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Physiognomie einer Gesellschaft. Blick in Kolbes Atelier mit vierzig Porträtbüsten des Künstlers.

© Kolbe Museum/Enric Duch

Georg Kolbe-Jubiläumsausstellung: Im Zentrum der Avantgarde

Sein Atelier war Kreuzungspunkt der Künste, seine Büsten galten als Statussymbol. Eine Ausstellung im Georg-Kolbe-Museum präsentiert das weitreichende Beziehungsgeflecht des früheren Künstlerstars.

Der Brief setzt dem „lieben Freund“ die Gründe klar auseinander, warum Georg Kolbe 1904 Leipzig verlassen und nach Berlin ziehen muss: „Dort gibt es Menschen und Interessen.“ „Hierbleiben aber“ kam nicht infrage, auch wenn er sich damit vom Empfänger des Briefes, seinem Vertrauten in Dresden, dem späteren sächsischen Innenminister Hermann Schmitt, räumlich entfernte. „Noch länger warten aber hieße nach unserer Meinung (...), den Anschluss in Berlin verpassen.“ Das wollten der ehrgeizige Bildhauer und seine junge Frau Benjamine auf keinen Fall. Die Hauptstadt war nach der Jahrhundertwende kulturelles Zentrum geworden, Treffpunkt der Avantgarde. Da fühlten sie sich hingezogen.

Wer an den neuesten Entwicklungen aktiv teilhaben wollte, musste dort hin. Über 40 Jahre, bis zu seinem Tod 1947, blieb Berlin der Lebensmittelpunkt des Künstlers, hier spann er seine Fäden, knüpfte Kontakte zu Sammlern und Kollegen. „Im Netzwerk der Berliner Moderne“ ist die Ausstellung im Georg-Kolbe-Museum überschrieben, um den Rahmen zu erweitern und die Reaktionen der Zeitgenossen einzubeziehen. Der 140. Geburtstag und 70. Todestag Kolbes in diesem Jahr dienen als Anlass, um an das Beziehungsgeflecht des einstigen Künstlerstars zu erinnern, der heute im öffentlichen Bewusstsein allerdings keine große Rolle mehr spielt.

Er porträtierte bedeutende Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kultur

Das zu ändern, hat sich die neue Direktorin des Hauses, Julia Wallner, zur Aufgabe gemacht. Das Kolbe-Museum im ehemaligen Atelier des Künstlers befindet sich in Westend zwar an der Peripherie, aber mit zeitgenössischen Positionen, wie jüngst Alexandra Ranner und Fragen zum Networking, knüpft sie an aktuelle Themen an. Kolbe bietet sich dafür geradezu an. Als Porträtist von über 200 Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kultur schuf er ein anschauliches Abbild seiner eigenen Verbindungen in die Gesellschaft.

Den Besucher empfängt im lichten Saal des Ateliers eine ganze Armada von Köpfen auf Podesten. Die Büste eines jungen Römers vorn ist noch beeinflusst vom Vorbild Klinger, mit jeder weiteren Reihe findet der Künstler zu seinem eigenen Stil. An seinem Wegesrand, ob als Auftragsarbeit oder selbst gewählt, stehen Freunde wie die Schriftstellerin Annette Kolb, Geschäftspartner wie der Kunsthändler Wilhelm Valentiner, der in den USA für die Verbreitung seines Werkes sorgte, geschätzte Kollegen wie Max Liebermann oder in der letzten Reihe der berühmteste Mediziner seiner Zeit, Ferdinand Sauerbruch, dessen Büste der inzwischen an Krebs Erkrankte als Dank für die Behandlung schuf.

An seinem Werk wurde die Skulptur der Moderne durchdiskutiert

Der Bildhauer macht in Berlin bald nach seiner Ankunft Karriere. Er wird hofiert. Von Kolbe porträtiert zu werden, markiert in der avancierten Berliner Gesellschaft das eigene Standing, den Status des aufgeklärten Bürgers. Zugleich wird er in Schmähschriften und Zeitungsartikeln attackiert, denn so frei wie er Friedrich Ebert posthum darstellte, verstieß er gegen den konservativen Geschmack der Rechten. An Kolbe schieden sich die Geister, an seinem Werk focht die Weimarer Republik ihr ästhetisches Selbstverständnis aus, wurde die Skulptur der Moderne durchdiskutiert.

Brüskierungen wie bei Ebert sollten sich mit seinem Rathenau-Brunnen für den Volkspark Rehberge wiederholen, dessen Weiterbelassung „als eine zu große politische Belastung aufgefasst“ würde, wie ihm der Oberbürgermeister des Bezirks 1934 schrieb, unterzeichnet mit „Heil Hitler!“. „Der Judenrepublik gewidmet“ hatten antisemitische Kunststürmer bereits 1930 auf den Beckenrand geschmiert. Das einzige abstrakte Werk Kolbes wurde schließlich eingeschmolzen, heute steht eine Replik unweit des ersten Aufstellungsortes, ins Abseits gerückt.

Er suchte auch Kontakt zu Architekten und Tänzern

Kolbe suchte in Berlin nicht nur den Kontakt zu Auftraggebern und anderen bildenden Künstlern, sondern auch zu Architekten und Tänzern. Mit den klaren, kühlen Strukturen des Neuen Bauens ergänzten sich seine Figuren geradezu perfekt. Vor deren nüchternen Kubaturen entfalten sie besonders schön ihre Leichtigkeit, ihr Schweben. Noch heute erscheinen die Skulptur „Der Morgen“ und der deutsche Pavillon von Mies van der Rohe, 1929 für die Weltausstellung in Barcelona erbaut, wie füreinander geschaffen: Der sich reckende Akt erfüllt die geraden Linien mit Leben, dynamisiert sie. Der gleiche Effekt wiederholt sich mit der Figur „Große Nacht“ im Lichthof von Poelzigs Haus des Rundfunks, in dem heute der RBB residiert.

Auch für sich selbst ließ der Bildhauer nach den Prinzipien der Moderne bauen. Nach dem tragischen Tod seiner Frau 1927 zog er sich an den Stadtrand zurück. Der Architekt Ernst Rentsch entwarf für ihn im Westend unter Kiefern ein backsteinernes Atelierhaus, das die inspirierende Verbindung aus rationalem Bauen und figurativer Skulptur programmatisch vorführt. Noch heute lässt sich das Zusammenspiel im Skulpturenhof studieren, der zwischen Atelier und dem zweiten Wohnhaus für die Tochter entstand.

Sein Atelier wurde zum Kreuzungspunkt der Künste

Im neuesten Anbau, der Ausstellungshalle, wurde nun in einem abgetrennten Raum behutsam rekonstruiert, womit sich Kolbe häuslich umgab, mit welchen Bildern, welchen Büchern, mit wem er korrespondierte. In einer Vitrine liegen Briefe von Gerhard Marcks, Max Slevogt, Peter Behrens, Lovis Corinth, Max Liebermann, Ernst Barlach aus. Man half sich, zeigte den Kollegen seine Verehrung durch die Schenkung eigener Werke, tauschte sich über die Lektüre etwa von Robert Walser und Frank Wedekind aus. Der Vitrinenschrank mit Teilen von Kolbes Bibliothek wird zur literarischen Landschaft, die Buchrücken bilden die Linie des Horizonts: Büchner, Mommsen, da Vincis „Traktat der Malerei“, Dostojewski, Heine, ein Band zum japanischen Holzschnitt und das „Buch des Tees“ stehen da nebeneinander. An der Wand hängen Bilder von Kirchner, den er unterstützte, Beckmann, mit dem er sich einst ein Atelier teilte, Schmidt-Rottluff, mit dem er nach Italien reiste.

Kolbes Atelier wurde zum Kreuzungspunkt der Künste, sogar die Tänzer besuchten ihn. Gret Palucca kündigt in einem Brief ihr Kommen an, um ihre neueste Choreografie vorzuführen. Der Bildhauer hatte einen Blick für die spannungsgeladenen Körper, den ekstatischen Moment kurz vor dem Sprung. Natürlich ist von ihm auch Nijinsky in seiner berühmten Pose aus „L’après-midi d’un Faune“ zu sehen – der Tänzer auf Zehenspitzen, die Hände vor der Brust abgewinkelt. Vor allem aber sind Zeichnungen ausgestellt. Heute kennt man Kolbe als Bildhauer, damals aber waren seine Tuschen von Tänzerinnen höchst beliebt. Auch den Zeichner Kolbe gilt es wiederzuentdecken.

Georg-Kolbe-Museum, Sensburger Allee 25, bis 1. Mai, tägl. 10 – 18 Uhr

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