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Gernot Rehrl: Diener vieler Herren

Der Coup: Wie Intendant Gernot Rehrl für die Berliner Rundfunkorchester und -chöre kämpft.

Gernot Rehrl hat einen unmöglichen Job. Er trägt zwar den Titel „Intendant der Rundfunkorchester und -chöre GmbH Berlin“ (ROC) und leitet die größte deutsche Klassik-Holding mit 300 Künstlern und 50 Mitarbeitern in der Administrative. Doch im Alltag wird der Chef regelmäßig zum Diener von acht Herren: Da sind zum einen die Ensembles der ROC: der Rundfunkchor Berlin, das Deutsche Symphonie-Orchester (DSO), der RIAS Kammerchor und das RundfunkSinfonieorchester Berlin (RSB), allesamt Spitzenformationen mit internationalem Renommee und entsprechend selbstbewusst. Dass die Chöre und Orchester der hauptstädtischen Radiosender im Zuge der Wiedervereinigung 1994 unter einem Dach zusammengeführt wurden, empfinden die vier Zwangsvermählten bis zu ihrem 15. Geburtstag in diesem Jahr als Notlösung.

Die ROC reagierte darauf mit der Einführung getrennter Kostencenter, um die Verteilung der staatlichen Zuschüsse transparenter gestalten zu können. Doch nicht nur wirtschaftlich, vor allem auch künstlerisch pochen DSO, RSB Rias Kammerchor und Rundfunkchor auf ihr jeweiliges Selbstbestimmungsrecht.

Da wird für den Intendanten jede Amtshandlung schnell zum psychologischen Balanceakt. Kaum hatte Gernot Rehrl im Juli 2006 seinen Posten angetreten, geriet er auch schon mit dem RSB-Chefdirigenten Marek Janowski aneinander. Ein unwürdiges Kompetenzgerangel. Dabei hatte der Kulturmanager eigentlich nur ein paar Vorschläge unterbreitet, wie sich das musikalische Quartett besser innerhalb der hauptstädtischen Klassikszene profilieren könnte. Für genau diese Aufgabe hatten ihn seine anderen vier Herren nämlich aus München abgeworben: Der Kulturstaatsminister, das Land Berlin, das Deutschlandradio sowie der RBB überwiesen jedes Jahr 28 Millionen Euro an die ROC GmbH. Dafür wollen sie mehr sehen als tolle Konzerte – nämlich zum Beispiel gemeinsame Aktivitäten der Chöre und Orchester.

Nach Stationen bei den Münchner Philharmonikern, dem Windsbacher Knabenchor und dem Chor des Bayerischen Rundfunks hatte sich der 1955 in Bamberg geborene Gernot Rehrl seit 2000 beim Münchner Rundfunkorchester des BR einen Ruf als innovativer ProgrammMacher erworben. Zum Überraschungserfolg wurde beispielsweise die Kirchenkonzert-Reihe „Paradisi gloria“. Dieses Konzept will Rehrl nun aus dem katholischen Kernbundesland in die Hauptstadt des Atheismus importieren. Unter dem Titel „Klang Bilder“ finden im Mai und Juni Abende in der Wandelhalle der Gemäldegalerie am Kulturforum statt. Die Verbindung von Renaissance- und Barockmusik mit theologischen Bildbetrachtungen soll dabei an diesem spirituellen Ort zu neuen, entschleunigten Konzerterlebnissen führen.

Bereits zum zweiten Mal veranstaltet die ROC in dieser Saison außerdem mit allen vier Ensembles sowie dem Berliner Konservatorium für türkische Musik das Projekt „Klangkulturen“. Unter dem Motto „Kulturelle Bildung“ schließlich werden die Jugendaktivitäten gebündelt, vom Workshop über den Konzertbesuch während der Schulzeit bis zu Lehrerfortbildungen. Solche Aktivitäten kommen gut an bei den Gesellschaftern.

Nicht zuletzt deshalb ist Gernot Rehrl bei der Verhandlung zur mittelfristigen Finanzplanung der Klassik-Holding jetzt ein echter Coup gelungen. Sechs Millionen Euro mehr per anno haben Bund, Berlin, Deutschlandradio und RBB für die Jahre 2010 bis 2012 zugesagt. Dass Rehrl als gebürtiger Franke ein ausgeprägtes Beharrungsvermögen besitzt, dürfte ihm beim Verhandlungsmarathon in den vergangenen Wochen sicher geholfen haben.

Mitten in der Wirtschaftskrise einen Mittel-Aufwuchs herauszuhandeln, das ist schon was – auch wenn er selber seinen Erfolg herunterspielt: Der Löwenanteil muss für die Haushaltskonsolidierung aufgewendet werden, erklärt er. Zum einen, um ein strukturelles Defizit auszugleichen, das die Rücklagen der Ensembles aufgefressen hat, zum andern, um künftige Tarifabschlüsse bezahlen zu können. Die verbleibende Summe aber kann ganz konkret in die Kunst investiert werden.

Sollte es Gernot Rehrl jetzt noch gelingen, dass der vorhersehbare Streit der vier ROC-Konkurrenten um die gerechte Verteilung der Mittel als interne Debatte ausgetragen wird und nicht – wie beim letzten Geldsegen für die Berliner Opernstiftung – als öffentliche Schlammschlacht, dann dürfte er sich damit auch für den heikelsten Posten in der deutschen Klassiklandschaft empfehlen. Nämlich für die Intendanz der Berliner Philharmoniker, die zum Herbst 2010 frei wird. Noch so ein unmöglicher Job – nur dass der Chef hier Diener von 120 Damen und Herren ist.

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