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Kultur: Generation Fimpen!

Vor einer Woche war ich in einem Kinderfilm. Neben mir saß Hannes mit seiner Mutter, aber die kenne ich gar nicht, Hannes eigentlich auch nicht.

Vor einer Woche war ich in einem Kinderfilm. Neben mir saß Hannes mit seiner Mutter, aber die kenne ich gar nicht, Hannes eigentlich auch nicht. Der Kinderfilm wurde 1974 in Schweden gedreht und es war der erste Film, den ich je im Kino gesehen habe. In der „Gondel“ in Bremen, ich war sechs, und der Film hat mein Leben verändert. Normalerweise ändert man ja mit sechs noch nicht sein Leben, aber in diesem Fall schon, sonst wäre ich heute realistischer. In Deutschland gibt es nur eine einzige 16mm-Kopie, sie gehört dem Filmmuseum München.

In der ersten Szene läuft Macan über einen Spielplatz. Er hatte gerade noch die Deutschen mit dem Kolibri-Trick, einer Vorstufe des Übersteigers, zur Verzweiflung gebracht und die Kinder schossen ihm ehrfürchtig einen Ball zu, der ihm dann von einem kleinen Jungen einfach wieder abgenommen wird. Johan Bergman wird sofort vom Profiverein Hammarby verpflichtet und schießt als Linksaußen gegen Atvidaberg zwei Tore. Danach ruft der Nationaltrainer an, der kleine Johan nimmt den riesigen Hörer ab und wird für die WM-Qualifikation in die schwedische Nationalmannschaft berufen.

Der Film springt die ganze Zeit, es knistert, der Ton ist übersteuert, die Synchronisation ein Grauen, aber egal: Fimpen, der Knirps, hatte lange Haare wie ich, sprach wenig und konnte auch nicht 2+2 zusammenzählen, schoss aber Schweden zur WM. Beglaubigt wurde alles durch Ronny Hellström, mein Torwartidol, der Fimpen beim Spiel in Wien aus „14 kleine Bären“ vorlesen musste, damit er einschläft, dann schlief aber Ronny Hellström ein.

Ich beugte mich pathetisch zu Hannes, so als sei Hannes jetzt ich vor dreißig Jahren in der „Gondel“. „Toll, was? Pass auf, gleich spielt Fimpen gegen Österreich!“

„Podolski ist viel besser! Harry Potter auch!“, sagte Hannes. Ich dachte, ich hör’ nicht richtig. „Podolski ist aber 21, Fimpen sechs!“, entgegnete ich. „Scheißbild! Da wackelt ja unsere Waschmaschine weniger! Harry Potter ist mit Computeranimation!“

„Fimpen ist auf 16 mm gedreht, aber mit dem echten Ronny Hellström!!“ „Häh? Wer?? Kenn ich nicht!“, sagte Hannes und schien seiner Mutter zu signalisieren, dass ich ihm irgendwie auf die Nerven gehe.

Ich glaube, das war mein erster echter Generationenkonflikt in entgegengesetzter Richtung! Bisher hatte ich nur diese Konflikte, in denen ich Älteren den ganzen nervenden Mist um die Ohren schlug, Woodstock, Apo, Kommune, Uschi Obermaier etc.. „Podolski ist besser!“ oder „Da wackelt ja unsere Waschmaschine weniger!“, das sind jetzt aber Sätze, die stellen meine letzten 30 Jahre in Frage! Immer noch träume ich, in der Nationalmannschaft zu spielen (Metapher!), theoretisch hätte ich noch zwei Jahre, berufen zu werden, da ist noch alles drin, die 68er glauben ja auch, dass bei ihnen noch alles drin sei.

Seit dem Konflikt mit Hannes habe ich sogar das Gefühl, ich muss mich bei jemandem entschuldigen, den ich einmal auf einem Podium lächerlich machte, weil er seine ganze Existenz verteidigte, indem er sagte, er sei mit Rudi Dutschke Bus gefahren. Ich kenne einen, der seinen revolutionären Geist immer noch intakt hält, weil er einmal für Gudrun Ensslin öffentlich Zahnersatz forderte. Und nun komme ich total ernsthaft mit meiner heiligen, schrottigen 16mm-Kopie, in der Ronny Hellström die „14 kleinen Bären“ vorliest und danach alles möglich ist. Ist das sozialgeschichtlich unerheblich? Nee, gerade diese Szene hat Abertausende meiner Generation zu träumenden, tänzelnden, ewigen Spielern gemacht, da bin ich mir sicher, the fimpen- generation!

Dutschke, Uschi Obermaier, Hellström, Podolski, Potter – wahrscheinlich kann man sich die Busse, Filme, Kommunen und Zeiten, in denen sich die Träume in den Menschen einrichten, nicht aussuchen. Aber vielleicht werde ich in Zukunft sanfter, wenn ich ältere Herren treffe, bei denen sie partout nicht ausziehen. Soll er ruhig von seinem Zahnersatz für Gudrun weiterträumen! Statt aber Christian Klar einen Theaterjob anzubieten, sollte man mal lieber Hannes einladen, um ihm zu danken für diesen Appeasement-Übersteiger.

Bei mir war übrigens damals der Filmvorführer schuld. Er legte die zweite Filmrolle zuerst ein und dann die erste. Der Film endet eigentlich kritisch, Fimpen wird immer müder von den großen Spielen und muss sich am Ende für Schule und Leben entscheiden. Bei mir endete es mit Hellströms Gute-Nacht-Geschichte und Fimpens Wundertoren gegen Österreich am nächsten Tag.

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