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Kultur: Gegen die Wand

Andreas Nickels „Messner“ ist dem Trauma eines großen Bergsteigers auf der Spur.

Wenn er heute noch der Felskletterer wäre, der er mal war, dann würde Reinhold Messner sein eigenes Gesicht besteigen. Es gleicht immer mehr einer Wand, einer frostigen, von Rinnen, Spalten, tiefen Furchen durchzogenen, unbezwingbaren Nordwand. Dieses bärtige Gesicht. Es ist jetzt das eines 68-Jährigen, und die Berge haben Spuren eines extremen Lebens hineingefräst. Man studiert es, um eine Route durch das oftmals – vor allem zuletzt durch den Rechtfertigungsdruck wegen dieser alten Geschichte – versteinerte Antlitz zu finden.

Es gibt diese Route, und Andreas Nickel hat sie tatsächlich entdeckt. In „Messner“ kommt er zunächst zu der nicht gar so überraschenden Erkenntnis, dass der Bergsteiger ein Sisyphos ist, im Sinne Camus’, was nicht nur bedeutet, eigentlich ein glücklicher Mensch zu sein, sondern auch ein Held des Absurden. „In meiner Welt“, sagt Reinhold Messners Bruder Hans-Jörg, „würde man Wiederholungszwang dazu sagen.“

Ja, diese alte Geschichte. Sie hat sich 1970 ereignet. Und sie war eigentlich vergessen, bis Reinhold Messner 2001 in seinem Entlarvungsfuror an den unglücklichen Tod seines Bruders Günther am Nanga Parbat erinnert hat – in Form eines Vorwurfs an die damaligen Expeditionsteilnehmer. Das kam nicht gut an, Messner musste mehrere Bücher schreiben, um seinen Standpunkt zu untermauern. Und man sah auf Fotos einen Mann, dessen Blick mit Steinschlag drohte. Seine Stirn eine einzige Lawine. Auch Nickels Messnerfilm wirbt mit diesem Messnerbild, das ins Everest-Panorama hineinmontiert ist. Will sagen: Man kann sich diesem Mann nur über die Berge nähern, die er „gemacht“ hat. Und: Die innere Wahrheit Messners ist am Ende in seinem Gesicht zu suchen.

Ist das jetzt billig? Und was will man überhaupt noch von Messner wissen? Nach all den Expeditionsberichten, den zahllosen Büchern, in denen er sich erklärt hat, den Filmen und Museumsprojekten. Kein Aspekt seiner 18 Achttausender-Besteigungen, der nicht erschöpfend ausgeleuchtet worden wäre, von ihm, von anderen. Es gibt keinen anderen Abenteurer, der mit derart philosophischem Elan über „die Eroberung des Nutzlosen“ geschrieben hat.

Natürlich geht es Nickel um die Frage, die angesichts von Messners Leistungen die Menschen seit jeher beschäftigt. Woher kommt diese Energie? Was treibt den Mann aus dem Villnöss-Tal auf die schwierigen Gipfel und bis zum Pol? Und – vor allem – was lässt ihn überleben, während seine Begleiter oft umkommen?

Messners Kritiker haben dafür diese eine Erklärung: Egoismus. Aber natürlich erklärt das gar nichts. Das Ego ist nur zusätzliches Gewicht, das man einen Berg hochschleppen muss. Messners Antrieb ist die Auflehnung gegen alles, was Menschen für normal halten. Um diesen rebellischen Geist zu ergründen, hat der Regisseur sehr gute Kronzeugen – Mediziner, Pädagogen und Psychoanalytiker. Sie wissen, worüber sie reden. Messner ist stets umgeben gewesen von Deutern, seinen eigenen Brüdern. Vor Nickels Kamera sagen sie kluge Sätze über den Zweitältesten, mit dem sie das Schicksal des Elternhauses verbindet. Grausamer als der Vater konnte keine Nordwand sein.

Wäre da nicht dieser selbstherrliche Zug an Messner, der umso nerviger ist, je mehr Worte er macht, man würde ihn längst verehren wie Muhammad Ali, ja, lieben. Und in „Messner“ redet er wieder viel. Bis dann dieser kurze Moment kommt, der allein den Aufwand einer Kino-Dokumentation rechtfertigt. Da fehlen Messner plötzlich die Worte. Er schaut nur unendlich verzweifelt in Erinnerung an die alte Geschichte. Er wird es wohl nie überwinden, dass er seinen Bruder Günther am Nanga Parbat zunächst aus seinen Plänen „ausgeklammert“ und dann buchstäblich verloren hat.

Cinemaxx, Kulturbrauerei, Colosseum

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