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Kultur: Geldverschwendung oder Spitzenforschung? Die Polemik von Hans Graßmann wird heiß diskutiert

Die Hamburger Forscher weisen die Kritik zurück und betonen die Vielseitigkeit der Milliarden teuren AnlageThomas de Padova "Vielleicht ist es ja eine grundsätzlich neue Physik, die sich jetzt mit einem Wetterleuchten angekündigt hat." Die Worte aus dem Jahresbericht eines der größten deutschen Forschungsinstitute, dem Teilchenbeschleuniger Desy in Hamburg, klingen verheißungsvoll.

Die Hamburger Forscher weisen die Kritik zurück und betonen die Vielseitigkeit der Milliarden teuren AnlageThomas de Padova

"Vielleicht ist es ja eine grundsätzlich neue Physik, die sich jetzt mit einem Wetterleuchten angekündigt hat." Die Worte aus dem Jahresbericht eines der größten deutschen Forschungsinstitute, dem Teilchenbeschleuniger Desy in Hamburg, klingen verheißungsvoll. Doch nach Ansicht des Teilchenphysikers Hans Graßmann werden die Steuerzahler und Laien mit derartigen Sprüchen immer häufiger für dumm verkauft. "Es gibt keine neue Physik am Desy", schrieb Graßmann am Montag im Magazin "Der Spiegel". Im Gegenteil: Die "öden Zahlenkolonnen", die das Institut produziere, hätten mit Physik nichts zu tun. Das Institut verschlinge einen Jahresetat von 250 Millionen Mark und schade der Stellung der Physik in der Gesellschaft, statt ihr zu nützen. Es müsse geschlossen werden.

Graßmann, selbst Teilchenphysiker und zur Zeit Dozent an der Universität Udine in Italien, greift in dem polemischen Beitrag nicht nur das Desy an. Er trifft damit eine ganze Branche. Denn das Institut führt hierzulande einen Forschungszweig an, dessen Breitenwirkung in den vergangenen Jahren mehr und mehr verlorengegangen ist.

In den 60er, 70er und 80er Jahren schossen an vielen Universitäten und Forschungsinstituten riesige Labors aus dem Boden. In kilometerlangen Vakuumröhren wurden Atomkerne und Elektronen beschleunigt und rasend schnell. Die Forscher ließen die flotten Partikel aufeinander prallen und schauten sich mit großen Detektoren die Trümmer an, die die Kollisionen hinterließen. Ein nicht gerade elegant erscheinendes Verfahren, vergleichbar mit dem Versuch, den Aufbau einer Armbanduhr zu ergründen, indem man sie mit aller Kraft gegen die Wand wirft.

Eine bessere Methode, die Gestalt der Atomkerne zu studieren, gibt es bis heute nicht. Sie hat sich durchgesetzt und nicht nur die Struktur der Atomkerne, sondern eine Vielzahl bisher unbekannter Elementarteilchen zum Vorschein gebracht. Diese Partikel fügen sich inzwischen zu einem weithin anerkannten Konzept zusammen: dem Standardmodell der Elementarteilchen.

Die 60 darin aufgeführten Teilchen verdeutlichen unter anderem, dass der Mikrokosmos nicht so einfach beschaffen ist, wie es einige Forscher vermutet hatten. Die Bestandteile eines Atomkerns, die Protonen und Neutronen, erscheinen uns heute als hochgradig komplexe Gebilde. Die Frage, ob die Welt wirklich aus kleinsten Partikeln besteht, lässt sich nach wie vor nicht beantworten.

Einige der beobachteten Elementarteilchen etwa lassen sich nicht einmal von ihrer Umgebung trennen: Quarks treten immer nur im Verband auf und werden von extrem starken Kräften zusammengehalten. Jeder Versuch, ihre Bindung aufzubrechen, scheitert. Stattdessen entsteht dabei eine Vielzahl neuer Quark-Pärchen. Ein einzelnes Quark aber hat noch nie jemand beobachten können. Es stellt sich die Frage, ob unsere Vorstellung von "Elementarteilchen" hier nicht an eine prinzipielle Grenze stößt.

Am "Deutschen Elektronen-Synchrotron", wie das Desy ausgeschriben heißt, wird unter anderem die Kraft studiert, die die Quarks zusammenhält. Das Hamburger Institut, an dem im vergangenen Jahr 3400 Wissenschaftler aus 35 Ländern forschten, ist die einzige Einrichtung hierzulande, an der solch detaillierte Untersuchungen möglich sind. Und es liegt in der Natur der Sache, dass dabei lange Messreihen gemacht werden müssen, deren Zweck der Öffentlichkeit nicht immer leicht zu vermitteln ist.

Graßmann allerdings bekräftigt seine Kritik gegenüber dem Tagesspiegel. Das Desy habe in der Teilchenphysik in Deutschland inzwischen eine Monopolstellung erreicht, sagt der Physiker, der an Großforschungseinrichtungen am Cern bei Genf und am Fermilab bei Chicago gearbeitet hat. "Doch die wird offensichtlich ausgenutzt." Präzisionsmessungen am Desy kämen im internationalen Vergleich zu spät, interessante Fragen der Forschung blieben ausgeklammert.

Das Desy-Direktorium und zahlreiche andere Wissenschaftler weisen diese Vorwürfe zurück. "Desy ist ein Highlight in der deutschen Großforschung", urteilt Roland Sauerbrey aus dem Vorstand der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. Nicht nur der Forschung in der Teilchenphysik wegen. Desy habe sich auch anderen Gebieten erfolgreich zugewendet. Unter anderem wird die am Beschleuniger erzeugte hochenergetische Strahlung dafür genutzt - ähnlich wie am eigens dafür gebauten Teilchenbeschleuniger Bessy II in Berlin -, um Materialoberflächen oder Proteine zu analysieren.

Diese Symbiose aus Teilchenphysik und Strukturforschung soll auch die Zukunft des Desy sichern. Doch um diese Zukunft und möglicherweise die gesamte Teilchenphysik in Deutschland sieht es nach Ansicht von Experten finster aus, wenn das Institut nicht abermals ausgebaut wird. Und das verleiht Graßmanns Kritik Brisanz. Denn wer heute noch tiefer in die Materie hineinschauen und grundsätzlich Neues erfahren möchte, der muss dafür Milliarden aufbringen. Lassen sich solche Ausgaben noch rechtfertigen?

Am Forschungszentrum Cern wird derzeit ein Gerät gebaut, das neue Einblicke ins Innerste der Atomkerne verspricht. Auch Deutschland ist daran beteiligt. In Hamburg, in den USA und in Japan liegen ebenfallls Pläne für noch größere Teilchenbeschleuniger in den Schubladen. Der Wissenschaftsrat wird das Desy-Projekt, bei dem Elektronen in einem 33 Kilometer langen Tunnel von Hamburg Richtung Westerhorn flitzen sollen, begutachten müssen. Beim US-Senat stoßen unterdessen Pläne für einen 30 Kilometer langen Beschleuniger auf wenig Gegenliebe. Das Energieministerium schätzt die Kosten dafür auf rund acht Milliarden Dollar.

"Allen ist klar, dass es nicht drei solche Maschinen auf der Welt geben wird", sagt Ties Behnke, leitender Wissenschaftler am Desy. "Es wird ein internationales Projekt sein" - was auch Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn bereits zum Ausdruck gebracht hat. "Aber das Desy hat dabei sehr gute Chancen", sagt Behnke.

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