zum Hauptinhalt
Gefühlsverwirrungen. Szene aus dem Film „My Happy Family“.

© Tudor Vladimir Panduru

Georgische Filme auf der Berlinale: Schlaflos in Tiflis

Die langen Schatten der Sowjetunion: Auf der Berlinale laufen drei Filme aus Georgien, die ganz unterschiedliche Stimmungsbilder des Landes darstellen.

Als Georgien noch zur Sowjetunion gehörte, galt ein striktes Reiseverbot entlang der langen Grenze zur Türkei. Rezo Gigineishvilis Thriller „Hostages“ holt ein Schockereignis des Jahres 1983 hervor, das die zum Bersten gespannte Stimmung der Zeit in eine fulminant inszenierte Fluchtgeschichte fasst.

Junge Leute aus der Oberschicht der georgischen Hauptstadt Tiflis, unter ihnen Arztsöhne, Kunststudenten, ein angehender orthodoxer Priester und ein ehemaliger Kinderstar, fallen bei ihrem Badeausflug nach Batumi, der Grenzregion am Schwarzen Meer, dem Spitzelsystem des KGB auf. Die Väter haben etwas zu verlieren – ihre Verwarnung hat peinliche Unterwerfungsgesten vor den Geheimdienstfunktionären und panische Zurechtweisungen der Söhne zur Folge.

Die aber leben in einer eigenen Welt, teilen geschmuggelte Camel-Zigaretten, besorgen sich über einen missionarischen Priester heimlich Westmusik und fallen beim Gitarrespielen unversehens in Beatles-Songs. „Hostages“ beobachtet das sympathische Treiben um Nika (Irakli Kvirikadze) und seine Braut Anna (Tina Dalakishvili) in einer ungeheuer dichten Montage-Textur. Beiläufig teilt sich mit, dass auch Pistolen organisiert werden. Die Hochzeit von Anna und Nika, eigentlich ein jubelndes Abschiedsfest mit einer grandios kreisenden Tanzszene, soll der Aufbruch in die Freiheit sein. Die Gruppe will den gemeinsamen Flug nach Leningrad nutzen und die Maschine Richtung Türkei entführen.

"Hostages" eine Abrechnung, "City of the Sun" ein Tableau des Niedergangs

Der Coup misslingt. Er endet mit der Rückkehr nach Tiflis und vielen Opfern. Doch über die nah an den verzweifelten Protagonisten inszenierte Action hinaus zeigt der Film die Rache des Systems, legt in den Gesichtern und den Phrasen der Polizei-, Geheimdienst- und Justizkaste das hermetische Weltbild des homo sovieticus offen. Auch die Eltern der hingerichteten Flugzeugentführer werden bestraft; man löscht die Spuren ihrer Gräber.

Ist Gigineishvilis „Hostages“ eine zornige Abrechnung mit der mentalen Verkrustung Georgiens unter der Knute des KGB, zeichnet der visuelle Trauergesang der Semi-Dokumentation „City of the Sun“ ein exemplarisches Tableau des wirtschaftlichen und sozialen Niedergangs nach dem Ende der Sowjetunion. In monumentalen Luftaufnahmen, vielen, wie festgefrorenen Bildern von verlassenen Häusern und Industrieanlagen, führt Rati Onelis Film in die Bergregion um Tschiatura, wo Georgien vor der Unabhängigkeit fast 50 Prozent des international benötigten Metalls Mangan aus seinen Minen förderte.

Unter der Last einer Endzeitstimmung sucht er die trotzig Überlebenden, die Dagebliebenen und folgt ihrem ritualisierten Alltag in der Armut. Einige Minenarbeiter, sympathische Typen, begleitet er in den Stollen, beobachtet sie beim Frühstücken, bei Reparaturarbeiten, Steineschlagen und -abtransportieren wie in einem Mini-Memento einst wichtiger Handarbeit. Daneben sieht man einen einsamen Steineklopfer, der den Beton eines gewaltigen Kühlturms von Hand abträgt, abends jedoch mit Kindern, manchmal auch mit den Damen einer quirligen Truppe Musik macht. Wo und wie diese Bewohner der unwirtlichen Gegend leben, bleibt außerhalb des Blickfeldes.

"My Happy Family" ein Stimmungsbild der Mittelschicht

Wie die „Hostages“ (Panorama) und „City of the Sun“ (Forum) verdankt sich auch der dritte georgische Film „My Happy Family“, ein Stimmungsbild der zeitgenössischen Mittelschicht in Tiflis, einer georgisch-europäischen Koproduktion. Aus eigenen Mitteln kann das 2001 gegründete Nationale Filmzentrum in Tiflis kaum Langfilme finanzieren.

So geht die feine Familien- und Emanzipationskomödie „My Happy Family“ (Forum) unter anderem auf das Studium der Drehbuchautorin und Ko-Regisseurin Nana Ekvtimishvili an der Filmhochschule in Babelsberg zurück. Gemeinsam mit Simon Groß an Originalschauplätzen inszeniert, führt der Film mitten ins alltägliche Chaos einer georgischen Mehrgenerationenfamilie, die sich die engen Räume einer verwinkelten Etagenwohnung teilt.

Manana (Ia Shugliashvili), eine Frau Mitte 40, zieht sich im Lärm der unaufhörlichen Reibereien zwischen ihren knapp erwachsenen Kindern, dem arbeitslosen Ehemann und ihrer dominierenden Mutter in sich zurück. Die Lehrerin bringt das Geld für die Familie auf, sie weiß in der Schule guten Rat für ihre von Zwangsheirat bedrohten Schülerinnen, zu Hause jedoch verfällt sie in die innere Emigration. Man könnte Manana für den bemitleidenswerten Fall einer depressiven Überforderung halten, hätten die Szenen am Familientisch nicht auch ihre abgründig komischen Seiten, vor allem wenn Mananas Bruder und weitere meinungsfreudige Angehörige auftauchen.

Eine Zimmer für sich allein macht noch kein Happy End

„My Happy Family“ macht die patriarchalische Bevormundung der Frauen auf unterhaltsame Weise dingfest. Sobald die Protagonistin sich allein durch die Stadt bewegt, spürt der Film subtil ihrer Präsenz und innewohnenden Energie nach. Diese Frau nutzt ihre finanzielle Unabhängigkeit, sagt sich los vom alltäglichen Irrsinn zu Hause, richtet sich eine kleine Mietwohnung ein und genießt endlich bei fortan geöffneten Fenstern das leise Blätterrauschen draußen.

Aber ein Zimmer für sich allein bedeutet nicht das Happy End. Die Familie mischt sich ein, versucht zu gängeln, eine Affäre des Ehemanns kommt ans Licht. Die Kinder nehmen zwar ihr Erwachsenwerden selbst in die Hand, suchen aber Anteilnahme und Hilfe. Die Frage bleibt, ob die räumliche Trennung für genug frischen Wind sorgt, um Manana und ihren zerknautschten Mann einander wieder näherzubringen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false