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Kultur: Gewinnwarnung

Was kostet die Welt? Wer die alten Platten des World Saxophone Quartets heute hört, „Rhythm and Blues“ beispielsweise, dieses 1989 veröffentlichte satte Avantgarde-Feuerwerk der Bläserchöre und Soli, kann schon ein bisschen melancholisch werden.

Was kostet die Welt? Wer die alten Platten des World Saxophone Quartets heute hört, „Rhythm and Blues“ beispielsweise, dieses 1989 veröffentlichte satte Avantgarde-Feuerwerk der Bläserchöre und Soli, kann schon ein bisschen melancholisch werden. Soviel Freiheit&Abenteuer – und zugleich noblerweise gesponsort vom World Financial Center Arts and Events Program!

„For the Love of Money“ hieß, trompetenschrill, der erste Track des Albums, ein dramatisch-düsteres Stück dagegen trug den drohenden n „Nemesis“ – nach jener antiken Göttin, die unverdientes Glück und menschliche Hybris bestraft. Und dann interpretierten die vier New Yorker Saxophon-Helden „Dock of the Bay“, den Klassiker von Otis Redding, der in den 60er Jahren davon gesungen hatte, wie er am Hafen saß und tagein, tagaus die Schiffe an sich vorbeiziehen sah. Nun zischten, tuteten, röhrten, jaulten die Hörner der Superbläser sein Vermächtnis. 2000 zumutbare Meilen war der Soulsänger seinerzeit, so erzählte seine Ballade, von Georgia nach Frisco umgezogen, für einen versprochenen Job, jetzt vergeudete er am Dock seine Zeit. Alles werde ewig bleiben, wie es immer gewesen sei, sang Otis Redding – und dann pfiff er so wunderbar in das Rauschen der Brandung, als gehe ihm, damals schon, das ganze Hartz-Konzept am Arbeitslosen-Arsch vorbei. Und die blue notes des World Saxophone Quartets, das sich notgedrungen so größenwahnsinnig benennen musste, weil ein New York Saxophone Quartet bereits existierte (drunter mochten sie’s nun mal nicht machen!), die blue notes der afroamerikanischen Sax-Weltmeister explodierten in alle Himmelsrichtungen. Der Erfolg gab ihrem Namen Recht. Außerdem gehörte ja zur ominösen Postmoderne jener fernen Jahrzehnte des unverdienten Glücks unbedingt die postmoderne Ironie.

Vielleicht war auch Bernhard Ebbers vor 18 Jahren nicht nur größenwahnsinnig, sondern ein bisschen ironisch gelaunt, als er im Südstaaten-Armenhaus der USA mit dem Aufbau eines Telekommunikations-Imperiums begann und seiner Firma, die heute immerhin weltweit 50 Prozent aller Internet-Kontakte regelt, den wegweisenden Namen WorldCom gab. „Not bad for a little old country boy from Mississippi“, hatten die Medien den Hinterwäldler lange verspottet. Aber erst dieser Tage, während die Pleite seiner „rise-to-world-domination-saga“ sich ihren Platz im Guiness-Buch der Rekorde erorbert, gelingt es uns, dem mehr oder minder betroffenen Rest der WorldCom-Welt, kurz mal innezuhalten, um über die Bedeutung dieses Markennamens nachzudenken.

Klar, WorldCom ist ein Kürzel für Welthandel, was aber möglicherweise, unter Berücksichtigung des postmodernen Spiels mit Oberflächen und deren konsequenter Bedeutungslosigkeit, wenig besagen muss – so wie „Gewinnwarnung“, die derzeit beliebteste Börsenvokabel, alles andere bedeutet als den Alarm vor der Ankunft des Jackpots. Denn die Ironie, erklärt der hilfreiche Brockhaus, sei eine rhetorische Figur und insofern dem Euphemismus verwandt, jener begrifflichen Verschönerung, die unser Leben erträglicher machen soll. Allerdings gibt es auch noch die so genannte „romantische Ironie“, welche nach Friedrich Schlegel „das Gefühl von dem unauflöslichen Widerstreit des Unbedingten und des Bedingten, der Unmöglichkeit und Notwendigkeit einer vollständigen Mittheilung“ bezeichnet. Nicht zu vergessen die „tragische Ironie“, welche sich müht, „den Untergang der unendlichen Idee in der Endlichkeit des Kunstwerks“ mit Fassung zu tragen.

Wahrscheinlich hat Mr. Ebbers unter der Metaphernlast seines Firmennamens die Zerreißprobe aller drei Produktlinien, der rhetorischen, der romantischen und der tragischen Ironie, zu spüren bekommen; besonders peinigte ihn wohl zuletzt die „Unmöglichkeit einer vollständigen Mittheilung“. Trotzdem scheint bislang ungeklärt zu sein, welche konkreten Folgen des WorldCom-Bankrotts unsereins auszubaden hat, zumal nicht jeder Aktien der Deutschen Bank hält, des größten WorldCom-Gläubigers hierzulande. Wenn sich allerdings dieser Tage die Internet-Server plötzlich extralabil aufführen, wenn E-Mails kaum hinauswollen ins böse weite Netz und Verbindungen grundlos immer wieder abschmieren, kommen sogar dem PC-Normalverbraucher depressive Gedanken. Bleibt den gestrandeten Wellenreitern demnächst auch im deutschen Welthandelshafen nur noch das fatalistische Pfeifen am Dock? Regieren uns etwa durch die Bank unfähige Manager und wir sehen die Welt vor lauter Pfeifen nicht? Eine WorldCom-Aktie kostet jetzt Bruchteile einer CD des World Saxophone Quartets, und was nichts kostet, ist bekanntlich nichts wert. Doch es gibt ja auch innere Werte, hätten wir an dieser Stelle in den glücklichen Zeiten der postmodernen Ironie maliziös gekontert: Kunst! Kino!! Würmer!!!

Falls Sie nun auch noch ganz genau wissen wollen, was innere Werte mit Würmern zu tun haben, packen Sie Ihren Freizeitrucksack voller WorldCom-Aktien und kaufen sich dafür im nächsten Lichtspielhaus ein Ticket für „Men in Black II“. – Und damit zurück zur Hochkultur. Thomas Lackmann

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