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Kultur: Gefährliche Herrschaften

Von Christina Tilmann Ein englischer Herrensitz funktioniert wie eine gut geölte Maschine. Während „above stairs“ diniert, soupiert und intrigiert wird, sorgt das Maschinenvolk „below stairs“ für den reibungslosen Ablauf des Betriebs.

Von Christina Tilmann

Ein englischer Herrensitz funktioniert wie eine gut geölte Maschine. Während „above stairs“ diniert, soupiert und intrigiert wird, sorgt das Maschinenvolk „below stairs“ für den reibungslosen Ablauf des Betriebs. Da muss das Essen präpariert, der Tisch mit millimetergenauer Präzision gedeckt, die Garderobe der Herrschaften geplättet, gewaschen oder das Schuhwerk gewienert werden. Die Integration der Gast-Diener gestaltet sich dabei kaum einfacher als die der Gäste „above stairs“: Sie müssen eingewiesen, untergebracht und hierarchisch eingeordnet werden. Für alles gibt es uralte, unangefochtene Regeln. Doch für einen Flirt ist immer Zeit.

Robert Altman ist mit „Gosford Park“ ein logistisches Meisterstück gelungen: Komplizierter noch als in „Shorts Cuts“ oder „The Player“ verknüpfen sich die Lebensfäden des über 30-köpfigen Ensembles, elegant driftet die Kamera an Gesprächen und Personenkonstellationen vorbei, keiner bleibt zu lange im Bild, um das Interesse zu stark auf sich zu fokussieren. Nicht nur Gäste und Gast-Bedienstete verlaufen sich ständig in den dunklen, verwinkelten Gängen des Herrenhauses – auch der Zuschauer braucht seine Zeit, bis er die Akteure auseinanderhalten kann. Auf Dauer jedoch gewinnt das vielköpfige Unternehmen eine wunderbare Leichtigkeit, die man über mehr als zwei Stunden gern verfolgen mag. Der Oscar für das Drehbuch war wahrlich verdient.

Sympathisch sind dabei die wenigsten der Beteiligten. Mögen sie sich auch in schimmernde Seide und edle Pelze, Juwelen und Spitzen hüllen: Unter der glänzenden Schale sind sie alle korrupt, bankrott oder hybrid . Sie betrügen, intrigieren, erpressen und lästern nach Kräften. Einige jedoch prägen sich besonders ein. Die snobistische, schlechtgelaunte Lady Constance (Maggie Smith), verarmt, aber scharfzüngig und arrogant wie eh und je. Ihr Gegenpart, der Gastgeber Sir William (Michael Gambon), der sich von lauter Bittstellern umgeben fühlt und nur noch Interesse für seinen Hund aufbringt. Seine Frau Lady Silvia (Kristin Scott Thomas), blond, schön, kalt und gelangweilt. Und auf der Dienerebene Jennings (Alan Bates), Oberdiener und unangreifbare Autorität. Mrs. Wilson (Helen Mirren), Hausdame und mindestens so mächtig wie Jennings. Mrs. Croft (Eileen Atkins), Köchin und in ständigem Kampf mit Mrs. Wilson. Und Elsie (Emily Watson), die Oberzofe: Unabängig, stark und unbeugsam.

Jede Störung des Systems kommt von außen: Der Filmstar Ivor Novello (Jeremy Northam), ein entfernter Verwandter, wird als Entertainer geduldet – und bringt seinen amerikanischen Filmproduzenten Morris Weissman (Bob Balaban) zu Studienzwecken ins Haus. Marbel (Claudie Blakley), angeheiratete Frau eines Neffen von Sir William, ist als Tochter eines Fabrikbesitzers nicht standesgemäß – was sie ständig zu spüren bekommt. Und Mary (Kell Macdonald), die Zofe von Lady Constance, ist noch neu im Geschäft und dient, indem sie die richtigen Fragen stellt, dem verwirrten Zuschauer als Identifikationsfigur.

Mag es auch stürmen und regnen, donnern und blitzen: Die „traditional rules“, nach denen sich dieses Karrussell dreht, werden peinlich genau befolgt. Wer sie verletzt, wie der Diener des amerikanischen Produzenten, wird unbarmherzig bestraft. Gleichzeitig gehört es ebenso zur Tradition, dass die Standesgrenzen dauernd überschritten werden – zumindest in sexueller Hinsicht. Dass ein Diener mit auf die Jagd geht oder bei Tisch seine Stimme erhebt – undenkbar. Aber selbstverständlich, dass Herr und Knecht sich ihre Beute holen, wo sie sie bekommen. Wenn es um einen one-night-stand geht, ist die Herrin des Hauses nicht besser als die Magd.

Und trotzdem ist häufig so etwas wie Liebe im Spiel, wenn auch selten offen ausgesprochen. Das Lästern und Tratschen, Intrigieren und Spionieren übt die Herrschaft genauso gern wie die Dienerschaft. Wie vergiftete Pfeile fliegen Bemerkungen, Anzüglichkeiten und Verdächtigungen durch die Luft, und das Beste, was der Betroffene tun kann, ist scheinbar unbeteiligt weiterzumachen – gerade so wie die Kamera. Man darf ruiniert sein, man darf gelangweilt sein, aber die Fassung verlieren oder zweimal das gleiche Kleid tragen, das darf man nicht.

In seiner schwelgerischen Ausstattung erinnert Gosford Park an James Ivorys „Was vom Tage übrig blieb“. In der Schärfe, mit der Standesdünkel und Hochmut zu Fall gebracht werden, an Jean Renoirs „Spielregel“. Und in der geschlossenen Gesellschaft, in der jeder mit jedem verstrickt ist, an Agatha Christies „Murder-Mystery“-Konstellationen. Da hätte es kaum des Hinweises bedurft, dass der Filmproduzent einen Mystery-Thriller im Adelsmilieu recherchiert. Man weiß: Im amerikanischen Film ist der Mörder immer der Butler.

So einfach macht Altman es sich nicht. „Gosford Park“ ist ein durchweg urikanischer Film, ohne Übertreibungen, ohne Pathos, ohne Moral. In seinem Understatement ist er englischer als die Engländer selbst. Es hätte nicht zum Mord kommen müssen, damit man begreift, dass in dieser vergifteten Atmosphäre jeder jedem übel will. „Weh dem, der etwas zu verbergen hat“, orakelt ein Diener nach dem Mord. Ein Motiv hätte jeder – zu fein gesponnen ist das Netz der gegenseitigen finanziellen und sexuellen Abhängigkeiten. Und doch ist der Film an der Aufklärung des „Falls“ fast ebenso wenig interessiert wie der tolpatschige Inspektor (Stephen Fry), der alle Beweismittel selbst vernichtet. Denn der kalte, unbeteiligte Blick, mit dem Altman auf diesen Jahrmarkt der Eitelkeiten blickt, ist seine ganz eigene Spezialität. Die Erkenntnis, dass der Mensch egoistisch, snobistisch und unbelehrbar ist, taugt eben nicht für ein Happy-End.

Cinemaxx Potsdamer Platz, Delphi, International, Odeon (OmU), Yorck und New Yorck

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