutung. Trotzdem stellt die Installation ihren zeichenhaften Charakter offen zur Schau: Dinge, über die man reden könnte. Denn die elegante Geradlinigkeit der Inszenierung sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Flamm gezielt hochgradig aufgeladene Bilder wählt. Ein Polizeiwagen aus dem Demonstrationseinsatz steht neben einem Papageienpaar, eine lesende Frau neben geometrischen Abstraktionen wie aus einem "Tangram"-Legespiel. Doch Flamms Angebote aus der Welt der Repräsentation sind mehr als Denksportaufgaben im Zeichen der Geometrie. Vom Gestus her deskriptiv nüchtern gehalten, wissen diese Bilder um ihren überdeterminierten Gehalt und fordern die kritische Lektüre. Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Wo wird das Private politisch? Definiert der Kontext "Galerie" alltägliche Bilder neu?

Die Einladungskarte zur Ausstellung zeigt ein Foto von Terence Stamp aus einem Andy Warhol-Film. Auf der Fensterbank liegt wie zufällig ein Heft der Reihe "Tendenzen" über die Künstlergruppe "Salon de la Jeune Painture" von 1970. Das vereint Glamour und politisch überzeugten Realismus, getragen vom Geist der Sechziger. Die politische und sexuelle Revolution überlebt für die Nachwelt in grob gerastertem Schwarz-Weiß. Bei Flamm, Jahrgang 1974, läuft dieser reproduzierte Diskurs aus Warhols "Factory"-Glanz und radikalem Realismus als Subtext mit. Ein Hinweis darauf, dass die junge Kunst einem Impuls folgt, der von mehr motiviert ist als kunstimmanenten Fragen. Im Reich der Zeichen herrscht ein konstantes Neudefinieren von Sinn und Bedeutung. "Wir müssen miteinander reden" meint deshalb auch die stilsierte Wohnzimmeratmosphäre, das Auf-dem-Boden-sitzen, Bier trinken und endlos diskutieren. Jung sein und revolutionär sein wollen. Auf Demos gehen und schlaue Bücher lesen.

Christian Flamms unangestrengte Diskurskunst weiß um die Politizität der scheinbar trivialen Dinge. Sie zu lesen, heißt teilzunehmen am Verteilungskampf der Semiotik. Zeichen werden zitiert und neue Terrains erobert. So gesehen, wirkt die Reihe grau gehaltener Bilder wie ein Manifest aus sozialistisch angehauchten Kontexten ohne deren eindeutige Appellstruktur. Oder ist es doch nur ein künstlich hergestellter Kontext? Flamms Rauminstallation sagt genug, um bestimmte Inhalte abzurufen und andere zur Diskussion zu stellen. Sein Spiel mit der Addition und Subtraktion von Inhalten will nicht glatt aufgehen, sondern setzt auf die kalkulierte Restsumme. Die zu bestimmen, bleibt Aufgabe der anderen Mitspieler in diesem Spiel um Kunst und Kunst gewordenen Alltag.

Vanessa Müller

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