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Kultur: "Generation Berlin" (4): "Eine Kampagne sollte auf einen Bierdeckel passen!"

Nebenan in Berlins Chausseestraße liegen Brecht und Kant.Auch ein kluger Kopf der Werbebranche ist hier begraben: Ernst Litfaß, der 1855 als erster in Deutschland die nach ihm benannten Säulen mit Reklame pflasterte.

Nebenan in Berlins Chausseestraße liegen Brecht und Kant.Auch ein kluger Kopf der Werbebranche ist hier begraben: Ernst Litfaß, der 1855 als erster in Deutschland die nach ihm benannten Säulen mit Reklame pflasterte.Die Nachbarn inspirieren ihn lebhaft, sagt Sebastian Turner, wenn er von seinem Büro auf die Straße tritt.Rund um die Oranienburger Straße vibriert ein Kiezknäuel, das Yuppies und junge Familien, Alte und Techno-Kids zur Nachbarschaft verstrickt, oder so spleenige Typen wie jener Herr, der Trabbi-Fotos sammelt.Da schmiegen sich Baustellen an Straßenzüge, deren "Unordnung und Unfertigkeit" Turners Phantasie beflügeln, daß er behauptet: "Der Standort Berlin-Mitte hat am meisten Sex-Appeal."

Eine Provokation.Nach allen Regeln seiner Branche müßten die kreativen Köpfe der Berliner Werbeagentur Scholz & Friends in Düsseldorf, Hamburg oder Frankfurt (Main) sitzen, in einem jener Zentren der deutschen Werbewelt also, für die Berlin bisher ein Potemkinsches Dorf war.Dessen wenige Agenturen als "Schweinebauchbetriebe" bespöttelt wurden, die sich bestenfalls dem regionalen Großmetzger andienen.Und jetzt? Plötzlich schaut die Werbewelt auf diese Stadt."Der Damm ist gebrochen", sagt Turner.Am Durchbruch hat der 32jährige Shootingstar mitgeklopft - mit Spots, Sprüchen, Motiven.Eine Flut von Preisen ist über seine, dann auch über andere Berliner Agenturen gekommen, zuletzt im März beim ADC-Kreativwettbewerb, dem wichtigsten der nationalen Werbeszene.Es geht aufwärts.Für Turners Leute hat sich sogar Ignaz Bubis als "Kluger Kopf" auf den Ast einer deutschen Eiche hieven lassen.

Diese Erfolgsstory wäre Gift für den Werbefilm jeder Versicherungsfirma, Balsam vielmehr für eine Kampagne Aufbau Ost: Im Spot wäre der Mauerfall zu sehen - als es losging.Ein junger Mann, gerade fertig mit dem Studium in den USA, kommt nach Dresden eingeflogen.Er und zwei Freunde, Thomas Heilmann und Olaf Schumann, haben wenig Geld aber umso mehr Interesse am DDR-Umbruch, und sie haben einen Traum: Unternehmer werden.Als "Küchentisch-Unternehmen" in Schumanns Dresdner Kinderzimmer betexten und bebildern sie den Übergang von der Mangel- in die Überflußgesellschaft.

Ins Bild kommt die Anzeige für die Sächsische Zeitung: ein Schwarzer und der Schriftzug "Ein Sachse".Die Kampagne bringt den Jungunternehmern 1992 ihren ersten Preis.Dann ein harter Schnitt.Schauplatz ist zuletzt eine renovierte Pianofabrik in Berlin-Mitte, wo die Agentur 1995 einzog, heute eine florierende Denkfabrik mit 83 Millionen Mark Umsatz.Das Trio wuchs an auf 76 Beschäftigte.Symphonieorchester-Stärke.

Der Rückblick im Zeitraffer wäre nicht komplett ohne den größten Agentur-Coup, die seit 1995 laufende FAZ-Kampagne."Aus dem Stand weg Klassikerqualität" bescheinigte die Branche dem Motivreigen "Dahinter steckt immer ein kluger Kopf", der eben solche in schelmisch vielsagender, oft atemberaubender Kulisse abbildet - hinter einer aufgeschlagenen Zeitung.Da nimmt der damalige Umzugsminister Klaus Töpfer Platz auf der Quadriga des Brandenburger Tores, Lufthansa-Chef Jürgen Weber auf der Tragfläche eines Jumbojets.Mit etwas jungenhaftem Größenwahn plazierten die Werbeleute den Astronauten Ulf Merbold morgens um 4.08 Uhr in den USA auf dem Steg eines Bootshauses, in die Lektüre vertieft, während hinter ihm der steigende Feuerschweif der Raumfähre Atlantis gleißte.Zum Anekdotenschatz der Kampagne zählt, daß Merbold per Handspiegel den Raketenstart mitverfolgte.

Hinter den Geniestreichen steckt ein ganzer Kreativtrupp von Scholz & Friends Berlin, einer eigenständigen Tochter der großen Hamburger Agentur gleichen Namens.Turner ist einer der drei Geschäftsführer, nach außen ihr Kopf.Der zählt auf, was eine Werbestadt ausmacht: "Möglichst viele Agenturen müssen dasein.Und Kunden.Berlin ist da schwach, das ist kein Geheimnis." Dafür wuchern andere Pfunde: "Eine Werbestadt braucht Anziehungskraft auf junge Leute.Da sind wir schon Nummer Eins." Hinter eckigem Glas blitzen Turners Augen kurz auf.Auch Scholz & Friends leben von Jugend.Kreative in Love Parade-tauglichem Alter brüten im großflächig verglasten Gründerzeit-Backsteinbau auf zwei Stockwerken aus Stahlplanken.Oben fährt Turner fort in seiner Diagnose: "Die neueste Technologie muß vorhanden sein.Heute ist das die Umstellung aller Kommunikation auf digitale, neuerdings auch interaktive Plattformen." Auch da sei Berlin auf der Höhe der Zeit.

Hin und wieder durchbricht ein kurzes "Bong", Signal für eintreffende E-Mails, die Ruhe in Turners kahlem, kleinen Büro; mal stürmt ein Typ in szeniger Kunststoffhose durch die sonst offene Tür, keucht: "Ist das schon das FAZ-Meeting?" Turner wirkt dagegen meist bedächtig, etwas pennälerhaft, eher bieder als extravagant.Wie ein tiefes Wasser, kein sprudelndes.Seine Gedankenströme scheinen in geordneten Bahnen, in Flußdiagrammform, zu kommen.Sie sagen: "Eine Werbestadt muß in der Branche das Gefühl vermitteln, hier vollziehe sich ein neues Kapitel, ein neuer Werbestil."

Das habe die Hamburger in der Achtzigern groß gemacht: die sachte Übernahme angelsächsischer Werbemuster wie Humor oder ironische Haltung zum Produkt."Man sieht aus Berlin eine neue Werbehandschrift kommen", so der Agenturchef.Daß die Hand in seinem Haus geführt wird, damit würde sich Turner nie brüsten, so uneitel, wie sich der in Stuttgart aufgewachsene Sohn des Berliner Ex-Wissenschaftssenators George Turner gibt - in einem Business, "in dem viel Ego steckt." Er redet noch gerne über Schülerzeitungstage, als er Anzeigen aquirierte, der erste Branchenkontakt.Und nun? Schon wollte ein ernsthaftes Museum ein Motiv aus der FAZ-Kampagne kaufen.Museumsreifes hinzulegen sei nicht sein Anspruch, windet sich Turner, "sonst kriegt man solche Ladehemmungen, daß nichts mehr kommt." Michael Schirners 20 Jahre alte Provokation von Werbung als Kunst, die Rede vom Waschpulver-Industriellen Henkel als zeitgemäßem Mäzen, hätte zumindest die Werbung geöffnet für Fragen, die über Farbgestaltung und Schrifttypen hinausgehen.Eigentlich paradox: Überdruß und Überfluß an Werbung steigen, aber auch ihr Kunstwert."Je mehr Werbung es gibt, umso mehr Gutes kommt dabei heraus", wirft Turner ein.In Deutschland ist das aber immer noch Mangelware.

Gleichauf mit Branchen-Entwicklungsländern wie Estland oder Malta liegen die Deutschen bei Länderwertungen.Vielleicht ragen Scholz & Friends in der hiesigen kargen Werbelandschaft so heraus, weil Erhebendes dünn gesät ist.Ihre Maximen, wenn es die denn ansatzweise gibt, scheinen simpel."Eine gute Kampagne sollte auf einen Bierdeckel passen", sagt Sebastian Turner."Die braucht gesunden Menschenverstand, nicht hochgestochenes Brimborium." Vor wenigen Tagen wurde Turner als erster Deutscher zum Jury-Vorsitzenden des New Yorker Clio-Kreativwettbewerbs berufen, der Agentur-Olympiade.Besser kann Eigenwerbung kaum ausfallen.

Folge 5: Anja Follmer, Kulturmanagerin

STEFAN SCHIRMER

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