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Die Berliner Philharmoniker spielen am 16. Mai 2014 ohne Dirigenten.

© Monika Rittershaus

Gedenkkonzert für Abbado in der Philharmonie: Die Stille nach dem Schluss

Um ihrer Trauer über den Verlust von Claudio Abbado Ausdruck zu verleihen, lassen die Berliner Philharmoniker in der ersten Hälfte ihres Gedenkkonzerts das Dirigentenpodium leer. Bericht von einem bewegenden Abend.

Dieses Bild sagt tatsächlich mehr als tausend Worte. Leer bleibt das Dirigentenpult, als die Berliner Philharmoniker an diesem Freitagabend die Instrumente ansetzen, ein unnützes Konzertsaalmöbel, das zum Symbol des Verlustes wird. Weil der, den man sich hier gewünscht hätte, nicht mehr lebt. Wie immer im Mai wollte Claudio Abbado auch 2014 mit seinem ehemaligen Orchester ein Programm erarbeiten. Nun spielen die allein gelassenen Musiker ganz im Geiste ihres Chefs von 1990 bis 2002: Sie machen Kammermusik, auch in der großen Gruppe, sie geben acht aufeinander, hören den Stimmen der anderen wirklich zu, warten nie nur auf den eigenen Einsatz. „Er führte das Orchester zu sich selbst“, beschreibt der Cellist Götz Teutsch in einer zum Abend erschienenen Gedenkbroschüre Abbados größtes Verdienst.

Unendlich zart erklingt Franz Schuberts „Rosamunde“-Bühnenmusik, unendlich traurig. Im Portugiesischen gibt es ein Wort für das Gefühl, das jetzt im Raum steht: saudade. Ein Übersetzungsversuch dafür lautet: Gedanken einer Mutter, die das Zimmer ihres verstorbenen Kindes aufräumt. Als sich die Musiker nach dem Schlusston erheben, verstehen die Zuhörer diese Geste sofort, tun es ihnen gleich, den Blick auf die Leerstelle in der Bühnenmitte gerichtet.

Das geländerlose Podest bleibt auch bei Mozarts G-Dur-Violinkonzert stehen, das Frank Peter Zimmermann von der Geige aus leitet. Sehr privat wirkt sein Spiel, auch in den Allegro-Passagen nicht wirklich gelöst. Fast scheint es, als würde der Solist hier vom Orchester getragen.

Simon Rattle, der die erste Konzerthälfte als Zuhörer vom Block A aus verfolgt hat, wollte für seine Reverenz an den Vorgänger kein typisches Abbado- Stück – und wählte Bruckners Siebte. Die Sinfonien des Österreichers lassen sich ja auf zwei Arten interpretieren: felsig oder ozeanisch. Die schroff zerklüftete Lesart ist Rattles Sache nicht, er betont lieber das Fließende, Strömende der Musik, lässt in den Ecksätzen Klangwelle auf Klangwelle heranbranden, entdeckt gefährliche Strömungen im Scherzo, inszeniert die Climax des Adagio als Wetterwunder, wenn kurz die Sonne durch dunkle Wolken bricht und die Wasseroberfläche in gleißendes Licht taucht.

Die letzten Momente dieses bewegenden Abends gehören dann wieder der abwesenden Hauptperson. Es sind die langen Sekunden zwischen dem Brucknerschen Schlusston und dem Aufbranden des Applauses. Die Stille nach dem Schluss aushalten zu können, das Schweigen, die Pause als genuinen Teil der Musik anzuerkennen – genau das liebte Claudio Abbado ganz besonders am Berliner Publikum.

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