zum Hauptinhalt

Kultur: Geisterbesuch

Kühle Sehnsucht: Poliça im Heimathafen Neukölln.

Marijuana Deathsquads veranstalten im Vorprogramm ein wuchtiges Noise-Geballer. Die fünf Jungs aus Minneapolis scheinen in ihrer Jugend viel Atari Teenage Riot gehört zu haben. Gerade als ihr von zwei Drummern angetriebenes, pausenloses Set zu einer langweilenden Masse zu zerfließen droht, mischt sich eine Frauenstimme ein – stark verzerrt, aber sofort erkennbar. Es ist Channy Leaneagh, die Sängerin von Poliça, bekannt für ihren extrem durch Autotune manipulierten Gesang.

In Jeans und Kapuzenjacke drückt sie sich am rechten Rand herum, als sei sie gar nicht da. Ihre Stimme lässt sie immer wieder in den Klanggewittern von Marijuana Deathsquads untergehen. Diese Lust am Verschwinden und die Gespensterhaftigkeit ihrer Stimme prägen auch den Sound von Poliça, mit denen Leaneagh wenig später auf die Bühne des ausverkauften Heimathafens zurückkehrt. Jetzt trägt sie ein ärmelloses, schwarzes Minikleid und tänzelt gelegentlich mal in die Mitte. Meist sieht man aber nur ihre schmale Silhouette, denn sie wird – wenn überhaupt – bloß von der Seite angestrahlt.

Poliça bestehen neben ihr aus den Drummern Drew Christopherson und Ben Ivascu, dem Bassisten Chris Bierden und dem Produzent Ryan Olsen, der leider nicht dabei ist. Beats und Synthesizer kommen von der Festplatte, sie spielen in der suboptimalen Mischung eine untergeordnete Rolle. Das ist insofern schade, weil sich die Gruppe gerade in diesem Bereich auf ihrem großartigen zweiten Album „Shulamith“ stark verbessert hat. Schön nach vorne dringt immerhin das quäkende Motiv von „Very Cruel“, das ähnlich wie „Smug“ eine an Portishead erinnernde Atmosphäre sehnsuchtsvoller Kühle heraufbeschwört.

Die beiden Schlagzeuger sind natürlich eine Attraktion für sich, wenn sie etwa mit synchronen Breaks und anschließendem Vollgas-Gewirbel die Aufmerksamkeit auf sich ziehen oder mit großer Akribie verschachtelte Rhythmusgewölbe errichten. Der fröhlich auf der Stelle achtelnde Bassist Bierden bringt Schwung in den Song „Dark Star“. Und mit ihm allein beginnt Leaneagh auch den kurzen Zugabenteil, der dann seltsam abrupt abbricht. Die Bühne wird dunkel, und die Geister huschen grußlos davon. Nadine Lange

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false