Kultur: Geister von gestern morgen

Es wird ein historischer Moment, wenn heute Abend an der Lower Eastside von Manhattan das vor vier Jahrzehnten aus New York vertriebene Living Theatre in seinem neuen Haus in der Clinton Street Nr. 19–21 wieder Premiere hat. Dabei spielt das legendäre Living zur Eröffnung ein Stück Theatergeschichte. Denn mit Kenneth Browns „The Brig“, einem Drama über das brüllend unmenschliche, folternde, abtötende Innenleben eines US-Militärgefängnisses, trifft man einen Nerv der von Guantanamo und Abu Ghraib geprägten Bush-Zeit.

Aber „The Brig“ ist auch das Stück, nach dessen Aufführung 1963 die Bundespolizei 25 Akteure festnahm, worauf die beiden Living-Gründer Julian Beck und Judith Malina zu mehrwöchigen Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Anschließend emigrierte die Gruppe aus dem von Vietnamkriegsprotesten, Kubakrise und Rassenunruhen erschütterten Amerika – und wurde dank ihrer Tourneen weltberühmt. „The Brig“ kam auch nach Deutschland, und beim späteren Gastspiel von „Paradise now“ bejubelten 3000 Zuschauer im damaligen Berliner Sportpalast ein orgiastisches Spektakel, mit dem das Living zum Inbegriff des Slogans „Make love not war“ wurde.

Jubel, Rührung und bei den Jungen viel Erstaunen über die unsterblichen Geister des politischen Theaters von gestern Morgen gab’s auch letzten Juni, als die überfüllte Berliner Akademie der Künste Judith Malina zu ihrem 80. Geburtstag feierte. Die in Kiel geborene Tochter eines Rabbiners, als junge Emigrantin in New York noch Schülerin von Erwin Piscator, war in ihrer anarchisch-pazifistischen Energie noch immer eine springlebendige Königin des freien Theaters. Dieser Auftritt und die Geschichte des Living ist jetzt auch auf der DVD „Resist!“ zu sehen, die vor allem die gleichnamige großartige Dokumentation des Berliner Filmemachers Dirk Szuszies enthält: eine Reise mit dem Living zum blutigen G-8-Gipfel in Genua oder in den kriegerischen Libanon. Friedliche Anarchisten im Kampf der Kulturen (24,95 €, bei www.karinkaper.com).