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Gegen die Wand: Crashtest der Berliner Mauer

Mit dem Mauerfall-Jubiläum ist es wie mit allen hochkarätigen Jahrestagen. Es ist viel zu viel, im Veranstaltungskalender, in den Medien – aber man kann nicht genug davon kriegen. Weil nicht jeder dasselbe präsentieren will, fördert die umfängliche Berichterstattung auch echte Raritäten zutage, die einen das Staunen lehren über den Aberwitz unserer Spezies.

Also die Mauer. Darüber denkt man gewöhnlich nicht nach: Dass Grenzen Bauwerke sind, dass Schlagbäume und Schranken gefertigt werden müssen. Dass Menschen mit dieser Arbeit ihre Familie ernähren (150 Mark für die Extraschicht der IFA-Metallbauer). Dass es Übungsgelände gab, zum Beispiel in Streganz, einem Dorf südöstlich von Berlin: mit Versuchsmauer, Panzer- und Häuser-Attrappen und einer Sperrvorrichtung, in die Testwagen hineinrasten (ausrangierte Westautos, ein Käfer, ein Ford), um zu sehen, was das per Knopfdruck von rechts nach links sausende Eisenrohr mit integriertem Stahlseil von ihnen übrig ließ: einen Schrotthaufen.

Crashtest-Dummys im Dienst der Terrorabwehr am antifaschistischen Schutzwall: Die Fahrer sprangen beizeiten auf Strohballen am Pistenrand. „Teststrecke zur Verhinderung von gewaltsamen Durchbrüchen mit KFZ“, hieß es auf Bürokratendeutsch. Eine Schnellsperre kostete 120 000 Mark, wegen der tonnenschweren Fundamente und des Hochleistungsmotors für die Fernsteuerung. Heute erstreckt sich dort eine hügelige Wiese mit Buschwerk und Kiefern, sandigen Wegen, einem verfallenen Zaun. Brandenburger Idylle, Archäologie der DDR.

Zu sehen ist all das in „Schranken“, einem der zahlreichen JubiläumsFernsehbeiträge, den 3 Sat an diesem Freitag ausstrahlt (22.30 Uhr). Der frühere Defa-Dokumentarist Gerd Kroske hat Pläne, Fotodokumente und Grenzanlagen-Holzmodelle aufgetrieben, er begibt sich auf die Spuren derer, die an der Mechanik der Unmenschlichkeit werkelten, daran, dass „die Sperrwirkung in feindwärtiger Richtung voll gewährleistet“ war. Ein früherer Hauptfeldwebel füttert seine Hasen und sagt, die Ampeln seien dann ja auf Rot gesprungen. Weiter machte man sich keine Gedanken über die Sperrwirkung für die Insassen der zu stoppenden Autos.

Bei solchen Szenen begreift man mehr über Täter, Opfer und Mitläufer als nach Dutzenden von Talkshows und Podiumsrunden, man begreift mehr über die DDR und über alle Staaten der Welt, die ihre Bevölkerung einsperren. „Der Staat“, so der einzige Kommentarsatz, „ist keine feindliche Erscheinung von draußen, in der man sich glücklich oder unglücklich fühlt, sondern er zieht in die Menschen ein – mit aller Wucht.“ Manchen Grenzgänger hat es das Leben gekostet.

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