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Kultur: Galopp durch den Waschsalon

Steven Pippins "Erfindungen" in der Berliner Daad-GalerieVON ELFI KREISHaben Sie schon einmal mit Ihrer Waschmaschine fotografiert? Ein verfrühter Aprilscherz ist das nicht.

Steven Pippins "Erfindungen" in der Berliner Daad-GalerieVON ELFI KREISHaben Sie schon einmal mit Ihrer Waschmaschine fotografiert? Ein verfrühter Aprilscherz ist das nicht.Nicht für den englischen Künstler und Daad-Stipendiaten Steven Pippin.Sein Verfahren erscheint zunächst absurd.Aber hat das runde Bullauge der Waschmaschine nicht tatsächlich verblüffende Ähnlichkeit mit der Linse eines Kameraobjektivs? Im Prinzip kann jedes geschlossene und dunkle Gehäuse, das eine Öffnung für die Belichtung besitzt, als einfache Lochkamera dienen.Selbst eine Kloschüssel. Mit seinem Einfall, die Sanitäranlage eines Zuges auf der Fahrt zwischen seinem Wohnort London und Birmingham zum Atelier und Fotolabor umzufunktionieren, erregte Steven Pippin schlagartig Aufmerksamkeit.Die Toilettenschüssel war dabei zugleich Gegenstand der Aufnahme, Kamera und stiller Ort für alle Arbeitsschritte.Er bestückte das Becken mit Fotopapier, zum Belichten lüftete er kurz den Deckel, um anschließend die Schüssel weiter als Entwicklerbad zu nutzen.Technisch kein Problem, dank Wasserspülung sogar recht komfortabel. Eine nicht minder skurrile Konstruktion erfand Pippin für seine jüngste Fotoaktion in einem öffentlichen Waschsalon.Diesmal wurden die Trommeln mit den frischbelichteten Negativen über die Einfüllkammern für Waschpulver und Weichspüler mit den chemischen Lösungen beschickt.Pippin konnte im Schongang entwickeln, spülen, fixieren und trockenschleudern.Gleich eine Reihe von Waschmaschinen wurden zu Kameras.Daraus resultieren Abfolgen dunkler, kreisrunder Bilder, ausgelaugt und voller Kratzer.Mal mit, mal ohne Kleider flitzt der Künstler auf ihnen durch den Waschsalon.Stets aber zeigen ihn die Fotoserien in altertümlicher Unschärfe als seltsam substanzlose Erscheinung durch den Raum geisternd.Sie ähneln den frühesten fotografischen Bewegungsstudien Muybridges, der Pippin eine weitere Anregung lieferte.Muybridges hatte Hunde und Rennpferde fotografiert.Ein Windhundrennen im Waschsalon erschien dem Briten wohl zu einfach, ein Rennpferd mir Reiter mußte es sein.Und wenn die Bilder aus den Waschautomaten nicht lügen, gelang sogar das Kunststück, ein kurzes Stück zu galoppieren. Zu seiner Ausstellung in der Daad-Galerie erschien sein Künstlerbuch "Laundry - Locomotion".Als Autor nennt er sich "Mr.Pippin" - ein Künstlername, der nicht zufällig an den Komiker "Mr.Bean" erinnert.Hinter Pippins Arbeiten steckt mehr als purer Nonsens.Der 37jährige macht sich das unvoreingenommene Staunen der Kinder zu eigen.Er setzt die gebräuchlichen Spielregeln außer Kraft, meist mit zwerchfellerschütternden Folgen.Und zeigt, daß man sie ändern kann.Nur vermeintlich naiv stellt er auch mit seinen neuesten Maschinen eine Errungenschaft des technischen Fortschritts in Frage: das Fernsehen.Die Idee zu seinen mechanischen Modellobjekten kam ihm, als er monatelang regungslos vor dem Fernseher saß, wärend die bewegten Bilder aus allen Ecken der Welt durchs Wohnzimmer flimmerten.Er baute Modellobjekte, die dieses Verhältnis auf den Kopf stellen.Nun sind es die Fernsehmonitore, die wie Weltkugeln um die Achsen ihrer statischen Metallgerüste kreisen.Sie wiederum zeigen Videobilder eines rotierenden Globus.Pippins Modellobjekte parodieren die Weltsicht des homo teletechnicus, dem die Fernsehbilder der Erde wirklicher erscheinen als die Erde selbst.Und bei dem sich alles um die Glotze dreht. daad-Galerie, Kurfürstenstr.58, bis 3.Mai; Künstlerbuch 40 DM.

ELFI KREIS

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