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Kultur: Geliebter Tod

Bayreuther Festspiele, die letzte: „Tristan“ und „Parsifal“ bewähren sich

Nach Glück und Scheitern des Nibelungen-„Rings“ bieten auf dem Grünen Hügel zum Abschluss des ersten Zyklus nun zwei Werke den denkbar erdenklichsten Kontrast. Die Regisseure Christoph Marthaler und Christoph Schlingensief widmen sich dem „Tristan“ und dem „Parsifal“, Ersterer im zweiten, Letzterer bereits im dritten Jahr. Die Herangehensweise könnte unterschiedlicher nicht sein: Klinisch präzis der eine, überbordend in seiner Bilderflut der andere. Wagner schrieb über „Parsifal“ an Mathilde Wesendonck, dass der verwundete Amfortas sein „Tristan des dritten Aktes mit einer undenklichen Steigerung“ sei. Zwei Helden, die sich danach sehnen, sterben zu können. Zwei Welten, die sich auch darin gleichen, dass es in ihnen keinen Alltag gibt. Kein Spinnen, Schmieden und Hämmern. Nur der Tod ist das Ziel.

Traurigkeit einer Morgendämmerung. So öde geht selten ein Tag auf wie in diesem Traumbild, das einen Salon aus fernen Tagen zu einer Seelenlandschaft macht. Man befindet sich im Bauch des Schiffs, auf dem Isolde nach Kornwall, zur Ehe mit König Marke befördert wird. Längst ist Tristan und Isolde das Verhängnis ihrer Liebe bewusst, bevor der Liebestrank sie offenbart. Eine Verwechslung, ein geglaubter Todestrank reißt die Verschwiegenheit auf. Isolde über Tristan und diesen falschen Trank: „Dem einzig am Tode lag, den gab er wieder dem Tag.“

Wenn in Marthalers Inszenierung während des Orchestervorspiels der Tag erwacht, so will es scheinen, als sei dies der letzte. Die Stimmung der ganzen „Handlung“ lastet auf dem Raum, einer der schönen Hallenbauten Anna Viebrocks. Marthaler überrascht in der Wiederaufnahme seines „Tristan“ von 2005 mit feinerer Personenregie. In irische Wolle gekleidet sind Isolde und Brangäne, die beiden Frauen, noch ganz bei sich selbst. Ihr Dialog wird zum Gedankenaustausch buchstäblich zwischen den Stühlen, darin man sich betten, lehnen, lauschen, sich abwenden kann. Heimatlose. Allein mit ihrem Gewissen sind auch Magd und Diener, Brangäne und Kurwenal: Zuwendung ist ihr Leben, über alles Verständnis hinaus, irritiert, erschrocken.

Das hat im ersten Akt latente Spannung. Bis Tristan, korrekt vom Scheitel bis zur Sohle, nach dem unkorrekten Liebesgeständnis verzweifelt alt aussieht, und Brangäne versucht, mit dem Ankleiden ihrer Herrin die Ordnung zu retten. Was Tristan einzig sucht, heißt bei Wagner „Erlösung – Tod, Nichtmehrerwachen“, bei Heiner Müller dagegen: „seinen Extratod“. Da aber die Liebe Tristans und Isoldes nur aus „inneren Motiven“, nicht etwa durch die Umwelt gestört wird, stellt Marthaler deren Vertreter einfach an die Wand: Feind, Freund, Hirt und König.

Musikalisch hat die Aufführung gewonnen, weil mit Peter Schneider ein kundiger Dirigent am Pult steht. Im Ensemble mit Robert Dean Smith (Tristan) und Petra Lang (Brangäne) siegt Nina Stemme, deren Isolde in diesem Jahr ihre „höchste Lust“ mit vollendeter Lyrik erreicht. Kwangchul Youn allerdings, der gefeierte König Marke, läuft deutlich Gefahr, seine kostbare Bassstimme im Musikbetrieb zu verschleudern (im „Ring“ ist er Fasolt und Hunding).

Schlingensiefs „Parsifal“: Ein Lob des Festspielorchesters unter dem sehnig musizierenden Adam Fischer und des Festspielchors muss obenan stehen. Denn ohne sie wäre die Vitalität der Szene nicht möglich. Im dritten Jahr ist aus dem holprigen Wagner-Start des Regisseurs ein großer Theaterabend geworden. Sternenzelt und Stacheldraht, Gebären und Verwesen, alle Menschen werden Brüder, herrlich ist der Orient, Goldene Stadt, Kasperle und Kalligrafie, Götterbilder, gefilmte Robben auf der Karfreitagswiese: Das ist die Magie der Bilder.

Übertroffen aber wird sie durch allerlei „geheimnisvolle Beziehungen“: Analogien zwischen Gralsbereich und Zauberschloss, die Aufhebung der Chronologie, eine innige Schicksalsgemeinschaft zwischen Parsifal und Amfortas. Um das Sterben der beiden Gralskönige zu verstehen, muss man Schlingensiefs (fragwürdige?) Lesart kennen: „Durch Mitleid wissend werden, heißt, zu erfahren, dass es nur eine wirkliche Erlösung gibt, und die liegt im Tod.“ Vor diesem Hintergrund begegnen sich Märchen und heiliger Ernst, klammert sich Amfortas mit seiner Klage an Parsifal, bevor dessen Berufung ahnbar wird. Ebenso verbindet das Erlebnis von Kundrys Kuss den Sünder Amfortas mit dem Beinahe-Sünder Parsifal, der ihn im Arm hält. Geheimnisvolle Korrespondenzen überall.

An das Ereignis Domingo in Bayreuth 1993 darf man bei Alfons Eberz in der Titelrolle freilich nicht denken. Aber das Sängerensemble hat Niveau: Robert Holls führender Gurnemanz, John Wegner als wandlungsfähiger Klingsor, Alexander Marco-Buhrmester als Amfortas, Evelyn Herlitzius als Kundry, deren intensivem Sopran in der Mittellage leider ein wenig die Kraft fehlt.

In der heftigen Saalschlacht nach der Aufführung wollen die letzten Buh-Rufer den Schlingensief-Fans das Feld partout nicht überlassen. Anzunehmen, dass dieser „Parsifal“ – wie zuletzt der Heiner Müllersche „Tristan“ – auf dem Weg zum Kult ist, unter einem Motto, das vom Mittelalter überkommen ist: „Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen.“

Nächsten Sommer wird die Aufführung zum letzten Mal gespielt. 2008 soll es dann bereits die nächste Neuinszenierung des „Bühnenweihfestspiels“ geben. Als Regisseur ist der junge Norweger Stefan Herheim im Gespräch. Es scheint, als wolle man die Scharte Schlingensief unbedingt wieder auswetzen. Wenn sich die Festspielleitung da mal nicht vergaloppiert hat.

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