zum Hauptinhalt

Geschichte: Rambospiel der Berlinale

Das Berliner Publikum: aggressiv, gnadenlos. Die deutschen Regisseure: beleidigt, verzweifelt. Ein halbes Jahrhundert geht das so. Dann kommt mit Dieter Kosslick der Frieden.

Eigentlich muss man dem ewigen Rebellen Romuald Karmakar dankbar sein. Hat er doch in den arg gemütlichen nuller Jahren, als der deutsche Berlinale-Film unter der Ägide von Dieter Kosslick von Erfolg zu Erfolg eilte, einmal richtig blank gezogen – und ein Glanzlicht der Disharmonie gesetzt, das an die bösen alten Tage des Festivals erinnert. 2004 war das. Kaum war Karmakars spröde Beziehungsstudie „Die Nacht singt ihre Lieder“ bei der ersten Vorführung ausgelacht, holte der Regisseur auf der Pressekonferenz zum Gegenschlag aus. Als ein Journalist sein Unbehagen an dem Film zu formulieren suchte, fuhr Karmakar ihm in die Parade. „Mir ist das hier zu primitiv. Entweder geht das Niveau in eine andere Richtung, oder wir lassen es.“

Endlich Zoff. So was hatte die Berlinale lange nicht erlebt – und ein paar Tage vorher, bei einer Debatte der Deutschen Filmakademie unter dem Motto „Was ich am deutschen Film hasse“, nur auf Einladung herstellen können. Schimpften da die Regisseure aus lauter Verzweiflung mit sich selbst, weil sie keine Gegner mehr hatten – ihren Lieblingsfeind namens Filmkritik am allerwenigsten? Tatsächlich, bis dahin war alles eitel Harmonie: im ersten Kosslick-Jahr gleich vier deutsche Wettbewerbsfilme, darunter Andreas Dresens Hit „Halbe Treppe“. Im Jahr darauf wurde „Good Bye, Lenin!“ sensationell zum Welterfolg. 2004 ließ sich immerhin schön disharmonisch an – bis Fatih Akin mit seinem Drama „Gegen die Wand“ den Goldenen Bären holte.

Keine Frage, der stets heiterkeitsbereite Schwabe Dieter Kosslick, zuvor in Nordrhein-Westfalen Herr über den fettesten regionalen Filmfördertopf, hatte die Grabenkämpfer im Sturm erobert. Da war einer, der die misstrauisch gewordenen deutschen Regisseure zurück ins Festivalboot holte. Da war einer, der das Publikum mit deutschen Filmen begeisterte und die Kritiker, indem er das ästhetische Experiment auch im Wettbewerb suchte, wieder fürs heimische Kino gewann – und schon war auch die Berlinale international neu attraktiv. Friede, Freude, Feierkuchen!

Aber wie viel wiegt eine Dekade gegen ein halbes Jahrhundert ruppiger Festivalgeschichte? Am Anfang ging alle Gewalt vom Zuschauervolke aus – kein Wunder bei dem mäßigen Angebot des deutschen Nachkriegsfilms. Schon früh erwarb sich das Berliner Publikum jenen aggressiven Ruf, der noch bis zur Jahrtausendwende die Sensibleren unter den Regisseuren verscheuchen sollte. Bereits im Premierenjahr 1951 wurden drei deutsche Filme so gnadenlos niedergepfiffen, dass sogar Journalisten sich zu Mäßigungsappellen genötigt sahen. Drei Jahre später erging es Kurt Neumanns „Rummelplatz der Liebe“ vor 25 000 Zuschauern in der Waldbühne nicht besser, und 1958 mahnte der Regierende Bürgermeister Willy Brandt: „Ich vertraue auf die Weltoffenheit dieser Stadt und darauf, dass uns Manifestationen von Unduldsamkeit erspart bleiben mögen.“

Das „absolute Vakuum“ – so diagnostiziert Regisseur Peter Schamoni den damaligen Geisteszustand des deutschen Films – löste sich erst 1962 mit dem Oberhausener Manifest. Dessen Unterzeichner, darunter Edgar Reitz und Alexander Kluge, brachen brachial in eine Moderne auf, wie sie die Nouvelle Vague vorgezeichnet hatte. Dass die Berlinale deren Filmemacher, allen voran Jean-Luc Godard, bereits massiv förderte, half ihr allerdings wenig. Die Regisseure Jean-Marie Straub etwa und Werner Herzog standen ihr feindselig gegenüber, und Kluge selber nannte das Festival 1968 „in sich langweilig“, wobei er der als „mondän“ empfundenen Veranstaltung den langsamen Selbsterstickungstod empfahl. Dass ein Jahr später erstmals ein deutscher Film prominent prämiert wurde – Peter Zadeks „Ich bin ein Elefant, Madame“ erhielt einen Silbernen Bären –, erscheint heute allerdings bloß als Pointe vor dem ersten großen Krach.

Wegen Michael Verhoevens Vietnamkriegsparabel „o. k.“ wurde das Festival 1970 abgebrochen – und diesmal waren es weder Zuschauer noch Kritiker, die das heimische Schaffen schmähten, sondern der US-Jurypräsident George Stevens, der in grotesker Verkennung seiner Funktion den deutschen Beitrag flugs vom Wettbewerb ausschließen wollte. Der Vorfall dürfte die Kino-Kreativen darin belehrt haben, nunmehr nach wirklich allen Seiten achtsam zu sein. Zu Recht: 16 Jahre später war Jurypräsidentin Gina Lollobrigida die Protagonistin eines der größten Berlinale-Skandale, als sie sich öffentlich vom Goldenen Bären für Reinhard Hauffs „Stammheim“ distanzierte. Kleiner Fortschritt: Die italienische Schauspielerin, die massiv – so erinnert sich der damalige Berlinale-Chef Moritz de Hadeln – einen Film ihres Landsmanns Nanni Moretti favorisierte, gab sich, wenn auch wütend, der Mehrheit der Juroren geschlagen.

Mit dem Italoanglofrankoschweizer de Hadeln allerdings, der 22 Jahre amtierte, ging der deutsche Dauerknatsch erst richtig los. Zwar hatten 1979 Peter Lilienthal („David“) und 1980, im ersten De-Hadeln-Jahr, Werner Schroeter („Palermo oder Wolfsburg“) die ersten Goldenen Bären für Deutschland gewonnen, aber bald warfen die Filmemacher dem neuen Berlinale-Chef Kontaktunfähigkeit, Dilettantismus sowie Liebedienerei vor den Hollywood-Studios vor – ein Blues, in den für Jahrzehnte die Feuilletons einstimmten. Nur die vage Forderung der Branchenverbände nach einem „repräsentativen Festival“, offenbar einer Massenleistungsschau des heimischen Kinos, machten sich die Filmkritiker nicht zu eigen. Die Regisseure schmollten zusehends, erst recht nach zahlreichen Verrissen, wenn sie nicht gleich, wie Volker Schlöndorff, nach Cannes zogen. Dabei übersahen sie manch beherzten Einsatz de Hadelns, wenn er – etwa für Herbert Achternbusch – die Interventionsversuche des zuständigen CSU-Innenministers Zimmermann mit seinem „künstlerischen Mandat“ zu parieren pflegte.

Richtig gut hatten es nur die anderen deutschen Filme: jene der Defa, als sie endlich in die „ferne Nähe West-Berlin“ (Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase) aufbrechen durften. Frank Beyers „Jakob, der Lügner“ machte 1975 den Anfang, es folgten Konrad Wolfs „Solo Sunny“ (siehe Seite 4) und, bis über den Mauerfall hinaus, verbotene DDR-Meisterwerke wie Beyers „Spur der Steine“. So bahnbrechend die Stillung deutschdeutschen Nachholbedarfs war, an der Westfront wurde erbittert weitergekämpft. Nach den Verrissen für Margarethe von Trottas Mauerzeit-Epos „Das Versprechen“ – der Tagesspiegel etwa sprach von einer „tränenfeuchten Schnulze“ – gingen die deutschen Filmemacher praktisch zum Boykott der Berlinale über. Anfang 1998 starteten etwa „Der Campus“ und „Comedian Harmonists“ gleich im Kino; nur Michael Gwisdeks wilder Ego- und Ehetrip „Das Mambospiel“ blieb für den Wettbewerb übrig. Und wurde prompt verrissen.

„Ich weiß, dass ich hier über die Klinge springen kann“, sagte Andreas Dresen tapfer, als er mit „Nachtgestalten“ ein Jahr später seinen ersten großen Berlinale-Auftritt wagte. Er sprang nicht über die Klinge, im Gegenteil. Es war der Anfang einer wunderbaren Freundschaft, wie seither für viele seiner Kollegen, von Christian Petzold bis Hans-Christian Schmid, von Valeska Grisebach bis Oskar Roehler. Gleich in seinem Startjahr 2002 schuf Dieter Kosslick mit der „Perspektive Deutsches Kino“ ein Forum für den Hochschulnachwuchs, und in allen Programmschienen sind die Deutschen Jahr für Jahr massiv präsent. Zuletzt erschloss Kosslick den Friedrichstadtpalast für Galavorstellungen – mit der Folge, dass die Publicity um Schauwerteproduktionen wie „John Rabe“ und „Hilde“ die Aufmerksamkeit für Wettbewerbs-Filmkunst fühlbar beeinträchtigt. Immerhin: Der alten Sehnsucht der Branche nach einem „repräsentativen Festival“ ist er damit bedeutend näher gekommen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false