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Kultur: Gesang des Meeres

Schöner Grenzverkehr: Das Usedomer Musikfestival feiert seinen 10. Geburtstag in Polen und Deutschland

Majestätisch rollt die Dünung vor Usedom, als im Wasser ein Mann erkennbar wird. Er wischt sich eine Schaumkrone vom Schopf und erreicht den Strand von Heringsdorf. Orchesterklänge wehen von der Seebrücke herüber, der Mann singt Wagner und heißt Placido Domingo. So träumte man einst auf Deutschlands zweitgrößter Insel. Dieses Jahr wird zwischen den Kaiserbädern und Peenemünde die 10. Ausgabe des Usedomer Musikfestivals gefeiert, die dort ansetzt, wo die Schienen der Bäderbahn mitten im Wald enden. Zwischen Ahlbeck und dem polnischen Swinoujscie (Swinemünde), der größten Stadt der Insel Usedom, sucht man den kleinen Grenzverkehr vergebens. Hier passieren keine öffentlichen Verkehrsmittel die Grenze und keine Autos. Vor allem deutsche Schnäppchenjäger zieht es auf die zwei Kilometer lange Straße nach Swinoujscie, einer brodelnden und bratenden Budenmeile. Wie weit entfernt wirkt da Heringsdorf, wo jeder genau weiß, wie oft der Kaiser im Seebad Tee getrunken hat.

Aus der geografischen Nähe und der emotionalen Ferne zum Nachbarland hat das Usedomer Musikfestival sein Profil gewonnen. Polen steht wenige Monate vor seinem EU-Beitritt im Mittelpunkt. „Die Menschen wissen sehr wenig von polnischer Musik. Aber wenn sie sie hören, dann mögen sie sie“, haucht Ewa Podles, die weltweit gefeierte Contraltistin aus Warschau in samtweichem Ton. In ihrem Gepäck sind polnische Kompositionen, die bergen, was Ewa Podles so liebt: Tragik. Schatten der Trauer ziehen sich durch viele Werke, die entstanden, da Polen als Nation nicht existierte. Für zusätzliche Schattierungen sorgt der Ort des Usedomer Eröffnungskonzerts. Der Kursaal im Maritim Hotel Kaiserhof in Heringsdorf presst die zu schwach dimensionierte Karol-Szymanowski-Philharmonie Krakau auf dem Podium zusammen und schluckt ganze Klangsegmente. So fällt der Abend mit Werken von Moniuszko, Wieniawski, Szymanowski und Karlowicz bedrückender aus als nötig, was Dirigent Tomasz Bugaj spürt und schnell eine Mazurka als Zugabe ansetzt.

Wie intim das größte deutsch-polnische Kulturprojekt des Jahres 2003 ausfallen kann, erlebt man im Kunst-Kabinett des Dorfs Benz. Dicht drängt sich das Publikum in der ehemaligen Scheune zusammen, um Kammermusik zu hören, die beim „Warschauer Herbst“, dem legendären Festival für Neue Musik, ihre Uraufführung feierte. Mit dem amerikanischen Verdehr Trio reist ein anrührend eigenwilliges Ensemble an die Ostsee: Seit drei Jahrzehnten versuchen die Musiker ihre Formation – Klarinette, Geige, Klavier – in der Musikwelt zu verankern. Doch die selbstgefällige Pseudoromantik von Wolfgang Rihms „Gesangsstück“ fällt wie Mehltau über den Abend, den erst der in Shanghai geborene Bright Sheng mit dem minimalistisch-witzigen „Tibetan Dance“ abzuschütteln vermag.

Seinen emotionalen Höhepunkt erreicht das Usedomer Musikfestival in Peenemünde. Von hier aus trug das größte NS-Waffenprogramm mit Raketen Verheerung in die Welt. NASA-Aufnäher im Museumsshop spiegeln aber auch die Faszination wieder, die von den Raketenbauern um Wernher von Braun ausging. Eine Technik, die Tod brachte – in London und in den Fabrik-KZs. In der Turbinenhalle dirigiert Krzysztof Penderecki mit dem NDR-Sinfonieorchester sein „Credo“, ein Glaubensbekenntnis mitten im Zweifel. Doch der historische Ort animiert den polnischen Komponisten eher zu stoischem Taktieren: Unbewegt lässt er die Chöre sausen, das Orchester dröhnen. Eine Druckwelle schiebt durch die Reihen und verhallt. Aus den Gemäuern sickert es kalt.

Noch bis zum 11. Oktober. Weitere Infos unter: www.usedomer-musikfestival.de

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