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Kultur: Geist kommt von Witz

Zum 70. des Regisseurs Dimiter Gotscheff.

Mit den „Persern“ des Aischylos beginnt unsere Theatergeschichte. So will es die Überlieferung, es ist das älteste erhaltene Stück, uraufgeführt 472 v. Chr. in Athen. In diesem Zusammenhang muss eine andere Jahreszahl auftauchen – 2006, im Oktober. Da hatte am Deutschen Theater Berlin Dimiter Gotscheffs Inszenierung jener „Perser“ Premiere. Die Klugheit der gesamten Anlage, die Intensität des Spiels – kein anderes Theater und kein anderes Stück hat seither diese Qualität erreicht. Gotscheffs „Perser“ mit der berühmten Drehwand von Mark Lammert bleiben ein Solitär.

Vor ein paar Wochen lief die 100. Vorstellung, und siehe da: Die Wucht des Kriegsdramas haut das Publikum noch immer um. Die Inszenierung hat nichts von ihrer Schärfe verloren. Margit Bendokat, Almut Zilcher, Samuel Finzi und Wolfram Koch waren wieder einmal, immer wieder brillant. Man nennt sie die Gotscheff-Family. 2010 wurde Margit Bendokat mit dem Berliner Theaterpreis geehrt, 2011 ging die begehrte Auszeichnung an Gotscheff und die anderen drei. Das war gerecht, denn wo gibt es sonst Theater von solchem Kaliber und Witz? Und Witz kommt bei Gotscheff von Geist, von den Hausgeistern.

Da wäre an erster Stelle unbedingt Heiner Müller zu nennen. Gotscheff hält wie kein Zweiter die Erinnerung an den großen dunklen Dramatiker wach, er inszeniert (und spielt zuweilen selbst) Müller-Programme; zuletzt am Thalia-Theater Hamburg. Bei dem verrutschten Shakespeare-Abend im DT war auch wieder viel Heiner drin; wie auch die „Perser“-Übersetzung Müllers Handschrift trägt.

In Bulgarien geboren, kam Gotscheff, den seine Freunde Mitko nennen, 1962 in die DDR. Seine Lehrer waren Benno Besson und Fritz Marquardt. 1979 ging er nach Bulgarien zurück und kam 1985 in die Bundesrepublik. Seit über einem Jahrzehnt ist er wieder in Berlin, er feierte an der Volksbühne und am Deutschen Theater vor allem auch mit Tschechow-Inszenierungen Erfolge. Tschechow ist für Gotscheff kaum weniger wichtig als Müller. In einem Gespräch mit „Theater der Zeit“ hat er erklärt: „Beckett sagt über Tschechow, er habe ein einzigartiges Lächeln. Ein Lächeln, das auch eine Fratze sein kann. Es ist tief, endet nicht in bloßer Sozialkritik. Es ist zugleich horizontal und vertikal.“

Und das gilt ebenso für Gotscheff, den Regisseur, und seine Schauspieler: Ihr Lächeln ist gefährlich und verletzlich. Gotscheff zeigt die Gefährdung der Intelligenz – und ihre Grausamkeit, dabei ist er Heiner Müller nah. Vermutlich ist er ein Fatalist und Geschichtspessimist. Aber man spürt in seiner Präsenz, seinem Theater auch Geborgenheit. Seine Stimme ist tief wie ein Brunnen, sein wilder Haarschopf lässt ihn manchmal ausschauen wie eine alte Bäuerin vom Balkan. Es selbst hat sich einmal als „halben Griechen“ bezeichnet, 2009, als er gemeinsam wieder mit Mark Lammert „Die Perser“ des Aischylos im Amphitheater von Epidauros in Szene setzte, mit griechischen Schauspielern. Eine Bendokat haben die dort nicht auf dem Peloponnes, dafür aber Zikaden, die das Dunkelblaue vom Himmel herunterzirpen. Am heutigen Freitag feiert Dimiter Gotscheff seinen 70. Geburtstag. Darauf einen griechischen Wein! Rüdiger Schaper

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