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Weltkulturerbe? Eine internationale Petition will den analogen Film von der Unesco schützen lassen. Viele Regiestars haben unterschrieben, von Spielberg bis Haneke.

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Gefährdetes Filmerbe: Auferstanden aus Archiven

Das deutsche Filmerbe ist immer mehr in Gefahr. Es fehlt an Geld fürs Digitalisieren und Restaurieren, und allmählich geht das technische Knowhow verloren. Unterdessen machen Festivals politischen Druck: Ihre Retrospektiven halten das Gedächtnis des Kinos lebendig.

Der Film, heißt es in der Petition, ist der Rosetta-Stein unserer Tage. Ganz schön pathetisch, der Vergleich mit jener berühmten Stele, die den Schlüssel zur Entzifferung der Hieroglyphen bot: Kino als Inschrift der Geschichte, Gedächtnis der Gegenwart, Faszinosum für die Nachgeborenen, kurz, als Erbe der Menschheit. Verrückte Idee: Die Unesco soll das Kino als Weltkulturerbe schützen lassen, genauer, die analoge Filmrolle, den Stoff, aus dem die Bilder sind.

Die Idee ist bald drei Jahre alt, sie stammt von der britischen, in Berlin lebenden Multimedia-Künstlerin Tacita Dean und dem mexikanischen Kameramann Guillermo Navarro, der 2007 für „Pans Labyrinth“ einen Oscar erhielt. Ihr Aufruf fand Top-Unterstützer: Regisseure wie Martin Scorsese, Steven Spielberg, Jane Campion, Wolfgang Petersen, Michael Haneke, Ken Loach oder Tom Tykwer, die Schauspieler Danny DeVito, Keanu Reeves und Barbara Sukowa, Künstler wie William Kentridge, Douglas Gordon, Isaac Julien und auch der Fotograf Jim Rakete haben unterzeichnet. Der Prominentenliste auf der Website savefilm.org haben sich zudem fast sämtliche namhafte Kinematheken und Filmarchive der Welt angeschlossen. Sind die denn alle verrückt geworden, dass sie mitten im digitalen Zeitalter ausgerechnet das zerbröselnde Zelluloid, die antiquierten Kodak- und Fuji-Filme als „Gedächtnisort der Imagination, der Poesie, der Kunst und des Lebens“ schützen lassen wollen?

Sind sie nicht. Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass der gute alte Filmstreifen aus nichtbrennbarem Polyester (besser als Nitrat, das explodiert gern mal) immer noch die beste Langzeitsicherung für Bewegtbilder ist. Gleichzeitig muss unaufhörlich digitalisiert und restauriert werden, damit die Werke auch gezeigt werden können: Nur Filme, die sichtbar sind, sind nicht tot. Beides ist nötig, die digitale wie die analoge Speicherung.

Ende September gibt's in Berlin das erste "Filmerbe-Festival"

Also muss weiter getrommelt werden. Die Protestnoten auch hierzulande sind wahrlich nicht neu, aber das Problem der vom Zahn der Zeit bedrohten Kinogeschichte ist so wenig gelöst wie die praktische Frage der Archivierung digitaler Produktionen. Unter dem Slogan „Shoot Film Don’t Kill It“ finden sich auf savefilm.org denn auch zahllose Appelle, Infos und Aktionsbündnis-Links zum Thema Filmerbe und Fotochemie. Die Stiftung Deutsche Kinemathek in Berlin veranstaltet Ende September das erste „Filmerbe-Festival“ mit Programmkinopreis, Klassikern in digitaler Premiere und Podiumsrunden. Die Defa-Stiftung nutzt den 70. Geburtstag des DDR-Filmunternehmens für Veranstaltungen und DVD-Editionen. Und auch die Retrospektiven großer Festivals konzentrieren sich aufs deutsche Erbe.

Das Festival von Locarno widmete seine Retro soeben dem hiesigen Kino der 50er Jahre, die Reihe geht auf Tournee. Die Berlinale konzentrierte sich auf das Aufbruchsjahr 1966 auf beiden Seiten der Mauer und präsentierte die Restaurierung eines Stummfilmklassikers als Gala-Event, „Der müde Tod“ von Fritz Lang und 2015 „Das Cabinet des Dr. Caligari“.

Ist das schon digitalisiert, kann das weg? Über die beste Aufbewahrungsmethode für Filme streiten sich die Experten. Hier das Lager des ehemaligen Kopierwerks Film- und Videoprint in Berlin-Kreuzberg, in der 20.000 Filmrollen unsachgemäß gelagert wurden. .
Ist das schon digitalisiert, kann das weg? Über die beste Aufbewahrungsmethode für Filme streiten sich die Experten. Hier das Lager des ehemaligen Kopierwerks Film- und Videoprint in Berlin-Kreuzberg, in der 20.000 Filmrollen unsachgemäß gelagert wurden. .

© imago/Jürgen Heinrich

Das Kino braucht die Festivals, braucht jeden Anlass, um sein Gedächtnis nicht zu verlieren. Denn die Rettung des Filmerbes ist teuer, und über die Allianz von Werkschauen oder Retrospektiven und Filmarchiven lassen sich spezielle Fördertöpfe und Sponsorengelder anzapfen. Obendrein wird die öffentliche Aufmerksamkeit erhöht, wird Neugier geweckt, wie Kinematheks-Chef Rainer Rother erläutert.

Mehr Klassiker-Aufführungen, das steigert die Nachfrage. Und damit den Druck auf die Politik, endlich für eine auskömmliche Finanzierung zu sorgen. Eine einfache Digitalisierung ist ab 3000 Euro zu haben, aber allein die Restaurierung von Fritz Langs Meisterwerk „Die Nibelungen“ schlug 2010 mit 750 000 Euro zu Buche – die bislang kostspieligste Rettungsaktion. Zudem müssen Digitalisate, wie der Fachmann es nennt, mehrfach gesichert werden. Genau wie bei den privaten Dateien auf der Festplatte daheim braucht es permanente Back-ups. Und da die Speichertechnologie alle fünf bis sieben Jahre veraltet ist, muss regelmäßig umkopiert werden. Auch aus diesem Grund ist die Doppelstrategie von analoger und digitaler Sicherung unumgänglich.

Wirtschaftsgutachten: Fast 500 Millionen Euro braucht man für die Sicherung aller deutschen Filme

Das mit dem Rosetta-Stein stimmt ja: Filmisches Erbe ist kollektive Erinnerung der Nation, Zeugnis der eigenen Identität, lebendige Geschichte. Andere Länder wie Frankreich, die Niederlande oder skandinavische Staaten haben längst hohe Summen investiert. Hierzulande tröpfelt das Geld fürs Filmerbe nur, bis heute. Eine von der Politik angeregte Wirtschaftsstudie hatte 2015 einen Gesamtbedarf von knapp 500 Millionen Euro für sämtliche rund 170 000 deutschen Filmtitel errechnet, für 4,3 Millionen Filmminuten.

Dennoch stellt der Bund nach wie vor nur eine Million jährlich bereit, für 2017 ist die Summe immerhin bereits genehmigt – und nicht mehr erst per Nachtragshaushalt. Das wenige Geld teilen sich die vier Hauptarchive: Deutsche Kinemathek, Deutsches Filminstitut, Defa- und Murnau-Stiftung. Auch bei der aus Ticketabgaben finanzierten Filmförderanstalt (FFA) können Rechteinhaber Digitalisierungsgelder beantragen; der Betrag wurde jetzt von einer auf zwei Millionen Euro pro Jahr erhöht. Für 2016 ist der Topf bereits zu 75 Prozent ausgeschöpft.

Eile ist geboten: Kopierwerke schließen, gute Scanner sind rar

Weltkulturerbe? Eine internationale Petition will den analogen Film von der Unesco schützen lassen. Viele Regiestars haben unterschrieben, von Spielberg bis Haneke.
Weltkulturerbe? Eine internationale Petition will den analogen Film von der Unesco schützen lassen. Viele Regiestars haben unterschrieben, von Spielberg bis Haneke.

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2015 hatte Kulturstaatsministerin Monika Grütters sich ihrerseits die Sorge um das Filmerbe auf die Fahnen geschrieben, für die nationale Herausforderung, die dringliche Aufgabe, ja, die „Jahrhundertaufgabe“ geworben. Diese könne nur in einer Gemeinschaftsaktion von Bund, Ländern und Branche bewältigt werden. Dieses Trio, so Grütters, sollte jährlich mindestens zehn Millionen Euro aufbringen, zehn Jahre lang. Geschehen ist nichts. Auf Nachfrage heißt es aus ihrer Behörde: „Eine langfristige Digitalisierungsstrategie wird derzeit erabeitet“; für Ende September sei ein hochrangiges Bund-LänderGespräch anberaumt. Auch werde die Unterstützung fürs digitalisierte Filmerbe im Filmfördergesetz konkreter verankert.

Bund und Branche sind dabei, die Länder bremsen - noch

Ach ja, der Föderalismus: Die Länder müssen ins Boot, sie sind es, die bremsen. Vor allem jene ohne eigene Filmförderung. Als ginge es nur um Klassiker aus der Region, sagen wir: aus dem Saarland. Als seien die Klassiker oder auch Genre- oder Werbefilme jüngeren Datums, die den Zeitgeist im populären Gewand aufbewahren, kein gemeinsames Erbe. Länder, Bund, Branche: Alle sind verantwortlich.

„Ich bin mir bewusst“, sagt Claudia Dillmann, Direktorin des Deutschen Filminstituts (DIF), „dass die Verhandlungen mit den Ländern nicht einfach sind.“ Die öffentlichen Kassen sind klamm, die Kultur hat es da nicht leicht. Aber die Zeit drängt: Auch Kinematheks-Chef Rother wird langsam ungeduldig und hofft auf die Bund-Länder-Arbeitsgruppe.

Das technische Knowhow für die Rettung des Filmerbes stirbt langsam aus

Eile ist aus drei Gründen geboten: Erstens bröselt vor sich hin, was an die 100 Jahre alt ist, wird rotstichig, was 50 Jahre auf dem Buckel hat. Zweitens, darauf machen Dillmann und Rother gleichermaßen aufmerksam, geht es auch um jüngere Filme, schließlich wurde bis 2000 analog produziert. Das DIF digitalisiert derzeit neben „Kampf ums Matterhorn“ mit Luis Trenker (1928) Experimentalfilme von Hans Richter oder Kurt Hoffmanns Verfilmung von „Bekenntnisse eines Hochstaplers“ (1957) und Niklaus Schillings „Deutschfieber“ (1992). Und die Kinemathek gibt ihre 250 000 Euro für 2016 unter anderem für Werke von Georg Wilhelm Pabst, Werner Nekes und Helma Sanders-Brahms aus.

Drittens geht das Handwerk verloren, hier ist es tatsächlich fünf vor zwölf. Die Kopierwerke schließen, selbst das Bundesfilmarchiv hat angekündigt, sein eigenes Werk mittelfristig nicht fortzuführen. Aus Kostengründen. In anderen Ländern kauft der Staat Kopierwerke auf, damit die Archive auf funktionstüchtige Maschinen und Fachleute zurückgreifen können.

Schätze, die allen gehören, weshalb Bund, Länder und Branche gemeinsam verantwortlich sind: ein Filmstreifen von Max Skladanowsky, einem der Erfinder des Kinos, aus dem Jahr 1895. Er liegt im Bundesfilmarchiv.
Schätze, die allen gehören, weshalb Bund, Länder und Branche gemeinsam verantwortlich sind: ein Filmstreifen von Max Skladanowsky, einem der Erfinder des Kinos, aus dem Jahr 1895. Er liegt im Bundesfilmarchiv.

© picture alliance / dpa

Auch um die ohnehin spärlichen Scanner für die Digitalisierung steht es nicht zum Besten. Etlichen filmtechnischen Betrieben, die früher mit der digitalen Postproduktion analoger Drehs ausgelastet waren, droht das Aus – die Auftragslage für die Archiv-Digitalisierung ist dünn. Leute, die gut scannen können, werden rar, sagen Rother und Dillmann. Sogar aus dem Hause Grütters heißt es, eine verlässliche Summe fürs Digitalisieren solle nicht zuletzt deshalb bereitgestellt werden, „damit auch die technischen Betriebe langfristig planen können“.

Sichern und Zeigen: Wenn Film nicht gesehen wird, ist er nicht da

Mit anderen Worten: Fließt das Geld fürs Filmerbe nicht bald, sind die Technik und das Know-how womöglich nicht mehr vorhanden. Da sind die Experten sich einig, trotz aller Glaubenskriege – die Zelluloid-Puristen, die 35-Millimeter-Werke nur mit ratterndem Projektor vorführen wollen, die gemäßigten Historiker, die sich mehr Bewusstsein fürs Original wünschen (Rother vergleicht es mit der historischen Aufführungspraxis in der Musik), und die Verfechter digitaler Bibliotheken. So verteidigt Bundesarchiv-Direktor Michael Hollmann die Strategie, auf das analoge „Ausbelichten“ künftig zu verzichten, mit dem Satz: „Wenn er nicht gesehen wird, ist der Film auch nicht da.“  

Stimmt schon, Sichern und Zeigen gehören bei der Rettung des Filmerbes zusammen. Zumal für den Nachwuchs: Je länger die Filmgeschichte, desto mehr Generationen brauchen die Gelegenheit, sie überhaupt kennenzulernen. Das Berliner Filmerbe-Festival im September hat auch ein Kinderprogramm im Angebot.

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