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Kultur: Ganz Auge, ganz Hand

Adolph von Menzel und der Hof: Die Alte Nationalgalerie Berlin feiert den Maler zum 100. Todestag

Als Adolph von Menzel starb, ging selbst der Kaiser zu Fuß. Vier Tage nach dem Tod des greisen Malers fantasierte sich der kunstpolitisch ehrgeizige Wilhelm II. an Menzels Sarg in die Rolle von Tizians Gönner Karl V. hinein. Dem pompösen Trauerzug, der am 13. Februar 1905 vom Alten Museum zum Kreuzberger Dreifaltigkeits-Friedhof aufbrach, schritt Wilhelm bis zu Menzels Atelier vor dem Potsdamer Tor per pedes voran.

Kein zweiter Künstler in Preußen ist durch ein Staatsbegräbnis geehrt worden. Keiner war schon zu Lebzeiten so beliebt wie die hochdekorierte und 1898 in den erblichen Adelsstand erhobene „kleine Excellenz“. Jedes Kind kannte Menzels Illustrationen zu Franz Kuglers „Geschichte Friedrichs des Großen“. Auf der Straße wie im gesellschaftlichen Leben fiel der Kleinwüchsige, der als Vierzehnjähriger 1830 bettelarm aus Breslau nach Berlin gekommen war, ohnehin auf. Menzel war beides: Institution und Außenseiter.

Und er gehört noch immer zu den ganz Großen der Malerei, das beweist der singuläre Menzel-Bestand der Alten Nationalgalerie. Zum 100. Todestag am 9. Februar zeigt das Berliner Kupferstichkabinett nun inmitten dieses Bilderschatzes die mit 21 Zeichnungen bestückte Kabinettausstellung „Menzel und der Hof“, im März folgt am Kulturforum erneut das Kupferstichkabinett mit der Hauptausstellung „Menzel und Berlin“. Ab November wird das Dresdner Kupferstichkabinett im Residenzschloss „Menzel in Dresden“ zeigen. So viel Menzel gab es nicht mehr, seit die große Retrospektive 1996/97 in Paris, Washington und im Berliner Alten Museum zu sehen war.

Im Jubiläumsjahr also die Arbeiten auf Papier. Der Autodidakt Menzel war ein begnadeter Zeichner. 7000 seiner Zeichnungen bewahrt allein das Berliner Kabinett, dazu 1500 Druckgrafiken. Seine wichtigsten Gemälde, etwa die Reihe der mit der „Tafelrunde“ und dem „Flötenkonzert“ im Revolutionsjahr 1848 begonnenen „Fridericiana“, hat Menzel durch unzählige Skizzen akribisch vorbereitet. Der Fotograf Jacob Hilsdorf und Menzels Malerkollege Anton von Werner haben ihn in der Pose des stehend Zeichnenden überliefert, mit ernstem, konzentriertem Ausdruck. Ganz Auge und Hand.

Das Publikum nahm ihn erst postum als einen der Großväter der Moderne wahr, der das eigene Wohnzimmer oder zugewachsene Bahndämme und Hinterhöfe auf intime Bildformate gebannt hat. Der Künstler selbst wollte diese wunderbar beiläufigen Werke nie öffentlich zeigen, sah sich vielmehr als Arrangeur vielfiguriger Kompositionen und von Stoffen mit explizit historischem, auch zeitgeschichtlichem Anspruch. Noch sein berühmtes „Eisenwalzwerk“ kündet davon.

Den Durchbruch bei Hof erzielte Menzel 1865 mit seinem ersten und zugleich bedeutendsten öffentlichen Auftrag: dem heute im Neuen Palais von Sanssouci bewahrten Monumentalgemälde „Krönung König Wilhelms I. in Königsberg“. Fünfzehn Quadratmeter bemalte Leinwand; 132 in Alter, Geschlecht, Rang und Gemüt differenzierte Figuren in Porträtqualität; ein architektonisch schwer zu fassender Innenraum, Akkorde in Rot und Gold, komplexe Lichtquellen – nach der Vollendung des Bildes wurde Menzel zu jedem Hofball geladen. Man tolerierte, dass er mit spitzem Stift festhielt, was er sah: Würdenträger während der Schlacht ums kalte Büfett, keck vorgestreckte weibliche Hinterteile.

Die in der Alten Nationalgalerie präsentierten Skizzen zeigen den Künstler als ehrlichen Maler. Sie belegen, wie sehr er der eigenen Erinnerung misstraute. Menzel durfte am 18. Oktober 1861 an der Selbstkrönung des preußischen Königs und späteren deutschen Kaisers Wilhelm I. als künstlerischer Beobachter teilnehmen. Auf der Einladungskarte hat er genau vermerkt, wo er in der Königsberger Schlosskirche stand, um zu skizzieren. Die mit Bleistift hingefetzten Blätter versah er stolz mit dem Zusatz: „Während der Ceremonie notirt.“

Die eigentliche Bildarbeit begann, nachdem die Komposition festgelegt war. Bis 1865, dem Jahr der Vollendung, holte sich Menzel Krönungsteilnehmer ins Atelier. Ihre meist mit Aquarell- und Deckfarben auf getöntem Papier angelegten Porträts gehören vielleicht zum Besten, was er hinterließ: ob der finster dreinblickende Bismarck in blütenweißer Uniform, Kronprinz Friedrich, ganz Scheitel und Bart, oder der im Felde verwitterte Marschall von Wrangel. König Wilhelm, dessen alterndes Antlitz Menzel beinahe zärtlich wiedergibt, soll an zeitgenössischer Malerei vor allem die korrekte Wiedergabe von Uniformen geschätzt haben. Auch bei Menzel sitzt jeder Knopf. Doch unter den Brustpanzern der Etikette verstecken sich psychologische Weichbilder, die, mehr noch als an den alten Fontane, bereits an die literarischen Antihelden eines Henry James denken lassen.

„Menzel und der Hof“ in der Alten Nationalgalerie, bis 5. Juni, täglich außer montags 10-18 Uhr, Donnerstag 10-22 Uhr. Zur Ausstellung „Menzel und Berlin“ am Kulturforum (11. März bis 5. Juni) wird ein Katalog erscheinen.

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