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Kultur: Gefühltes 1985

Ehe-Elend aus dem Museum: „Ein Totentanz“ im Berliner Ensemble

Beseelt trippelt der Käpitän mit seinem Säbel um die Ikea-Sitzgruppe. Bald trägt er das Phallussymbol wie eine kostbare Reliquie vor seinem Militärjäckchen her, bald stößt er es zärtlich vor sich in den Wohnzimmerfußboden und umtänzelt es in einer Ausfallschritt-Choreografie, mit der er sich sofort bei jeder Volkstanzgruppe bewerben könnte. Die Theatermaschinerie spielt mit ihren Muskeln: Die Drehbühne rotiert, der Gatte regrediert, und garantiert bekämen wir jetzt noch einen fidelen Schuhplattler zu sehen, wenn Dieter Mann als Käpt’n Edgar sich nicht schon beim letzten Stechschritt überschätzt und mit einer Herzattacke hinterm Schöner-Wohnen-Sofa darnieder gelegt hätte. „Ist er tot?“, ruft Dagmar Manzel als seine Gattin Alice hoffnungsfroh vom Piano her, und das Publikum lacht, als säße es in einer Boulevard-Komödie.

Leider ist der zähe Käpt’n aber nicht verendet, den Gefallen tut er weder seiner Frau noch den Zuschauern. Ganze zweimal drei Akte lässt Strindberg noch ins Land gehen bis zu seinem Ableben. Bei Langhoff kommt es gar nicht erst zu diesem Todesfall, er inszeniert nur den ersten Teil des bösen Beziehungsknastes namens „Totentanz“. Die Zeit wird auch so lang genug, bis der eiserne Vorhang sich endgültig senkt nach eineindreiviertel Stunden Ehe-Elend. Viele Male muss der lustige Telegrafenapparat klopfen, der vorn am Bühnenrand thront wie eine Leihgabe aus dem Postmuseum. Und viele Male wird die hintere Salontür sich öffnen, um neben brausenden Videomeereswellen und waberndem Bühnennebel den Blick auf eine nach allen Regeln der Militärkunst gebildete Kanone freizugeben. Die Musealität der Ausstattung korrespondiert hervorragend mit der Langhoffschen Inszenierung.

Tatsächlich fühlt sich dieser Abend im Berliner Ensemble an wie eine befremdliche Zeitreise: das alte Deutsche Theater auf Gastspiel am Schiffbauerdamm. Thomas Langhoff - seit den achtziger Jahren Regisseur legendärer Inszenierungen und von 1991 bis 2001 Intendant im Haus an der Schumannstraße – versammelt die DT-Veteranen Dagmar Manzel und Dieter Mann, die seit 1983 und 1964 zum Ensemble gehörten, zum „Totentanz“. Wäre Götz Schubert nicht erst 1993 dazu gestoßen, würde man darauf schwören, anno, sagen wir, 1985 in der Schumannstraße zu sitzen. Inzwischen sind sie alle weg vom DT, Manzel und Mann spielen nur noch Gastrollen. Die Emotionalität, die solche Wiederauflagen mit sich bringen, ist beim Schlussapplaus nicht zu überhören.

Kurzum: Es handelt sich um eine Rarität, die fast schon Artenschutz verdiente und durchaus ihren nostalgischen Charme haben könnte, wenn Langhoff aus der Theatermottenkiste denn zumindest einen Beziehungskrimi oder eine Ehefarce oder eine sonst wie fesselnde Geschichte gezaubert hätte.

Läge ja auch nicht allzu fern bei diesem Schauspieler-Potenzial und Strindbergs Steilvorlage: Das „Totentanz“-Ehepaar lebt im Festungsturm auf einer Insel, wo offenbar jeder jeden inbrünstig hasst. Draußen patrouillieren die Wachtposten, drinnen quält und demütigt das gemeinsam einsame Paar einander mit einer Leidenschaft, zu der man nur fähig ist, wenn man sich noch gut daran erinnern kann, wie sehr man sich mal geliebt hat. Als Alices Cousin Kurt (Schubert) in der erotischen Funktion eines Quarantänemeisters auf der Insel eintrifft, öffnet sich die Konstellation zu jener weit umfassenderen Hölle der menschlichen Koexistenz, welche man gemeinhin die Gesellschaft nennt: Jeder koaliert je nach Interessenslage mit jedem und sattelt ohne mit der Wimper zu zucken um, sobald die Umstände es erfordern.

Anfangs lässt Langhoff TV-Komödie spielen. Die Manzel gibt sich wenig überraschend als zickige und latent immer noch liebende Ehefrau, Mann changiert formvollendet zwischen greisenhafter Infantilität und militärischem Stolz. Und Schubert staunt permanent mit großen Augen, wie unnett diese Eheleute miteinander umgehen. Statt Strindbergscher Beziehungssatanisten sind hier eher knuddelige Kampfhündchen am Werk. Eigentlich wollen sie nur spielen.

Wieder am 21. und 27. Dezember.

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