zum Hauptinhalt

Kultur: Geschichte führt zu nichts

Gerard Donovans beklemmender Roman „Ein bitterkalter Nachmittag“

Schon mit Julius Winsome, dem Protagonisten aus seinem Roman „Winter in Maine“, hat der irische Schriftsteller Gerard Donovan eine erschreckende Figur geschaffen; einen Einsiedler, der in einer Hütte mit seinen Büchern lebt und auf die Erschießung seines Hundes mit einem grausamen Rachefeldzug antwortet. Der namenlose Ich-Erzähler von Donovans nun auch auf Deutsch vorliegendem Debütroman „Ein bitterkalter Nachmittag“ von 2003 ist ein geistiger Verwandter von Winsome. Er ist ein Sonderling, der sich mit vielen Büchern ein Weltwissen angelegt hat, das ihm nicht nur das Überleben, sondern auch eine strategische Überlegenheit gegenüber seiner Umwelt sichert. Einer, der in der Lektüre „Erfahrungen, die ich selbst nicht machen musste“ gesammelt hat, die aber gerade im Krieg überlebensnotwendig sein können. Aber der Reihe nach.

Zu Beginn steht dieser Mann auf einem Acker und gräbt ein Loch. Dabei wird es bleiben, über 300 Seiten lang. Der Mann ist Bäcker. Ein anderer Mann steht daneben und raucht und passt auf. Er ist Lehrer. So reden sie sich an: „Bäcker“ und „Lehrer“. Es schneit an diesem Tag am Rande einer Stadt an der Küste, in der es selbst dann nicht angenehm ist, wenn das Meer im Sommer türkisblau leuchtet: Ein Atomkraftwerk hat den Landstrich kontaminiert. Es tobt ein Krieg in dem Land.

Wofür das Loch, das der Bäcker gräbt, benötigt wird, erschließt sich schnell: Lastwagen karren eine Menschenladung nach der anderen an; die Menge wird von Soldaten bewacht. Der Bäcker redet um sein Leben. Bäcker und Lehrer führen in diesem absurden Szenario einen ebenso absurden Krieg der Worte und Lebenshaltungen. Sie erproben sich in Rollenspielen und Sprechrollen, bezichtigen und beschwichtigen sich. Für den Lehrer ist die Existenz eine ewige Schule, für den Bäcker ein ewiger Kampf. Sein Geschäft hat er erobert, geführt und im Auge behalten wie ein Kriegsherr sein Schlachtfeld. Wäre es nicht so erschreckend, hätte das fast komische Züge. Beide Positionen schließen sich nicht zwangsläufig aus; manchmal nähert man sich einander an, um schnell wieder auseinanderzudriften.

Ein groteskes Kammerspiel in eisiger Kälte, so eiskalt, wie es der Blick des Bäckers auf die Welt und auf sich selbst ist. Das Wort „lakonisch“ ist noch untertrieben für die Haltung, mit der der Ich-Erzähler auf sein Dasein blickt. Die Kapitel sind kurz, umfassen oft nur ein oder zwei Seiten. „Alle meine Freunde haben geheiratet“, heißt etwa eine dieser Miniaturen. „Ich“, sagt der Bäcker, „stand außerhalb und beobachtete wie sie ein erfolgreiches Leben führten. Es passierte einfach.“ Und weiter: „Meine Stärke ist meine Gleichgültigkeit. Ich habe ihre Grausamkeit überlebt.“ Sagt einer, der die eigene Grausamkeit nicht wahrzunehmen in der Lage ist. So unbarmherzig kann nur einer sein, der sich selbst außerhalb aller Zusammenhänge stellt.

Bäcker und Lehrer reden also. Über griechische Philosophen, die belgische Kolonialpolitik im Kongo, über die Erfindung des Brotes, die Bombardierung Dresdens. Den Boden der moralischen Indifferenz aber verlässt Donovan nie. Wie, so die große Frage hinter alldem, kann man sich schuldig machen? Durch Worte schon? Durch Taten? Oder auch nur durch den bloßen Überlebenswillen? Vom Mittag bis zum Abend: nur Schnee, Kälte, schaufeln, reden. Man glaubt sich, darin eingerichtet zu haben, bis man bemerkt, dass alles anders ist und viel brutaler, als man es gedacht hat. Die Geschichte, zeigt der Archaiker Donovan, führt zu nichts. Schon gar nicht zu einem Fortschritt. Christoph Schröder

Gerard Donovan: Ein bitterkalter Nachmittag. Roman. Aus dem Englischen von Thomas Gunkel.

Luchterhand Verlag, München 2010.

334 Seiten, 19,99 €.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false