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Zwei Welten. Jean Fouquets Diptychon von Melun zeigt die Madonna auf der einen und ihren Stifter samt Schutzpatron auf der anderen Seite.

© David von Becker/Staatliche Museen zu Berlin

Gemäldegalerie zeigt Diptychon von Melun: Die schöne Agnès

Eine kleine Sensation: Die Berliner Gemäldegalerie vereint Jean Fouquets berühmtes Diptychon von Melun. Das letzte Mal kamen die beiden Tafeln 1937 zusammen.

„Atemberaubend!“ „Spektakulär!“ „Eine einmalige Erfahrung!“ Die drei Herren auf dem Podium überschlagen sich mit ihren Ankündigungen der kleinen Schau, die mit ihrem Dutzend Bilder gerade ein Kabinett der Gemäldegalerie füllt. Müssen diese ansonsten gemäßigteren Kunsthistoriker deshalb so auf die Pauke hauen? Wer aber dann durch den schmalen Einlass in den verdunkelten Ausstellungsraum tritt, ist perplex. Ein spätmittelalterliches Doppelbild von solcher Schönheit, Widersprüchlichkeit, Spannung steht im Mittelpunkt der exquisiten Präsentation, dass es einem die Sprache verschlägt: Auftritt Jean Fouquet (ca. 1415 bis 1478/81), der wichtigste französische Maler dieser Epoche, und sein berühmtes Diptychon von Melun.

Die Madonna auf der einen und ihr Stifter samt Schutzpatron, dem heiligen Stephanus, auf der anderen Seite gehören zweifellos zusammen und befinden sich doch in deutlich getrennten Sphären . Gemalt sind sie mit einer solchen Delikatesse, dass man sich nicht sattsehen kann an den Details. Michael Eissenhauer, Generaldirektor der Staatlichen Museen und Chef der Gemäldegalerie, sein Kurator Stephan Kemperdick und Manfred Schlink, Leiter des Königlichen Museums der Schönen Künste in Antwerpen, haben nicht zu viel versprochen.

Die Zusammenführung der in Berlin und Belgien aufbewahrten Teile des Diptychons ist eine kleine Sensation. Seit 1775 sind die beiden Tafeln getrennt, nachdem sie separat verkauft wurden, um von dem Geld die Stiftskirche Notre-Dame in Melun zu sanieren. Dort hing das Doppelbild in der Grabkapelle von Étienne Chevalier, Berater und Schatzmeister des französischen Königs Karl VII. Er selbst ist andächtig knieend, mit gefalteten Händen auf dem Gemälde zu sehen. Das letzte Mal kamen die Bilder zur Weltausstellung 1937 in Paris zusammen. Frankreich warb damit für sich, als Ausweis kultureller Größe. Die Antwerpener ließen ihr bestes Stück, die Madonna, nur deshalb vorübergehend ziehen, weil ihr Haus saniert wird; das Berliner Werk darf wegen seiner Fragilität gar nicht reisen. Auf seiner Rückseite befand sich einst ein weiteres Bild, vermutlich eine Kreuzigungsszene, von der man sich zwecks Gelderwerb damals ebenfalls trennte.

Überirdisch und doch von dieser Welt

Nun also hängen sie wieder nebeneinander, gerahmt in Gold mit Blau, wie es nur textlich überliefert ist. Für den gemeinsamen Auftritt erhielt das Berliner Bild eine neue Fassung, die sich in Form und Farbe nach dem Antwerpener Pendant richtet, um die Zusammengehörigkeit zu betonen. Wer nun vor den beiden Werken steht, staunt tatsächlich über den Bruch zwischen beiden: hier der Kirchenraum mit konkreten architektonischen Details im Hintergrund, dort eine vollkommen entrückte Sphäre mit roten und blauen Engeln. Die roten Cherubim tragen den Himmelsthron, die blauen Seraphim schweben hinzu.

Doch so überirdisch diese Madonna mit ihrer elfenbeinfarbenen Haut erscheint, so abstrahiert durch ihre geradezu geometrische Körperlichkeit, die kugelrunde freigelegte Brust, so sehr ist sie doch von dieser Welt. Porträtiert ist mit größter Wahrscheinlichkeit Agnès Sorel, die Mätresse Karls VII., bekannt für ihre Klugheit, Schönheit und Freizügigkeit bei öffentlichen Auftritten. Während im Mittelalter die Verbindung von Religion und Erotik noch opportun erschien, etwa bei der Madonna lactans oder gut gebauten Märtyrern, deren Körper ebenso geschunden wie schön gemalt wurden, galt das im 19. Jahrhundert als verpönt.

Noch 1919 beschimpft der holländische Kunsthistoriker Johan Huizinga in seinem Kompendium „Herbst des Mittelalters“ die Madonna von Melun als Modepuppe. Ihren Haaransatz trägt sie ausrasiert, wie es damals typisch war. Das dazugehängte Bildnis einer jungen Frau von Petrus Christus aus dem Besitz der Gemäldegalerie zeigt den gleichen höfischen Schick: mit hoher Stirn und prallen Zügen. Gewiss, der fast über die Schulter gerutschte Hermelin, der vordrängende Busen der Madonna lenken ab von der Heiligkeit dieser Muttergottes. Doch Chevalier wusste sehr genau, was er mit dieser Erhebung der Mätresse seines Königs tat. „La belle Agnès“, wie sie auch hieß, war 1450 kurz vor Entstehung des Gemäldes mit gerade einmal 28 Jahren gestorben, während sie zum fünften Mal von Karl VII. schwanger war. Als ihr Nachlassverwalter huldigt Chevalier der Verstorbenen und erweist dem König zugleich seine Ehrerbietung.

Die erste Selbstdarstellung eines Künstlers

Noch ein drittes Werk ergänzt das Spitzentreffen, geliehen vom Louvre: ein Emailmedaillon, auf dem mit Gold ein Selbstbildnis Jean Fouquets samt seiner Signatur zu sehen ist. Es gilt als erste Selbstdarstellung eines Künstlers nördlich der Alpen. Das wenige Zentimeter große Werk befand sich vermutlich als Zierde neben anderen Medaillons auf dem Rahmen des Diptychons. Bis 1945 besaß auch das Berliner Kunstgewerbemuseum ein Exemplar dieser Reihe, das eine Szene aus dem Leben des Heiligen Stephanus zeigt. Durch Auslagerung der Sammlung, die Wirren des Krieges ging es verloren.

Trotzdem können die Staatlichen Museen noch mehr Fouquet auffahren: die Kreidestudie des Guillaume Jouvenel des Ursins aus dem Kupferstichkabinett. Das Kunsthistorische Museum in Wien gab seinen „Narr Gonella“ hinzu, für den die Autorschaft des französischen Malers allerdings als ungesichert gilt. Für Experten ist bereits die Zusammenschau dieser zwei Bilder spektakulär, führte doch die Ähnlichkeit der Nasen der beiden Männer zu einer Zuschreibung des Narren- Porträts an Fouquet. Nun lässt sich direkt vor den Bildnissen darüber streiten. Die Uffizien liehen eine Kreidezeichnung mit einem Bildnis von Agnès Sorel. Hier wiederum lässt sich die Ähnlichkeit mit der Madonna von Melun überprüfen, die auch nicht wirklich überzeugt.

Genau darin besteht der Reiz der kleinen Schau: dass sie sich auf ein Werk konzentriert, das bedeutendste und schönste der Spätmittelalters und der frühen Neuzeit, wie Kemperdick schwärmt. Die entscheidenden Einflüsse darauf, aus Italien bei den Engeln und den Niederlanden bei der Porträtkunst, werden mit nur wenigen Beispielen belegt und wirken umso überzeugender. Was in den letzten beiden Jahren schon mit Holbein, Bosch, van Eyck in der Gemäldegalerie gelang, setzt sich damit fort: Kunstgeschichte lebendig erzählt – mit Inkunabeln.

Gemäldegalerie, Kulturforum, Matthäikirchplatz, bis 7. 1.; Di bis Fr 10–18 Uhr, Do bis 20 Uhr, Sa / So 11–18 Uhr. Katalog (Michael Imhof Verlag) 24,90 €.

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