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Kultur: Gemäßigt durch Sauerkraut

Jules Barbey d’Aurevillys Pamphlet „Gegen Goethe“

Jules Barbey d’Aurevillys Pamphlet „Gegen Goethe“ Erklärte Goethe-Gegner hat es bei uns nicht gerade viele gegeben. Selbst die lärmigen Goethe-Diffamierungen der Expressionisten, man denke nur an Brecht, Döblin oder Heym, verhallten nahezu unerhört. Nicht viel anders erging es Arno Schmidts Beschimpfungen gegen den „Weimarer Stümper“. Fast bedauert man es, dass Goethe nichts anhaben kann.

Nun aber hat der Matthes & Seitz Verlag eine amüsante Goethe-Schmähschrift ausgegraben: Sie stammt von dem „Erzvater der Dekadenz“ Jules Barbey d’Aurevilly und steht im Zeichen des deutsch-französischen Kriegs 1870/71. Das Bild des deutschen Dichterfürsten zurechtzurücken, war auch ein patriotischer Akt. „Während die Preußen Paris bombardierten, las ich Goethe. Der Mann verdient es wohl, dass man sich einmal die Zeit nimmt, ihm ein paar gezieltere, härtere, tiefergehende Schläge zu versetzen.“

Wer war überhaupt dieser Barbey d’Aurevilly? Auf einem Foto, das in dem Band abgebildet ist, sehen wir ein blasiertes Konterfei mit kunstvoll herablassendem Knebelbart, eine Mischung aus Don Quichote, Gustave Flaubert und Peter Sloterdijk. Es heißt, dieser Literaturkritiker und Romancier (er lebte von 1808 bis 1889) sei ein glühender Monarchist, ein exaltierter Katholik und ein noch exaltierterer Vertreter der Schwarzen Romantik gewesen. Baudelaire und Proust schätzten seine Arbeiten, Flaubert dagegen machte sich über ihn lustig.

In Deutschland ist Barbey als Verfasser einer Sammlung exquisiter Erzählungen („Diabolische Geschichten“) und eines glanzvollen Essays über den Dandy bekannt. Und in der Bibel der Dekadenz, in Huysmans Roman „Gegen den Strich“, wird er gleich nach dem Marquis de Sade genannt.

Barbeys Anti-Goethe-Buch ist publikumsorientiert geschrieben und ein früher Beitrag zur heutigen Massenmediengesellschaft. Es befriedigt das Informationsbedürfnis des flüchtigen Feuilletonlesers, der unbedingt mitreden will, ohne die behandelten Bücher selbst aufschlagen zu müssen. Darin liegt die prekäre Modernität dieses vorwitzigen Textes, der einerseits ungenau, flüchtig, voller Irrtümer ist und wenig Kennerschaft verrät, andererseits aber sein Publikum mit markigen Worten, griffigen Slogans und flotten Metaphern umgarnt und versorgt. Goethe, „dieser Egoist, der jeden Umschwung mitmachte, um sein Glück nicht zu gefährden, dieser Arrangeur aller Dinge, las viel und erfand nichts. Es ist etwas Hinduistisches an ihm, aber gemäßigt durch Sauerkraut.“

An dieser Stelle braucht nicht näher ausgeführt zu werden, wo und wie oft Barbey sich irrte. Denn er irrte sich ja aus Überzeugung. Ein Argument, für das seine Pariser Leser genauso empfänglich waren wie die der modernen Mediengesellschaft heute, reichte ihm als Erklärung schon: „Dieser große Goethe langweilte mich. Er bombardierte mich mit Langeweile! Von allen deutschen Geschossen, die über meinem Stadtteil niedergingen, waren für mich die Sämtlichen Werke das schwerste.“ Barbeys Suada gipfelt in dem scheinheiligen Kompliment : „Und diese unermeßliche Langeweile, in der ich Goethes Stärke sehe, war seine einzige schöpferische Leistung.“

Dieser hochfahrende Goethe-Abriss hatte aber noch einen Hintersinn. Wie fast alle Polemiken gegen berühmte Tote ist in Wahrheit ein lebender Zeitgenosse gemeint; in diesem Falle der französische Reich-Ranicki des 19. Jahrhunderts, der Literaturpapst Saint-Beuve, der ein großer Deutschland-Enthusiast und Goetheliebhaber war.

Barbey hoffte mit seinem Buch eine große Debatte anzustoßen. Er irrte sich. Seine Eitelkeit ertrug es jedoch nicht, seine Niederlage aus unberufenem Mund zu hören. Dieses Eingeständnis erlaubte er nur sich selbst auszuposaunen: „Ehrlich gesagt, hatte ich fest damit gerechnet, einen Skandal hervorzurufen. Tatsächlich ist es geschehen, dass niemand an meiner Unehrerbietigkeit Anstoß nahm, als ich dieses Idol schüttelte, um zu zeigen, dass es hohl tönt. Aber einige seiner nominellen Bewunderer haben mir leise zugeflüstert : ,Wir denken wie Sie’.“

Allen, die auch in Zukunft Goethe nicht lesen wollen, ist diese exzellente Schmähschrift wärmstens zu empfehlen.

Jules Barbey d’Aurevilly : Gegen Goethe. A. d. Franz. von Gernot Krämer, Matthes & Seitz Berlin, 176 Seiten, 19,80 €

Richard Schroetter

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