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Katze mit Frauengesicht: Träume von griechischen Schriftstellern in Zeiten der Krise.

© imago/Steffen Schellhorn

Geschichten aus dem griechischen Alltag (7): Träume: Die Katze mit dem Frauengesicht

Die Krise in Griechenland bestimmt nicht nur den Alltag, sondern schleicht sich auch bis in die Träume.

Ich habe geträumt, ich nähme an einer Tagung über die Lüge teil. Während die übrigen Tagungsmitglieder diskutierten, saß ich auf der Stuhlkante und versuchte, Notizen zu machen, krakelte einzelne ungeordnete Wörter aufs Papier. Diesen Traum hatte ich in der Nacht, als die Banken in Griechenland schlossen. Alle mir nahen Menschen bekamen in letzter Zeit seltsame Träume. Mein Mann träumte, dass unsere Tochter mit Tsipras zur Euro-Gruppe fuhr. Auf dem Weg dorthin wurde die Limousine des Ministerpräsidenten von einer Bombe getroffen. Sie wurden zwar gerettet, aber Tsipras kam völlig verstaubt aus den Trümmern. Sein Anzug hatte sich in einen Militärmantel aus dem Ersten Weltkrieg verwandelt. Meine Tochter träumte, dass sie mit Hitler in einen GapLaden ging; sie sollte ihm helfen, Kleider zu kaufen und jemanden zu finden, der ihm den Schnurrbart abrasierte. (Vielleicht geht der Traum auf den Roman „Er ist wieder da“ zurück, den liest sie gerade. Darin taucht Hitler mitten in der Gegenwart auf.) Schopenhauer schrieb, die Geschichte sei nur der lange, schwere, verworrene Traum der Menschheit. So gesehen ist alles, was wir gerade in Griechenland träumen, die aktuelle Geschichte einer kollabierenden Gesellschaft, ein Abdruck des kollektiven Unterbewussten. Also bat ich befreundete Schriftsteller, mir einen ihrer Träume während der Krisenmonate zu erzählen. Dies ist ein Traumbuch, ohne jeden Kommentar.

Siranna Satelli, die in der griechischen Literatur als Träumerin par excellence gilt, hat in letzter Zeit gar nichts geträumt. Sie schläft auch nicht gut: „Aber ich nehme keine Tabletten. Die Trauer ist so groß, dass sie wie ein Schlafmittel wirkt.“ Aus ihren Traumheften liest sie mir einen Traum vom 21. Juni vor: „Ich träumte von B. B. Kings Begräbnis, auf dem sich auch Mandela befand. Ein endloser Menschenstrom. Ich folgte ihm sehr bewegt; da kam ein Typ, um mich wegzuholen, und ich sagte höflich, er solle sich verziehen. Ich wollte das Weinen ganz alleine auskosten … Und plötzlich springt ein kleines Mädchen von der Brücke in den Fluss.“

Alexandros Isaris, Dichter und Übersetzer deutscher Literatur, leidet unter Panikattacken. Wenn er einschläft, hat er ausgesprochen literarische Träume, wie den von seinem Freund, dem Schriftsteller Giorgos Chimonas: „Zu Chimonas hatte ich eine enge Beziehung. Seit seinem Tod hatte ich nicht von ihm geträumt. Aber kürzlich stand im Traum vor mir in der Schlange am Geldautomaten eine Gestalt, die wie Chimonas aussah. Ich sah diesen typischen Haarschopf. Chimonas drehte sich um, sah mir tief in die Augen und sagte streng: Keine Angst, nichts von dem, was dich erschreckt, wird passieren.“

Giannis Kioutsakis, ein glühender und enttäuschter Verfechter Europas, erzählt einen prophetischen Traum, den er am 11. Februar 2012 träumte, an dem Abend, als im griechischen Parlament über ein weiteres Memorandum und den Schuldenschnitt abgestimmt wurde: „Ich träumte, ich hätte die Parlamentssitzung mitverfolgt, und die meisten Abgeordneten seien nacheinander zur Rednerbühne gegangen und hätten erklärt, sie weigerten sich, mit einem „Ja“ oder „Nein“ an dieser erpresserischen Abstimmung über einen umfangreichen und unverständlichen Text teilzunehmen, zu dessen Lektüre sie kaum genug Zeit gehabt hätten. Und weil sie nicht in der Lage seien, ihre parlamentarische Funktion auszuüben, würden sie jetzt zurücktreten.“

Anstatt dem Euro kleine Blechfässer?
Anstatt dem Euro kleine Blechfässer?

© Tobias Hase/dpa

Christos Chomenidis träumt von einer nicht existenten Währung, davon, dass „man den Euro durch eine nationale Währung ersetzt hat, die aus Blechfässchen besteht, die so winzig sind, dass sie in der Hand kaum zu erkennen sind. Ich hatte Angst, sie würden wegrollen und verloren gehen. Ich dachte: Können sie die nicht wenigstens etwas größer machen?“

Alki Zei, die Kriege und Exile erlebt hat, ist im Traum wieder in ihre Pariser Jahre zurückgekehrt: „Wir waren mit unseren noch kleinen Kindern auf einer Demonstration in Paris, und plötzlich hatte ich sie verloren. Ich höre jemanden rufen, drehe mich um und sehe Melina (Mercouri). Sie sitzt völlig unfrisiert in einem langen Kleid da. Wie bist du denn in der alten Klapperkiste bis hierhin gekommen, fragt sie mich und deutet auf ein schwarzes Vorkriegstaxi, aus dem ich angeblich ausgestiegen bin. Was redest du denn jetzt von dem Taxi, sage ich. Weißt du denn nicht, was los ist? – Die Hölle! Ich weiß, sagt Melina, ich habe ein Video, ich erkläre dir alles. Und ich frage sie: Wo ist Jules Dassin? Wo ist mein Mann? Ach, sagt sie, Er hat sie zum Arbeiten geschickt. Und das sagt sie verächtlich, es ist klar, dass sie Gott damit meint. Ich frage, wo sie wohnt, und sie weist auf einen Palast in der Ferne – Erdogans Palast. Wir durchschreiten das erste Tor von Amphipolis, auf der Suche nach dem Video, das sie mir zeigen will. Als wir am zweiten Tor ankommen, wache ich auf.“

Eva Stefani hat surrealistische Träume: „Wir haben uns alle gemeinsam in der Küche ins Bett gelegt, um fernzusehen. Wir legen uns übereinander. Erst der Papa auf den Bauch. Dann die Mama auf den Rücken. Zwischen die beiden legt sich der eine Bruder. Oben drauf die Zwillinge. Ganz obenauf bäuchlings die Tochter. Decken sind nicht notwendig, denn einer wärmt den anderen. Es können auch noch andere Verwandte mit ins Bett kommen, nur muss jeder eine eigene Fernbedienung haben.“

Dimitris Sotakis kann durchaus mit ihr konkurrieren: „Ich wurde dringend nach Brüssel gerufen, um das Griechenlandproblem zu lösen, und komm mit der Metro an, letzte Station auf der blauen Linie. Als ich auf das große EU-Gebäude zugehe, zerspringt mir beinahe das Herz. Das große Portal öffnet sich, vor mir steht eine faltige greisenhafte Braut, der ein halb toter Hund die Füße leckt. Überall Moder und Gestank, nur am Rand des Saales spielt ein kleines Kind mit einem Plastikball, aber es schrumpft zusammen und zerrinnt, sodass der Boden mit einer klebrigen Flüssigkeit überzogen wird.“

Sofia Nikolaidou träumt von Mauern: „Ich habe eine weiße Mauer vor mir. Blendend weiß. Ich bin so nahe davor, dass meine Nase auf den kalten Beton drückt. Ich breite die Arme aus, taste nach oben, sie hat kein Ende. Ich kann nicht weiter. Aber zurück kann ich auch nicht. Ich stecke dort fest.“ Soti Triantafillou träumt ganz ähnlich: „Ich bin in einem Zimmer. Nach und nach kommen die Wände auf mich zu, es wird immer enger, das Zimmer immer kleiner. Ich habe keinen Platz mehr, da wache ich auf.“

Klinikalltag in Griechenland
Klinikalltag in Griechenland. Einige träumen sogar davon.

© imago/invision

D. N. Maronitis, einer unserer bedeutendsten Philologen und Übersetzer von altgriechischer Literatur, träumt noch im Krankenhaus: „Zeit: Erste Juliwoche des laufenden Jahres. Ort: Evgenidis-Klinik, schmerzhafte Untersuchungen. An einem verödeten Ort läuft eine männliche Gestalt in einem Mantel herum. Sie sagt, ohne zu sprechen, beinahe im Kommandoton: Dein Körper … Die Botschaft hat eine große Wirkung. Die Lösung hat auch für dich begonnen. Ich wache auf, als hätte sie schon begonnen.“

Fotini Tsalikoglou, Autorin und Professorin für Psychologie, hat den symbolischsten Traum: „Ich warte an einem verlassenen Strand. Rostige Blechteile, Fischgräten, mit Abfall und Essensresten vermischte Kiesel. Eine bleigraue Katze sieht mich eindringlich an. Eine bleigraue Katze mit einem Frauengesicht. Ich erkenne die Apothekerin aus der Thiseosstraße, wo ich am Vorabend ein Medikament gegen Schlaflosigkeit kaufen wollte. Alles ausverkauft, sagte sie und wies auf ihren letzten Kunden, einen fünfjährigen Jungen in Anzug und Krawatte. Ich war verzweifelt. Geben Sie mir einen Verband, ich sterbe gleich. Morgen am Meer, sagte sie, bringe ich Ihnen den Verband.“

Amanda Michalopoulou, Jahrgang 1966, lebt als Schriftstellerin in Athen und auf den Inseln. Diesen Sommer drucken wir in loser Folge ihre Berichte aus Griechenland. – Aus dem Griechischen übersetzt von Birgit Hildebrand.

Diesen Sommer drucken wir in loser Folge ihre Berichte aus Griechenland. Die letzten Folgen waren Auf der Insel und Die Kinder und der Bildungs-Grexit

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