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Menschen ohne Migrationsdefizit. Dimitrij Schaad und Pinar Erincin in Sebastian Nüblings Inszenierung von „Get deutsch or die tryin‘“.

© Ute Langkafel/Maifoto

„Get deutsch or die tryin‘“ am Maxim-Gorki-Theater: Mutter blau, Vater weg

Mutig und lakonisch: Necati Öziris Generationenballade „Get deutsch or die tryin‘“ am Maxim-Gorki-Theater verwebt eine Geschichte der Türkei mit persönlichen Schicksalen.

Manchmal, in seltenen glücklichen Fällen, hört man im Theater einer Geschichte zu, die einem zunächst irgendwie bekannt erscheint – und die sich dann doch als völlig eigen und staunenswert entpuppt. Das Stück „Get deutsch or die tryin‘“ von Necati Öziri ist so ein Fall.

Entstanden ist diese von harten Sprachbeats durchpulste Generationenballade, deren Titel auf das 50-Cent-Album „Get Rich or Die Tryin‘“ anspielt, im vergangenen Jahr in der Literaturwerkstatt „Flucht, die mich bedingt“ am Gorki- Theater. Jetzt gelangt sie ebendort auf die große Bühne, in der Regie von Sebastian Nübling. Was eine so mutige wie feiernswerte Entscheidung ist. Andere Häuser würden das Gegenwartsdrama eines noch nicht durchgesetzten Autors wohl in der Nebenspielstätte vor sich hinstrampeln lassen. Zumal Öziri selbst ja auch Leiter des Studios am Gorki ist. Aber der größere Rahmen bekommt seinem Text bestens.

Der Autor erzählt im ersten Teil des Stücks von Arda, einem verlorenen Sohn mit saufender Mutter und abwesendem Vater. Der Junge, bei Nübling gespielt vom großartigen Dimitrij Schaad im pflaumenfarbenen Anzug, hängt im Sommer kurz vor seinem 18. Geburtstag in der Luft. Zu Hause hat sich die Schwester schon aus dem Staub gemacht, weil es nicht zum Aushalten ist, was Öziri mit kurzen, harten Strichen skizziert: „Deine Mutter döst auf der Couch, auf dem Boden davor zwei Jelzin-Wodka leer, der Fernseher viel zu laut, Columbo verhört einen Verdächtigen, ohne dass der Verdächtige es merkt.“ Reicht, um sich ein Bild zu machen.

Ein Hauch von Fatih Akins "Kurz und schmerzlos"

Arda dealt ein bisschen und lässt Tage und Nächte auf der Bank oder vor Clubs mit Kumpels wie Bojan (Aleksandar Radenkovic) verstreichen, einem serbokroatisch-albanischen Bosnier aus Slowenien, oder mit Susanna (Linda Vaher), der Polin, die gewalttätig wird, wenn jemand sie Susanne nennt. Eine Jeunesse dorée inmitten anderer junger Menschen ohne Migrationsdefizit, wie’s hier so schön heißt, auf die irgendwer den Stempel „Verlierer“ gedrückt hat. Zu den Höhepunkten an Lakonik zählt die Beschreibung von Ardas Einbürgerungstest bei Herrn Kozminski (Aram Tafreshian) vom Ausländeramt, der zum Schluss noch den schriftlichen Sprachnachweis verlangt. „Du schreibst: ‚Ich vögel deine Tochter, bis sie arabisch spricht. Ich klau deinem Sohn den Praktikumsplatz, mach ihn drogenabhängig und verkauf seine Organe auf dem Türkenmarkt.“ Genervte Replik: „Sehr witzig, Herr Yilmaz.“

Durch all diese Passagen weht ein Hauch von Fatih Akins „Kurz und schmerzlos“, wobei schon einnimmt, wie komplett larmoyanzfrei, klischeeresistent und präzise Öziri schreibt. Dmitrij Schaad als Arda trifft dazu genau den richtigen Ton: leicht verhärtet, mit einer Spur desillusionierter Bitterkeit durchsetzt, aber doch voller Herz. Ein bisschen so, wie Clemens Meyer über die Trabanten vom sozialen Rand schreibt.

Regisseur Nübling, der seine Inszenierungen sonst gern in die maximale Energie und Bewegung treibt, inszeniert „Get deutsch or die tryin‘“ entsprechend behutsam und hellhörig. Zwar jazzt die tolle Drummerin Almut Lustig die Szenen zwischendrin immer wieder hoch, aber der Fokus bleibt ganz auf Schaad, um den Mutter Ümran (Pinar Erincin) ihren Kriechgang zum Kühlschrank vollführt.

Aus jeder Szene spricht Erfahrung

So könnte das Stück seinen Lauf nehmen und in irgendeiner Katastrophe münden. Aber so kommt’s nicht. Im letzten Drittel der zwei Stunden wechselt Öziri die Perspektive und verhilft den Eltern zu ihrem Recht. In Gestalt des großartigen Taner Sahintürk tritt Murat auf, der Vater, den Arda im Stück immer wieder vorwurfsvoll adressiert – ein türkischer Kommunist, der wegen „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ verurteilt wurde und viele Jahre im Gefängnis saß. Ebenso wird die Geschichte der Mutter erzählt, von ihrer Kindheit in Smyrna bis zur Reise nach Almanya, ins „Land der Zombies“, wo ein Erdbebengefühl sie von ihren Wurzeln losreißt. Bei alldem verwebt der Autor völlig unangestrengt eine Geschichte der Türkei mit persönlichen Schicksalen, die für viele in Deutschland andockfähig sein dürften.

Öziri, der fürs Ballhaus Naunynstraße schon die grelle, aber treffsichere Farce „Vorhaut“ geschrieben hat, beweist damit en passant auch mal wieder, dass Menschen ohne Migrationsdefizit oft bessere Geschichten zu erzählen haben als die beflissenen biodeutschen Schreibschulabsolventen mit ihren Kunstbemühungen. In „Get deutsch or die tryin‘“ spricht aus jeder Szene eine Erfahrung, die sich nicht ersetzen lässt und die ihren Preis hat. Es kommt der Tag, da sind wir zuhause“, heißt es am Ende.

wieder am 28. Mai, 4. und 5. Juni

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