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Kultur: Geniale Löcher

schwärmt für exzentrische Manifeste „Must not reach Gestapo. Otherwise catastrophe“ heißt es schön knapp in der Notiz auf der Rückseite eines Fotos, die in Ernst Lubitschs Sein oder Nichtsein die Warschauer Widerständler vor dem doppelgesichtigen Professor Siletsky warnt.

schwärmt für exzentrische Manifeste „Must not reach Gestapo. Otherwise catastrophe“ heißt es schön knapp in der Notiz auf der Rückseite eines Fotos, die in Ernst Lubitschs Sein oder Nichtsein die Warschauer Widerständler vor dem doppelgesichtigen Professor Siletsky warnt. Eine Handlungsanweisung fürs Personal. Und ein Satz, der fast programmatisch die Kunst großer Komödien anreißt, ihre eleganten Verwicklungen vor der Kulisse existenzieller Gefahr abzuwickeln. Lubitschs Film, der die ganze Woche im frisch renovierten Bali auf dem Programm steht, treibt den köstlichen Gegensatz zwischen Katastrophe und alltäglichen Eitelkeiten auf die Spitze. Hamlet, Eifersucht, polnischer Patriotismus und die Gestapo: Ein raffiniertes Geflecht unerwarteter Wendungen und Versteckspiele, die immer drohen sich ins narrative Nichts aufzulösen und dann doch noch eine Drehung weiterführen. „Im Lubitsch-Emmentaler ist jedes Loch genial“, nannte es François Truffaut.

Unter dem shakespearesken Titel „Film oder nicht Film. Eine Seinsfrage“ wurde im Tagesspiegel vor einem Monat ein Manifest vorwiegend junger Filmschaffender kommentiert, das im Juli beim ersten „Festival des deutschen Films“ auf einer Rheininsel einen „Aufruhr der Phantasie“ und des Künstlerischen im deutschen Film verkündete. Das markig-idealistische Aufbruchspathos der „Ludwigshafener Position“ klingt befremdlich nach Sturmgewitter. Doch ein Manifest ist nur ein Manifest – und die Filme von „Ludwigshafener“ Regisseuren wie Robert Thalheims Netto (Montag) oder Alexandra Sells dokumentarische Provinzstudie Durchfahrtsland (Dienstag) sprechen eine diskretere Sprache als die Blut-und-Liebe-Formeln der Position. Eine repräsentative Probe auf die filmischen Äußerungen der Manifestanten lässt sich diese Woche im Nickelodeon machen, das auch die Macher zur Debatte ins Kino bringt. Dabei auch einige Vorpremieren – etwa Jeannette Wagners Liebeskind (heute) oder Cyril Tuschis Roadmovie SommerHundeSöhne (am Freitag).

Arend Agthe, Bernd Eilert, Robert Gernhardt, F.K. Waechter: Die Namen der Regieriege des Casanova-Projekts (Dienstag im Festsaal Kreuzberg) lesen sich wie das Who-is-Who einer anderen Bewegung, die mit den Ludwigshafenern die Abwendung vom filmindustriellen Komplex verbindet, aber am anderen Ende der Pathos-Skala liegt. Der Humor der Neuen Frankfurter Schule ist eine der wenigen echten kulturellen Errungenschaften Nachkriegswestdeutschlands. Und wahrscheinlich war „Das Casanova-Projekt“ 1981 ein unwiederholbares historisches Bündnis von überschäumender Fantasie, Spiellust und Dilettantismus. Kein Manifest zwar, aber das filmische Vermächtnis der NFS – und wie „Sein oder Nichtsein“ auch ein Film über das Schauspiel im Allgemeinen und schauspielerische Eitelkeit im Speziellen: verewigt vom göttlichen Alfred Edel in seiner wohl größten Rolle.

Werner Herzog hat sein filmisches Porträt Mein liebster Feind (Sonntag im Babylon-Mitte) einem anderen Darsteller-Monomanen gewidmet, dem er die größten Triumphe und tiefsten Abgründe seiner Karriere verdankt: Ein Komiker war Klaus Kinski sicher nicht. Doch wer Katastrophen sucht, die sich kein Drehbuchautor auszudenken wagt, der wird in diesem Werk reichlich fündig. So lässt sich Herzogs Dokumentarfilm auch sehen: als seine einzig wirkliche Komödie.

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