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George Tabori: Auf Wiederhören

Leise, erhaben, bewegend: Das Berliner Ensemble nimmt Abschied von George Tabori.

Zur Lebensfreude habe er schon qua Geburt ein sehr inniges Verhältnis, erklärt George Tabori von einer Leinwand auf der Bühne des Berliner Ensembles herab. Schließlich hätte seine Mutter während der Geburtswehen herzlich gelacht.

Mit diesem Ausschnitt aus einem Fernsehporträt hat George Tabori, der am 23. Juli im Alter von 93 Jahren in Berlin gestorben ist, selbst den Ton vorgegeben für die Feier, mit der sich Freunde, Kollegen und Verehrer im Berliner Ensemble jetzt von ihm verabschiedeten. Im Falle des 1914 in Budapest geborenen Ausnahmekünstlers jüdischer Herkunft, der seinen Vater in Auschwitz verlor, wäre das hohe Pathos schließlich ein besonders großes Missverständnis. Es grenze sowieso an ein Wunder, schrieb Tabori in seinem Text „Der 7. Akt“, den das BE im Programmheft zur Premiere seines letzten Stückes, „Gesegnete Mahlzeit“, abdruckte, dass er nicht längst gestorben sei: „Wenn man die Bomben und Bazillen bedenkt, die mich verfehlten, ganz zu schweigen von der allgemeinen, normalen, alltäglichen bürgerlichen Bedrohung für Leib und Leben – zum Beispiel durch Frauen, Kritiker, Polizisten, die täglichen Gefahren auf der Autobahn.“

Da solche Sätze Tabori sowieso keiner nachmachen kann, war es eine kluge Entscheidung der Leitung des Berliner Ensembles, statt eigens verfasster Reden ausschließlich Tabori selbst zu Wort kommen zu lassen. Seine auf der Bühne versammelten Weggefährten, die Kollegen Robert Wilson, Andrea Breth oder Jürgen Flimm etwa, die Schauspieler Angela Winkler, Sunnyi Melles, Senta Berger oder Walter Schmidinger, die Verlegerin Maria Sommer, die 1969 Taboris „Kannibalen“ in die Werkstatt des Schiller-Theaters gebracht hatte, der Dramatiker Tankred Dorst oder der Verehrer Klaus Wowereit, bildeten sozusagen lediglich Taboris Medium und hatten sich in einem Stuhlhalbkreis auf der Bühne versammelt – um jenen roten Samtsessel herum, auf dem Tabori vom Bühnenrand aus gern seine Inszenierungen verfolgte.

Jeder las eine kurze Szene, manchmal nur einen Satz, aus Taboris umfangreichem Werk; von den bekanntesten wie „Mutters Courage“ oder den „Goldberg- Variationen“ bis hin zu Briefen. Auf diese Art erzählte sich die je eigene Tabori-Geschichte der Vortragenden angenehm unaufdringlich mit, nämlich nur durch ihren Vortragsstil. Und das Wort, das zuerst BE-Intendant Claus Peymann ergriff (in dessen Wiener Burgtheater-Ära Tabori große Erfolge feierte), blieb beim Gefeierten selbst.

Das letzte Wort – beziehungsweise die letzten zehn – hatte Taboris Frau, die Schauspielerin Ursula Höpfner: „Leben, Lieben, Lachen, Liegen, Warten, Hoffen, Kommen, Flüstern, Schreien, Wir.“ Dazwischen moderierte Hermann Beil genüsslich und nicht ohne Eifer scharfsinnige Tabori-Sätze über zynische Kritiker. Eine Spezies übrigens, die auch bei Jürgen Flimm schlecht wegkam: Er las vier erbauliche Tabori-Briefe an Claus Peymann. Michael Verhoeven, Regisseur der Tabori-Verfilmung „Mutters Courage“, beschwor mit Überlegungen zum Film noch einmal Taboris frühes Hollywood-Intermezzo als Drehbuchautor für Alfred Hitchcock und als Mann, der Greta Garbo den Kopf verdrehte, herauf. Andrea Breth berührte mit ihrem zurückgenommenen Vortrag von Taboris sehr persönlichen Gedanken zu Peymanns „Nathan“-Inszenierung 1981 in Bochum. Und Klaus Wowereit schließlich zeigte sich von der Tatsache beeindruckt, dass Tabori sich „nie verbiegen“ ließ: Er las aus dessen Brief an die Leitung der Salzburger Festspiele, die 1987 wegen vermeintlicher Obszönitäten mit der Absetzung seiner Inszenierung von Franz Schmidts Oratorium „Das Buch mit den sieben Siegeln“ drohte (und die Drohung schließlich auch wahr machte).

Neben der Prominenz oben fand sich auch viel Prominenz im Parkett: von Bundespräsident Horst Köhler über Kulturstaatssekretär André Schmitz bis zu Jutta Lampe. Am Schluss: stehende Ovationen, eher leise als überschäumend. Ein sehr schöner, erhabener Moment.

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