zum Hauptinhalt

Gallery Weekend Berlin: Viel Spaß am Spieß

Ivo Wessel ist kein Sammler. Er kauft nur jede Menge Kunst, von Via Lewandowsky zum Beispiel oder aus Kambodscha. Auch Kunst, die mit Hilfe von Apps entsteht, findet er interessant. Ein Besuch zum Gallery Weekend.

Leider sind wir nicht im Auto unterwegs. Das wäre es gewesen: Ein Ausflug im gelben Lotus zu den tollsten Galerien von Berlin. Im Gepäck ein „Gebrauchsbild“ der Künstlerin Karin Sander. Ivo Wessel fährt damit seit Jahren durch die Stadt, um noch ein bisschen mehr Patina auf die einst weiße Leinwand zu bringen, ganz wie von Sander geplant.

Aber heute geht der Sammler nicht auf Tour, etwas funktioniert mit dem Lotus nicht. Wir bleiben in seinem Büro, wo auch sogleich klar wird, dass Wessel sich antizyklisch verhält. Den langen Raum teilen sich wenige Künstler mit zahllosen Büchern; darunter auffallend viele Doubletten, die Wessel „als Sicherungskopien“ erwirbt. Darüber hinaus schafft er einen Ausgleich zwischen dem manchmal lächerlich geringen Preis für ein Buch – im Verhältnis zum Wert seines Inhalts. „Ich bin sehr belastbar, was Obsessionen angeht“, meint der Sammler über die Kunst, die ihn interessiert. Und vielleicht ein bisschen über sich selbst.

Aber auch Fotos, Videos und kleinere Installationen werden konzentriert gesammelt. Wen Wessel so hoch schätzt wie Via Lewandowsky, der kann in seiner Sammlung ruhig mit einem Dutzend Arbeiten vertreten sein. Auch wenn der Berliner Künstler mit seinen hintergründigen Konzeptarbeiten noch nie ein Kandidat für die Warteliste einer Galerie war. „Wenn ein Galerist auf mich zukommt und sagt: ’Ich habe da einen Tipp, der Künstler bekommt demnächst einen Preis und wird berühmt’, dann bin ich schon wieder zur Tür raus“, sagt Wessel. „Wenn man mir garantiert, dass ein Künstler erfolgreich wird, fange ich mit dem Sammeln erst gar nicht an. Dann kann ich mir seine Arbeiten in zwei Jahren ja schon nicht mehr leisten.“

Doch was erwirbt einer, der sich nicht am Erfolg eines Künstlers orientiert? Der zunehmend kritisch reagiert, weil viele Galerien seiner Ansicht nach „ein Sammlerprogramm“ abspulen, das sich mehr für den Markt als die Qualität einer Arbeit interessiert? Mit Vorliebe Verstörendes. So wie jüngst ein Video von Vandy Rattana. Für seine Serie „Bomb Ponds“ besuchte der kambodschanische Künstler Provinzen in seiner Heimat, die während des Vietnamkriegs von amerikanischen Bombern verwüstet wurden. Auf seinem Weg traf er auf Dorfbewohner, die ihn zu den den Kratern führten, die heute giftige Teiche sind, und ihm von ihren Erinnerungen an die Bombardements erzählten.

„Ich habe seit Jahren keine Arbeit mehr gesehen, die mich so berührt hat“, meint Wessel. „Wie kann man sich für andere Kunst interessieren, wenn es so etwas Irrsinniges gibt. Das Video war leider nicht ganz billig, aber ich musste es haben.“

„Labelstars“ sind also nicht sein Ding. Dass seine Sammlung immer mal wieder konform mit Namen geht, die gerade alle anderen auch faszinieren, liegt wohl an Wessels Gespür. Sven Johne zum Beispiel hat er früh für sich entdeckt, weil ihm der Umgang des Berliners mit Themen vertraut ist. Eine von Johnes Arbeiten im Büro des Softwareentwicklers zeigt immer wieder ein Motiv in sanfter Abwandlung: Fundstücke eines anonymen Fotografen, der tagtäglich ein Foto von derselben Landschaft gemacht hat. Den Künstler treibt, so scheint es, eine ähnliche Sympathie für das Obsessive.

Häufig ist Wessel einfach schneller. Das trifft besonders bei Themen zu, die seine Arbeit berühren. 2010 hat er „Eyeout“ programmiert. Eine App, die sämtliche Kunstausstellungen in Berlin auf das iPhone bringt. Man kann die Ausstellungen nach Eröffnungen sortieren. Oder nach ihrer Dauer, so dass auf den ersten Blick ersichtlich wird, in welche Galerien oder Museen man zuerst gehen muss, um möglichst wenig zu verpassen. Der ehemalige Galerist Jan Winkelmann pflegt die Inhalte der App, die Wessel naturgemäß „sehr vorteilhaft“ findet.

„Wir haben allerdings weniger als erwartet verkauft. Was auch daran liegt, dass viele Leute in der Kunstszene zwar ein iPhone haben, aber nicht wissen, wie man seine Funktionen nutzt.“ Für Künstler aber sei die App wie ein neues Material, prophezeit Wessel. Im Auftrag von Lewandowksy hat er bereits eine Anwendung programmiert, ebenso wie für Carsten Nicolai, dessen App eine Idee aus den sechziger Jahren aufgreift. „Sie erinnert an eine mind machine, an der man Frequenzen mit bestimmten Effekten einstellen kann. Man legt sich das Handy auf die Stirn, das funktioniert.“ Der portable Stimmungsschwinger, eine multiple Arbeit des Künstlers, sei vor allem in Japan beliebt.

Wir bleiben in Moabit. Überlegen, wohin man zum Gallery Weekend gehen sollte, und setzen uns dazu an einen Tisch mit Häkeldeckchen und künstlichen Blumen, der so gar nicht in das Ambiente passt. Weder zu den knallgelben Stühlen, die Wessel ebenfalls sammelt. Noch zu der sachlichen Küchenzeile, über der „Spaß am Spieß“ hängt. Eine Arbeit von Lewandowsky, mit Metallspitzen, an denen Daunenkissen stecken. Auch der Tisch ist eine Skulptur des Künstlers, genau wie Wessels Manschettenknöpfe in Form kleiner Uhren. Nicht zu vergessen die tote Fliege, die liebevoll unter Glas aufgebahrt ist. Oder der Haarschopf, der aus einer weißen Holzkiste lugt.

Trotz der vielen Kunst in seinen Räumen bleibt Wessel skeptisch. „Ob ich mich einen Sammler nennen soll, weiß ich nicht. Ich kaufe und ich interessiere mich für Kunst. Ich trage aber keine Sammlung zusammen wie manch anderer gerade in erschreckend kurzer Zeit mit erschreckend viel Kapitaleinsatz.“ Wo mehrere solcher Investment-Sammler zusammenkommen, ist Wessel lieber nicht. Die fragen nämlich bloß: „ Mensch Ingo, welche Sachen hast du?“ Und halten ihrerseits fotografische Großformate von Andreas Gursky oder Thomas Struth dagegen. „Das finde ich komisch. Man sollte doch auch die Kataloge zu den Ausstellungen haben und dort gewesen sein. Vor allem aber darf man sich nicht nur für die Stars interessieren.“

Er selbst kauft in den Galerien ebenso für 300 wie 5000 Euro – „das aber seltener“. Seine persönlichen „Sternstunden des Sammelns“ finden dort statt, wo man es nicht vermutet. Als Wessel vor Jahren eine Eröffnung seines Freundes Ottmar Hörl verpasste, schickte ihm der Künstler Bohrstaub aus der Ausstellung. Per Brief, darauf stand: Für Ivo. Eine Skulptur. „Sie fällt niemandem auf, ist für mich aber wertvoll. Der Künstler hat komprimiert, was ihn für mich als Bildhauer ausmacht.“

Und was ist nun mit dem Gallery Weekend? Welche Ausstellungen darf man in den nächsten Tagen keinesfalls verpassen? Ivo Wessel überlegt: „Vielleicht bleibe ich am Wochenende auf dem Bett liegen und lese. Bei meiner Art, Kunst zu sammeln, kann ich auch nächste Woche noch in Ruhe gucken.“

Zur Startseite