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Kultur: Ganz Rußland im Gemeinschaftsquartier

"Wohnhaft" von Ljudmila Rasumowskaja als deutsche Erstaufführung in DresdenVON CHRISTOPH FUNKEIm Deutschen ist das Wort "wohnhaft" kaum von Emotionen beladen, es dient der bürokratisch sauberen Ordnung von Adressen und Verzeichnissen.Die 1948 in Riga geborene russische Dramatikerin Ljudmila Rasumowskja hat ihr zweiteiliges Stück mit diesem Wort bewußt in einer ganz anderen Sinngebung überschrieben: sie meint nicht "wohnhaft", sondern "Wohn-Haft".

"Wohnhaft" von Ljudmila Rasumowskaja als deutsche Erstaufführung in DresdenVON CHRISTOPH FUNKEIm Deutschen ist das Wort "wohnhaft" kaum von Emotionen beladen, es dient der bürokratisch sauberen Ordnung von Adressen und Verzeichnissen.Die 1948 in Riga geborene russische Dramatikerin Ljudmila Rasumowskja hat ihr zweiteiliges Stück mit diesem Wort bewußt in einer ganz anderen Sinngebung überschrieben: sie meint nicht "wohnhaft", sondern "Wohn-Haft".1983 leben, in einer ehemals noblen, vermutlich aristokratischen Wohnung Leningrads, Poeten und verirrte Wanderer, Säufer und Helden aus der Blockadezeit, Männer, Frauen, Kinder.Jeder verteidigt und verrammelt sein Zimmer wie eine Burg - Küche, Bad, Toilette gehören allen gemeinsam und also keinem.Ganz Rußland, vertreten durch seine charakteristischen Individuen, scheint in dieses Quartier geworfen, das Geheimnisse mordet, Sehnsüchte erstickt und verstörende Einsamkeit hervorruft.Ljudmila Rasumowskaja richtet nicht, sie malt, mitunter breit und behäbig, Lebensgeschichten aus, gibt jedem der Wohnenden Raum, über seine inneren Zerstörungen und über seine Ideale zu erzählen.Sie versucht, russischen Alltag zu packen, diesen Schmelztiegel von Erwartung, Geduld, Hingabe und Absturz.Sie zeigt das Scheitern ihrer Helden und macht auf Möglichkeiten aufmerksam, die dennoch in ihnen stecken: Welche Schicksale hätten sie haben und gestalten können, wenn ihnen der langsame Tod im Gemeinschaftsquartier erspart geblieben wäre!Wohn-Haft, lebenslang.Eine neue, eine andere Zeit hat sie nicht anzutasten, nicht aufzulösen vermocht.Rasumowskajas Stück springt im zweiten Teil über einen Zeitraum von 12 Jahren.1995 ist das Gemeinschaftsquartier, nun mit der Adresse St.Petersburg, noch so zerfallen, verwahrlost wie in der Sowjetzeit.Wenn sich Schicksale verändert haben, dann (leider auch sehr vordergründig) zu bösen Enden hin.Und auch das letzte bißchen Hoffnung wird zertreten: Ein Spekulant kauft die Wohnung mit den vielen Zimmern, was mit den Mietern wird, kümmert ihn nicht.Sein Helfer, Jura, war 1983 der von vielen bewunderte Poet in der gut/bösen Gemeinschaft, die sich haßvoll, durchtrieben, verschlagen befehdete und gleichzeitig eben auch mit einer Art Liebe, einem Hauch verständnisvoller Wärme beistand.Nun wird aus Wohn-Haft Wohnungslosigkeit.Die Rigorosität junger englischer Dramatik hat das Stück der Rasumowskaja nicht.Sie will den Glauben an den Menschen, und wenn der ein Säufer ist und bewußtlos, besudelt im zersplitterten Parkett liegt, nicht aufgeben.Sie sieht alle Scheußlichkeit, zu der ein enges, feindliches, niederdrückendes Leben verdammt.Aber sie entdeckt auch die Scham und die Trauer, den Widerstand und den Stolz dieser verkrüppelten Menschen.Und bleibt damit in einem naiven, bewunderswerten, in einem russischen Trotz gegenüber der schnellen Aufgabe aller Werte: "Ich will und kann nicht glauben, daß das Böse der normale Zustand des Menschen ist" (Dostojewski).Oder, mit den Worten der Autorin: "Ich glaube, es gibt heute nur eine Aufgabe: Wir müssen zu unseren geistigen, kulturellen und moralischen Ursprüngen, zu den historischen Wurzeln unseres Volkes zurückkehren."Irmgard Lange hat die Mieter der Einheitswohnung auf der Bühne des Dresdner Kleinen Hauses geradezu liebevoll versammelt.Ihre Inszenierung läßt sich Zeit.Sie ist ruhig, sie will vorsichtig in Lebensläufe hineinkommen.Volker Walther baute dazu einen riesigen Raum, mit aufgeworfenem, schon zertrümmertem Parkett, einer hohen zweiflügligen Tür, kahl und unwirtlich, bestückt mit Kühlschränken, Kochherd, billigstem Mobiliar.Und an allen Wänden Türen - Türen in die Wohnzellen.Diese Weite, die keine ist, sondern erbärmliche, wilde Armut bedeutet, fordert lange Gänge heraus, zielloses Herumhasten, schüchtern sicherndes Losgehen und Zurückweichen, angstvolles, höhnisches Beobachten, was vor oder hinter "anderen" Türen geschieht.Wie von selbst fügt sich aus peinlich genauen Details die scheinbar unerträgliche, in Wirklichkeit ganz gewöhnliche Spannung eines verdammten, eines unauflöslichen Miteinanders.Die Schauspieler zeigen das behutsam, hitzige Ausbrüche bleiben die Ausnahme.Man könnte sich durchaus eine bösere, entschiedenere, leidenschaftlichere Zeichnung der Charaktere vorstellen - Irmgard Lange geht es im Sinne der Autorin um das Normale im Außergewöhnlichen, um den Rest Zuversicht, der vielleicht noch bleibt.Lutz Salzmann etwa spielt den Poeten erst mit einem wuschelig-widerspenstigen Selbstvertrauen, einer schöpferischen Unruhe, dann mit der gemachten Sicherheit des Arrivierten, der seine innere Zerstörung schon bald rücksichtslos preisgibt.Regina Jeske wirbelt als "Tante Rosa" über die Bühne, mit der schnatternden Rechthaberei der Älteren.Marianne Linden ist die im Quartier strandende junge Frau, sie zeigt im Widerspruch von Zurückhaltung und mädchenhafter Draufgängerei einen großen Anspruch ans Leben, der tragisch verfällt.Ein Ensemble, dem Lebenswahrheit auf der Bühne gelingt.Ohne glanzvolle Soli, im vertrauensvollen Bezug aufeinander.Die Autorin wurde inmitten der Spieler herzlich gefeiert.

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