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Kultur: Gegenstand Gegenwart

Das Hamburger Kunstgewerbemuseum zeigt politische Fotos von Steve McCurry – und geht auch sonst neue Wege.

Das farbenprächtige Plakat zeigt fünf Frauen in traditionellen Burkas vor einem Marktstand in Kabul. Über ihren Köpfen baumeln Turnschuhe aus westlicher Massenproduktion. Das inhaltlich kontrastreiche Bild stammt von dem amerikanischen Fotojournalisten Steve McCurry, der 1992 für eine Reportage über den Afghanistan-Krieg im Lande war. Derzeit sind im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe 120 weitere seiner Aufnahmen aus 30 Jahren zu sehen, in denen er Krisengebiete, verschwindende Kulturen und Globalisierungsfolgen in Asien dokumentierte. Darunter befindet sich auch jenes Porträt einer Zwölfjährigen mit strahlend grünen Augen aus dem pakistanischen Flüchtlingslager in Nasir Bagh, das ihn weltberühmt machte.

Solche Bilder in einem Kunstgewerbemuseum, wo man eher historisches Mobiliar, Goldschmiedekunst, Porzellane vermuten würde? In Hamburg ist das schon lange üblich. Immer häufiger präsentiert das Haus am Steintorplatz scheinbar Sachfremdes, aber Hochaktuelles, politisch Brisantes. Zum Jahresbeginn machte dort „Endstation Meer“ Furore – mit 70 000 nicht zuletzt jungen Besuchern. Die Ausstellung berührte auf ihre Weise ein Kernthema des Kunstgewerbemuseums: den Umgang mit Materialien und Ressourcen. Es ging um Nachhaltigkeit und das, was von „Design“ übrig bleibt. Um die gigantische Plastik-Suppe in den Ozeanen und die globalen ökologischen Gefahren durch die massenhafte Verschwendung von Kunststoff.

Mitten in den ehrwürdigen Hallen türmte sich damals ein Riesenhaufen echten Treibguts – kaputtes Spielzeug, Tüten, Flaschen, Autoreifen und Kanister, gesammelt bei Strandsäuberungen auf Hawaii, Sylt und Fehmarn. Im August wird mit „Kairo“ das nächste aktuelle Politikum fotografisch zur Diskussion gestellt. Untersucht wird die Rolle der Bilder und der sozialen Netzwerke, die in Ägypten die Massenproteste auf dem Tahrir-Platz bis zum Sturz von Präsident Mursi in Gang setzten.

Das 1874 von Justus Brinckmann gegründete Museum ist mit seiner Sammlung historischer Tasteninstrumente und dem 1909 aus dem Hamburger Budge-Palais übernommenen Spiegelsaal auf neuem Kurs. Es bleibt nahe an angewandter Kunst, bereitet seine Themen aber niedrigschwellig auf. Die Prunkräume, Cembali und Spinette locken heute nur noch wenig Publikum. Dem Hamburger Haus erging es damit wie vielen anderen Kunstgewerbemuseen, die seit Jahren in einer Sinnkrise stecken. Im 19. Jahrhundert vorbildhaft für Produzenten von Alltagsgegenständen eingerichtet, waren die meisten 100 Jahre später nur noch Sammelsurien von altem Porzellan, Glas und Möbeln. Die Besucherzahlen sanken, in Wien und Berlin ebenso wie in Frankfurt, Köln und Hamburg.

In Wien hat man früh reagiert und setzt seit 1986 besonders auf den Ankauf zeitgenössischer Objekte. Im Rheinland wird die Sammlung neuerdings um maßgebliches Design des 20. und 21. Jahrhunderts ergänzt. Das Frankfurter Museum eröffnete im April nach dem Umbau mit einem radikal geänderten Konzept und setzt seine Objekte von der Ming-Dynastie bis zur Frankfurter Küche in Beziehung zur Gegenwart. In Berlin wird seit knapp zwei Jahren am Kulturforum gewerkelt, das Architekturbüro Kuehn Malvezzi gestaltet die Innenräume um.

In Hamburg ist es Sabine Schulze, die bereits seit 2008 die thematische Neuorientierung verantwortet. „Vorbildersammlungen wie zu Gründungszeiten der Museen brauchen wir nicht mehr. Dafür gibt es heute andere Medien“, sagt sie. Die Direktorin nutzte die Sanierung des Gründerzeitbaus, um das Konzept komplett umzukrempeln. Seit März ist der Umbau beendet und mit der Sammlung Mittelalter die letzte große Abteilung eröffnet. Schon zuvor waren schrittweise die Sektionen Moderne, Antike, Renaissance und Buddhismus neu präsentiert worden. Besondere Aufmerksamkeit erregte der Design-Flügel mit dem spektakulären Einbau von Verner Pantons berühmter „Spiegel“-Kantine. Das Museum ist so sichtbar in der Gegenwart angekommen – auch wenn Pantons Interieur von 1969 stammt. Sein Design aber hat zuletzt eine ästhetische Neubewertung erlebt. Und das Museum stellt sich auf heutige Sehgewohnheiten ein. Mit Erfolg: Im ersten Halbjahr 2013 kamen 150 000 Besucher, so viele wie im Vorjahr insgesamt.

Auch finanziell agiert die Museumschefin geschickt: Die Kostenlücke für die Neupräsentationen füllte sie nach US-amerikanischem Muster mit Saalpatenschaften durch Stiftungen und Einzelpersonen. So kamen zusätzlich zwei Millionen Euro zusammen. Schulzes Vertrag wurde unlängst um weitere fünf Jahre verlängert. Auf ihr Publikum will die Hausherrin auch in Zukunft lebensnah zugehen. Nach der Katastrophe in der Textilfabrik in Bangladesch plant sie eine Ausstellung über Massenproduktion und Ausbeutung von Arbeitskräften in der Bekleidungsindustrie. Ulla Fölsing

Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe, „Steve McCurry – Überwältigt vom Leben“, bis 29. September.

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