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Kultur: Geldsäcke und Kulturbeutel

Theaterkrisen in Zürich, Hamburg, Berlin: Die Rechnung, die jetzt aufgemacht wird, hat viele Wirte

Ein Skandal? Christoph Marthaler gibt zum Ende der nächsten Spielzeit vorzeitig die Leitung des Zürcher Schauspielhauses auf, weil er einfach nicht mehr kann. Die Finanzen! Die Politiker! Die Krise! Schlimm, was in Hamburg passiert? Tom Stromberg, Intendant des Schauspielhauses, Deutschlands größtem Sprechtheater, wird von Kultursenatorin Dana Horakova öffentlich demontiert und kann seine Vertragsverlängerung wohl abschreiben. Und in Berlin erst – da denkt der Finanzsenator lauthals über die faktische Liquidierung von Schaubühne und Berliner Ensemble nach. So geht das schon die gesamte Spielzeit. Rezession, Sezession, Zersetzung. In Freiburg, in Aachen, in Erfurt wackeln und zittern die Ensembles ihrem kulturpolitischen Ende entgegen.

Doch ist es seltsam still geworden. Selbst in den Feuilletons der großen Tageszeitungen, wo die Theaterschmerzen sonst endlose Spalten füllten, übt man sich in Zurückhaltung. Sind nicht auch die Zeitungen – wie die Theater – Teil einer viel größeren, umfassenden Krise und eines gesellschaftlichen Wandels, dessen weitere Auswirkungen noch gar nicht abzusehen sind?

Bald ein Jahr liegt der große Zürcher Aufruhr zurück. Bürgerinitiativen und eine breite Medienfront stellten sich seinerzeit hinter Marthaler, als der Verwaltungsrat ihm den Laufpass geben wollte. Noch einmal war, durchaus romantisierend, vom „Kulturkampf“ die Rede. Vom heiligen Krieg zwischen Künstlern und Geldsäcken. Doch schon damals war Vorsicht geboten. Denn bei allem Respekt und aller Liebe: Christoph Marthaler und seine Chefdramaturgin Stefanie Carp hatten das Zürcher Schauspielhaus recht locker geführt. Schlechte Besucherzahlen, ständige Defizite schlugen zu Buche. Und Marthaler, der Künstler und Visionär, ließ immer wieder durchblicken, wie sehr ihn der Betrieb ermüde.

Marthaler und Zürich, das war von Anfang an ein gut gemeintes nationales Missverständnis – der Schweizer Regiestar an der Spitze der wichtigsten Schweizer Bühne. Ein anarchischer Künstler kann eben kein Schauspielhaus leiten. In Hamburg freilich lief die Chose genau umgekehrt. Die frühere Kultursenatorin Christina Weiss, heute Staatsministerin für Kultur in der Bundesregierung, hatte mit Tom Stromberg einen (Event-)Manager zum Schauspielhausintendanten berufen. Und auch der stieß sogleich, wie Marthaler und Carp in Zürich, an seine Grenzen. Schwacher Besuch, Etatprobleme, schwerer Imageverlust. Also: Darf man den Theaterbetrieb auf keinen Fall den „Managertypen“ überlassen? Sind die großen Häuser, egal wie, unregierbar geworden?

So vieles geht durcheinander in der augenblicklichen Situation. Sicher ist: Die kulturpolitische Hemmschwelle liegt niedrig wie nie zuvor. Eine imkompetente Person wie Dana Horakova kann nach Lust und Laune ihren Teil zur Demontage einer bedeutenden Kulturinstitution beitragen. Sicher ist aber auch: Die Marthalers, Carps und Strombergs haben auf Grund fataler Fehleinschätzungen selbst tüchtig an der Malaise mitgearbeitet. Das Schlimmste aber ist: Nun gerät die gesamte Branche, da einmal Krise herrscht, in Verschiss.

Dabei findet man für jeden Reinfall ein leuchtendes Gegenbeispiel. Hamburgs Thalia Theater macht unter Intendant Ulrich Khuon (kein Künstler!) Furore; da floriert ein Groß-Stadttheater wie in den guten alten Zeiten. In Bochum haben Intendant Matthias Hartmann (ein Regisseur) und Chefdramaturg Thomas Oberender (ein Dichter) das Schauspielhaus wiederbelebt. Und alle schauen auf das hart erarbeitete, anhaltende Theaterwunder der Berliner Volksbühne. Ihr Chef Frank Castorf aber schweigt zu alledem. Ohne Geschwätz auch keine Krise?!

Es ist die Stunde der Pragmatiker. Es zeigt sich, dass dort, wo das Theater mit Ideologien und vorgeschützter Avantgarde bolzt, das Unheil angezogen wird. Ideologisch waren Stromberg und Marthalers Carp, als sie den großen Paradigmenwechsel zur multimedialen Performance propagierten. Frankfurts Theaterchefin Elisabeth Schweeger gehört gleichfalls zur Schule der diskurskritischen Pfauen. Auch die neue Berliner Schaubühne kam nicht aus dem Knick, so lange sie sich mit jungwilder Programmatik selbst einengte. In dieser Spielzeit hat sich plötzlich der Horizont geweitet, der Erfolg bleibt nicht aus. Ähnliches gilt für Claus Peymann und das Berliner Ensemble. Die Bude ist voll, die Finanzen stimmen. Als Boutique brummt das BE. Peymann gibt sich keine politische Blöße mehr – und gibt den Theaterzirkusdirektor alter Schule, der das Theater nicht neu erfindet, aber die traditionellen Theatergänger (und Steuerzahler) bei Laune hält.

In dieser Situation Schaubühne und Berliner Ensemble zu attackieren und gar zur Disposition zu stellen, das überbietet die Hamburger und Zürcher Farcen. Das ist ein neues Phänomen: Theater werden diskreditiert, obwohl sie reüssieren. Obwohl sie sich ihrem Auftrag stellen, das Repertoire zu pflegen – und zu erneuern.

Man muss Kulturpolitikern zubilligen, dass sie eingreifen, wenn eine Bühne Auflösungserscheinungen zeigt. An den beiden bedrohten Berliner Traditionshäusern ist nun gerade dies nicht der Fall. BE und Schaubühne (und das kleine Gorki Theater) befinden sich in einer Phase der Konsolidierung. Sie haben Zuspruch. Und vor allem die Schaubühne hat bereits erhebliche Sparleistungen erbracht.

Es ist die Stunde der Boulevard-Schlagzeilen. Man spürt, welche Macht dem Gerücht zukommt. Dem Gerücht nämlich, dass Theater seine selbstverständliche Stellung in der Gesellschaft eingebüßt habe. Freilich, jedes Gerücht hat einen wahren Kern. Und darauf stürzen sich Politiker in der Not der gegenwärtigen Haushaltsdebatten. Weil es die Theaterkunst jetzt auch zu selten schafft, dieses Gerücht zu dementieren.

Rüdiger Schaper

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