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Kultur: Gegen den Strom

Maler, Segler, Künstlerfreund: In Bremen wird der Impressionist Gustave Caillebotte wiederentdeckt

Wasser war sein Element. Und die Untiefen der Pariser Bohème, in deren Kreisen sich der Sohn aus gutem Hause geschmeidig wie ein Fisch bewegen konnte. Gustave Caillebotte trieben zwei große Leidenschaften: Malerei und Wassersport. Und er war zur selbstlosen Freundschaft begabt. Claude Monet etwa zahlte er über Jahre hinweg den Lebensunterhalt. Caillebotte, der 1894 mit 45 Jahren starb, ist als Sammler und Förderer der befreundeten Impressionisten in Erinnerung geblieben, kaum als impressionistischer Maler. Dabei hat er fünf der acht Pariser Impressionistenausstellungen nicht nur maßgeblich finanziert und mitorganisiert, sondern als ausstellender Künstler an ihnen teilgenommen.

Und er sammelte die Werke der Freunde, für die sich sonst kaum jemand interessierte. 40 Gemälde aus seinem Besitz, darunter Ikonen wie Manets „Balkon“ und Renoirs „Ball im Moulin de la Galette“, hat Caillebotte dem französischen Staat vererbt. 1896 gelangten sie als erste Impressionisten-Bilder überhaupt ins Museum. Nur Caillebottes Nachlassverwaltern ist es zu danken, dass noch zwei seiner eigenen Bilder zum Vermächtnis hinzukamen, darunter die erste Version der „Parkettabzieher“. Auf der Impressionistenausstellung 1876 hatte Caillebotte damit wegen der monumentalen Darstellung von Arbeitern einen Skandal erregt. Noch heute bildet die Kollektion den Grundstock des weltbekannten Pariser Musée d’Orsay.

„Über das Wasser“ heißt die großartige Caillebotte-Ausstellung in der Kunsthalle Bremen, die nach Kopenhagen und Madrid weiterwandern wird und leider ohne Leihgaben aus dem Musée d’Orsay auskommen muss. Sie stellt – ein Novum für Kunstmuseen – gleichrangig den Maler und den Segler vor. Ohnehin gehören Caillebottes Bilder von Skippern, Ruderern und Paddlern neben den frühen Pariser Großstadtansichten zu seinen innovativsten Arbeiten. Kompromisslos wie die Segelyachten, die Caillebotte nach seinen Entwürfen in der eigenen Werft am Seineufer südwestlich von Paris bauen ließ, um sie dann selbst bei den Regatten an der Küste der Normandie zum Sieg zu steuern. Und um sie anschließend auf den eigenen Bildern zu verewigen. Ein perfekter Wertschöpfungskreislauf.

Hinter solchen kapitalistischen Kapriolen lauern Fragen. Was für ein Typ war dieser Gustave Caillebotte eigentlich? Der große Unterschätzte unter den Impressionisten? Außerhalb Frankreichs, der USA und der Schweiz hat man ihm nie zuvor eine nennenswerte Einzelausstellung gewidmet. Ist er womöglich doch kein so guter Maler gewesen?

Feststeht: Mit seinem marktkonträren Verhalten würde Caillebotte noch heute gegen die Regeln des Kunstbetriebs verstoßen. Vermögen und gesellschaftliche Stellung hatten er und seine Brüder vom Vater geerbt, einem Tuch- und Wäschelieferanten der französischen Armee. Caillebotte malte aus Überzeugung, nicht weil er davon leben musste. Er war ein – akademisch ausgebildeter – Dilettant, ein Liebhaber der Kunst im klassischen Wortsinn. Entspannt einerseits, und doch voller Ehrgeiz.

Der allerdings konnte sich gleichberechtigt auch in anderen Rollen entladen: als Frankreichs bester Regattasegler, passionierter Briefmarkensammler, Orchideenzüchter. Oder als Lokalpolitiker in Petit Gennevilliers, 22 Eisenbahnminuten von der Pariser Stadtwohnung entfernt, wo der Künstler Haus und Werft besaß. Caillebotte, befand der literarische Oberästhet Joris-Karl Huysmans, sei ein „Maler der Bourgeoisie“. So wie Marcel Proust, möchte man hinzufügen, der Romancier des französischen Großbürgertums gewesen ist. Den Weg der Avantgarde sind beide aus Neugier und Intelligenz gegangen.

Wissenschaftlicher Entdeckerdrang kennzeichnet auch Caillebottes beste Bilder. Was zeitgenössischen Kritikern als „bizarre Perspektive“ erschien, kommt dem heutigen Betrachter vertraut vor: extreme Anschnitte, stürzende Linien, kräftige Diagonalen, kurz: eine „schräge“ Optik, wie man sie aus der analogen Fotografie kennt. Caillebottes jüngerer Bruder Martial war ein respektabler Hobbyfotograf. Ganz und gar außergewöhnlich – und außerhalb des impressionistischen Kanons – bleibt, was der Maler aus dem Angebot neuer Seherfahrungen macht. Da sind die frühen Interieurbilder wie „Das Frühstück“ oder „Lesende Frau“ mit ihren aberwitzigen Verkürzungen; mit Hintergrundfiguren, die sich zwergenhaft gegen den Möbel- und Ausstattungswahn behaupten müssen. Malerei an der Schwelle zur Psychoanalyse: Wenn das Interieur, wie Walter Benjamin es später formuliert hat, das Futteral der bürgerlichen Existenz ist, dann zeigt Caillebotte durch übertriebene Weite die entschiedene Enge dieser Schutzhülle.

Klaustrophobien erzeugt Caillebotte ebenso in seinen Stadtbildern, denen – im Gegensatz zu Monet – alles Landschaftliche abgeht. Immer wieder verwehrt der Künstler beim gemalten Ausblick aus der Wohnung am Boulevard Haussmann die Sicht auf den Horizont. Stattdessen: die beschränkte Sicht durch ein Balkongitter. Oder die Draufsicht auf eine Verkehrsinsel, Menschen als Ornament, ein paar Gaslaternen, genial! Und dann die Badenden, Ruderer und Paddler, die Caillebotte zeitgleich nahe des Familienlandguts am Flüsschen Yerres ins Bild setzt. Die Bootskörper, die hart in den Betrachterraum stoßen. All das hat nichts Impressionistisches, Heiteres mehr. Gustave Caillebotte war ein Gentleman-Maler, und sicher auch ein hyperaktiver Müßiggänger. Das gab ihm die Freiheit des desillusionierten Blicks.

Kunsthalle Bremen, bis 5. 10. Der Katalog (bei Hatje Cantz) kostet im Museum 29 €, im Buchhandel 35 €.

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