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Kultur: Gegen die Wirbelsäule

Die Vorfreude wurde überlagert vom Abschiedsschmerz. Denn möglicherweise zum letzten Mal findet das Tanzfestival "Körperstimmen no 7" im Podewil statt.

Von Sandra Luzina

Die Vorfreude wurde überlagert vom Abschiedsschmerz. Denn möglicherweise zum letzten Mal findet das Tanzfestival "Körperstimmen no 7" im Podewil statt. Zum Auftakt wurde Hochkarätiges aufgeboten. Meg Stuart zeigte eine Wiederaufnahme von "Disfigure Study" aus dem Jahr 1991, mit dieser bahnbrechenden Arbeit wurde vor zehn Jahren das Podewil eröffnet. Stuart, eine der einflusssreichsten Choreographinnen weltweit, wandte sich vor Beginn der Vorstellung mit einem kurzen Statement ans Publikum. Als "shocking" empfindet die Choreographin den Senatsbeschluss, dem Haus die Mittel zu streichen. Sie selbst fühlt sich dem Kunstzentrum eng verbunden.

Eine bewusste Entscheidung für das Podewil stellt auch das jetzige Gastspiel dar, denn Stuart zeigt diese Arbeit nur an wenigen ausgesuchten Häuser. "Disfigure Study" beginnt in der Stille. Von einem hohen Tisch baumeln zwei Männerbeine. Ein Fuß fährt langsam die Wade entlang, fast hat es den Anschein, als würden diese Beine sich selbst streicheln. In Bildern von schmerzlichen Intensität erzählt Meg Stuart von dem Hunger nach Berührung, von quälender Begierde. Obsessiv wirkt dieser Wunsch, den Anderen zu fassen und erfassen. Zugleich zeigt Stuart tastende Versuche, sich selbst zu begreifen. Das Solo von Simone Aughterlony zeigt eine Rückenansicht. Den Arm nach hinten verdreht, tastet die Tänzerin mit der Hand die Wirbelsäule entlang: eine Selbstberührung, die von Widerstand und Fremdheit erzählt.

Bereits die erste abendfüllende Arbeit von Stuart radikalisiert das Köperbild. Sie markiert die Bruchlinien im Körper, erkundet eine Landschaft aus "displacements". Die Bewegung ist ein beständiges Umordnen. Der Wunsch nach Kontakt entpuppt sich als Drang, sich des Anderen zu Bemächtigung. Simone Aughterlony drückt Joséphine Evrard an sich, verbiegt ihren Körper, lässt ihn abrupt zu Boden fallen. Evrard ist das willenlose Objekt, ein passiver Körper, der den Wunsch provoziert, ihn zu verletzten. Diese Ambivalenzen werden durchgespielt, mit rabiater Komik. In "Disfigure Study" hat Stuart zu ihrem choreographischen Vokabular gefunden.

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