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Kultur: Gedanken haben Flügel, niemand hält sie auf

Ein Scheiterhaufen lodert am Anfang des Films.Der Anblick eines Autodafés verbotener Bücher entläßt den Zuschauer nach mehr als zwei Stunden einer ebenso unterhaltsamen wie spannenden Geschichtslektion.

Ein Scheiterhaufen lodert am Anfang des Films.Der Anblick eines Autodafés verbotener Bücher entläßt den Zuschauer nach mehr als zwei Stunden einer ebenso unterhaltsamen wie spannenden Geschichtslektion.Das erste Feuer verschlingt einen Ketzer, der es im Frankreich des 12.Jahrhunderts gewagt hat, den arabischen Philosophen Ibn Ruschd zu übersetzen.Im zweiten, auf dem Marktplatz des damals islamischen Cordoba, gehen die Schriften des islamischen Aufklärers in Rauch auf.Ibn Ruschd (Nour el-Cherif) lacht beim Anblick der Flammen.Er wirft selbst noch ein Buch hinein, ehe er sich auf den Bock des Planwagens schwingt, der ihn und seine Familie ins Exil bringt.Von allen Büchern sind Abschriften, weiß er, ins sichere Ägyptenland gelangt.

"Gedanken haben Flügel, niemand hält sie auf!" ruft Ibn Ruschd, der unter dem Namen Averroes in die europäische Geistesgeschichte eingegangen ist, bei seinem erzwungenen Abgang, doch das Lachen klingt grell, so sehr auch die Filmmusik dazu aufbraust.Chahine, der große alte Außenseiter des ägyptischen Films, versieht den Ausruf auf einem Insert am Schluß mit seiner eigenen Unterschrift.Gedanken können Flügel haben, aber oft sind sie auch ohnmächtig.Die Fatwa gegen den Aristoteles-Interpreten, der Aufklärung und Glauben vereinen wollte und darum später auch die Kritik des Thomas von Aquino auf sich zog, steht für den Sieg der Unvernunft und des Fanatismus über Weisheit und sinnvolle Politik.Ibn Ruschd verliert die Stellung als Oberrichter und Leibarzt, seine Schule und sein Haus, während die Männer mit den gnadenlosen Blicken bestimmenden Einfluß auf den Kalifen gewinnen.Blut ist schon geflossen, ein Blutbad kann folgen.

Das Leben des Kadi von Cordoba endete nicht so bitter wie im Film.Nach dem Sieg über die Spanier durfte der Vertriebene aus dem andalusischen Lucena nach Cordoba zurückkehren.1198 ist er, zweiundsiebzigjährig, im nordafrikanischen Marrakesch friedlich gestorben.Doch so viel Versöhnung hätte die Spannung aufgehoben.Chahine genügte ein kleines Happyend, wo Liebeslust und Sinnlichkeit über Gewaltbereitschaft triumphieren.Prinz Abdallah (Hani Salama) gehen endlich die Augen auf über die verbohrten Rechtgläubigen, denen er leichtsinnig gefolgt war und deren Wüstenexerzitien er sich unterwofen hatte.Erleichtert sinkt er in die Arme seiner schönen Zigeuner-Freundin Sarah (Ingy Abaza), deren sangesfreudige Eltern ihn bereits wie einen Sohn aufgenommen haben.Doch auch dieser Lichtblick bleibt nicht ungetrübt, denn die rechte Partei nimmt an Sarahs Vater, dem gewitzten Dichter Marwan (Mohamed Mounir), tödliche Rache.

Youssef Chahine hätte gern ein zuversichtlicheres Zeichen gesetzt, aber die Tatsachen sprechen eher für die Angst, die dem Regisseur seit dem Verbot seines vorletzten Werkes "Der Emigrant" durch die ägyptischen Behörden, aller Solidaritätsbekundungen im Ausland (auch in Berlin) zum Trotz, im Nacken sitzt.Er kann nur davon träumen, daß der Geist der Toleranz wieder über die Länder am Mittelmeer kommt.Die als Mahnruf zur Mäßigung gedachte Geschichte des Ibn Ruschd wird zum Gefäß akuter Furcht.

Es wäre kein Film von Chahine, wenn er die Außenaufnahmen nicht nach Syrien und in den Libanon verlegt und den Schnitt nicht in Frankreich besorgt hätte, wenn darin nicht getanzt würde, gesungen, gelacht und zumindest auf symbolische Weise geliebt.Begehrlich streichelt Sarah die starken Beinmuskeln des geliebten Prinzen, dessen glühende Augen derweil fragend in die Ferne gerichtet sind.Der Zuschauer hierzulande muß es sich erst sagen, daß auch die Fundamentalisten der Neuzeit Tanz, Musik, Sinnenfreude unterdrücken wollen.Gerade in diesen ausgelassenen, zuweilen jäh umschlagenden Szenen und beim Durchqueren der Landschaft bis hin zu den Pyramiden entfaltet der Film seine Wirkungskraft, während die verzweigte Handlung zuweilen Orientierungsprobleme aufwirft.In Frankreich zog "Le destin" über 600 000 Zuschauer an.Der deutsche Besucher muß leider vor den umständlichen, noch wie eine Rohübersetzung wirkenden Untertiteln gewarnt werden.

In Berlin in den Kinos Brotfabrik und Hackesche Höfe (beides auch OmU)

HANS-JÖRG ROTHER

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