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Kultur: Gips und Gamaschen

Wo die Kunst entstand: Eine Ausstellung erinnert an die Ateliers der Charlottenburger Bohème

Der schmiedeeiserne Fahrstuhl zuckelt in den vierten Stock. Hält in einer längst vergangenen Zeit. Das Parkett quietscht unter den Schritten. Zur Linken eröffnet sich der Blick auf ein hochherrschaftliches Entrée mit hoher Decke, einer geschwungenen Treppe, die einen Stock höher führt, Balkon, Dachgarten und schier unendlich vielen Türen. Schwarzweiß- Fotografien aus den Dreißigerjahren hängen an den Wänden. Sie erinnern an Yva, die als Modefotografin viele ihrer Modelle in diesem Foyer ablichtete. Auf ihren Bildern finden sich die Treppe, der Balkon, die Fenster zum Hof wieder.

Ab 1934 lebte und arbeitete Yva, alias Else Ernestine Neulaender, die wichtigste Modefotografin ihrer Zeit, in dem 1911 errichteten Gebäude. In 14 Zimmern auf zwei Geschossen mit zehn Angestellten. Zu ihren Auftraggebern zählten „Das Magazin“, „Die Dame“ und „UHU“, zu ihren Lehrlingen unter anderem Helmut Newton, der 1936 zu ihr kam. Zwei Jahre später musste die Jüdin im Zuge der Arisierung ihr Atelier schließen. 1942 verlieren sich ihre Spuren im Konzentrationslager Majdanek. Yvas ehemaliger Atelier- und Wohntrakt ist heute rekonstruierter Bestandteil des Hotels Bogota, das sich über das gesamte Wohnhaus Schlüterstraße 45 erstreckt.

Das Atelier der Fotografin war nur eines von vielen Künstlerateliers in der goldenen Ära Berlins, als die Spreemetropole zum europäischen Zentrum der modernen Künste wurde. Nun widmet sich die Ausstellung „Raum für die Kunst. Künstlerateliers in Charlottenburg“ 15 Schaffensstätten, die zwischen 1880 und 1939 so unterschiedlichen Leuten wie dem Architekten Erich Mendelsohn, dem Zeichner Heinrich Zille oder dem Bildhauer Fritz Klimsch dienten. Mit Fotografien, Raumplänen, Modellen und vergilbten Dokumenten ersteht im Kolbe-Museum ein Bild der Kunst-Szene Charlottenburgs zur Jahrhundertwende. In diesem Bezirk lebte das liberale und vermögende Bürgertum, Sammler und Mäzene, die sich für die Bildhauer und Maler interessierten und deren wirtschaftlichen Aufschwung förderten. Bald arbeiteten und wohnten die Künstler neben denen, die ihnen ihre Werke abkauften. Hier wurde die Berliner Secession 1899 gegründet – im heutigen Delphi-Gebäude. Man traf sich im Café des Westens am Ku’damm und im Romanischen Café. Für den Nachwuchs entstanden die Königliche Akademische Hochschule für die bildenden Künste (die heutige UdK) sowie die Kunstgewerbeschule Charlottenburg und Lewin-Funckes Studienateliers für Malerei und Plastik.

Viele Ateliers, die auch als Repräsentationsstätten fungierten, wurden im Krieg zerstört. Nur vereinzelt lässt sich der frühere Charme aus Gips und Gamaschen nachempfinden. So am Ort der Ausstellung selbst, dem Wohn-und Ateliertrakt Georg Kolbes. Für ihn schuf der Architekt Ernst Rentsch im Stil des Neuen Bauens 1928 einen kubischen BacksteinKomplex – in der Nähe des Grabes seiner ein Jahr zuvor verstorbenen Frau. Licht durchflutet die Räume, der Blick fällt durch große Fenster auf einen Garten voller Skulpturen. Die Schatten riesiger Kiefern werfen bewegte Mosaike auf den Boden. Kolbe lebte einem Einsiedler gleich für seine Kunst. Das Schlafzimmer, ein winziger Verschlag. Die Arbeitsräume, in denen heute Gipsmodelle, Fotografien und sein Bücherschrank ausgestellt werden, umso dominanter.

Wie Kolbe ließen sich auch andere Star-Künstler Häuser nach ihren Wünschen errichten. In der Fasanenstraße steht das 1891 erbaute Wohn- und Atelierhaus des Architekten Hans Grisebach. Über fünf Geschosse reicht das architektonisch an ein altdeutsches Bürgerhaus angelehnte Gebäude mit Turm und Giebel. Ein paar Häuser weiter baute der Architekt Bernhard Sehring 1889 ein ganzes Ensemble mit Ateliers und Werkstätten. Das Künstlerhaus St. Lukas existiert heute noch. Durch ein großes Tor erhascht der Besucher nur einen Teil der mächtigen Anlage um einen efeuberankten Innenhof mit Brunnen. Erker, Zinnen, Türmchen und Balkone zieren das burgartige Backsteingebäude, das um die Jahrhundertwende an die 20 Bildhauer beherbergte. Ernst Barlach, Ludwig Manzel, Rudolf Marcuse und Max Kruse waren einige von ihnen. „Auch heute noch werden alle Ateliers und Wohnungen von Künstlern genutzt“, erzählt Frau Jänisch, die Eigentümerin.

Heute lassen sich die meisten Künstler in anderen Stadtteilen nieder, in Mitte und Prenzlauer Berg, wo die Mieten billiger sind und Gewerbeflächen frei. Doch auch wenn Charlottenburgs Ära als Bohème-Domizil im Zweiten Weltkrieg versank, sein Ruf wirkt fort. Nie wieder haben Künstler unter solchen Bedingungen arbeiten können. So sorglos.

„Raum für die Kunst“, bis 29. Januar, Georg Kolbe Museum (Sensburger Allee 25, Charlottenburg), Di-So 10-17 Uhr. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog für 10 €.

Annika Hennebach

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