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Kultur: Girlanden für die Ewigkeit

In Hamburg sind erstmals die spektakulär schönen Grabfresken von Paestum zu sehen

Goethe war gar nicht begeistert. Abenteuer genug war es damals, von der vorgesehenen Grand Tour abzuweichen, die Bildungsreise durch Italien nicht schon in Neapel zu beenden, sondern weiterzufahren in die süditalienische Sumpfgegend, ein entvölkertes Gebiet, wo Malaria drohte. Hier, hatte der Dichter gehört, seien monumentale Tempel zu sehen, so gut erhalten wie kaum sonst in Italien.

Und dann stand er dort, nach mühseliger Kutschfahrt, und stellte fest: „Der erste Eindruck konnte nur Erstaunen erregen.“ Furchtbar kamen ihm die Säulenmassen vor, zu monumental schienen die Bauten für ein Auge des 18. Jahrhunderts, welches Palladios elegante Antikennachschöpfungen gewohnt war. Erst langsam dämmerte dem Dichter, dass er Einzigartiges erblickt hatte: „Ich pries den Genius, dass er mich diese so wohl erhaltenen Reste mit Augen sehen ließ, da sich von ihnen durch Abbildung kein Begriff geben lässt“, notiert er 1787 in sein Tagebuch der Italienischen Reise.

Seitdem sind ihm unzählige Reisende gefolgt, Architekten wie Schinkel und Klenze, die die dorischen Tempel als Anregung für eigene Bauten nutzten sowie unzählige Maler. Berühmt wurde Piranesis Paestum-Veduten, die letzten, die der Maler 1778 festhielt und von Sohn Francesco ausführen ließ. Wer heute nach Paestum kommt erlebt ein wenig verändertes Bild. Sicher, das Umfeld ist zersiedelt, der Tourismus rund um die Tempelbauten boomt mit Souvenir- und Imbissbuden. Aber die drei monumentalen Bauten liegen da wie eh und je, zwischen blühendem Gras, sanften Bergen und dem Meer.

Was die Paestum-Reisenden vor Ort aber kaum zu sehen bekommen, kann man nun im Bucerius-Forum in Hamburg erleben: die reiche Gräberkultur des 4. Jahrhunderts vor Christus. In den 1960er Jahren stießen Bauern beim Pflügen auf umfangreiche antike Nekropolen. Schnell stellte sich heraus: Viele der Steingräber waren innen bemalt, mit farbenfrohen, lebendigen Bildern. Berühmt geworden ist das „Grab des Tauchers“, der von einem Turm ins Wasser springt, flankiert von Szenen eines Symposiums. Die Reise ins Jenseits als sportliche Übung, und die Verstorbenen heißen den Neuankömmling beim Gastmahl willkommen – so tröstlich hat man den Tod selten gesehen.

Allein: Die tonnenschweren Steinplatten, auf denen diese Fresko-Malereien ausgeführt wurden, können in Paestum kaum präsentiert werden – der Fußboden des kleinen Museums würde das Gewicht nicht tragen. So lagern die Platten im Depot, selbst für Wissenschaftler ist der Schatz nicht einsehbar. Die Grabungen um Paestum sind vorerst eingestellt, aus Furcht vor Grabräubern.

Die Antikenforschung hat die Paestum-Funde deshalb kaum zur Kenntnis genommen. Lange galt die Meinung, die aus dem 4. Jahrhundert stammenden Gräber seien künstlerisch wertlos. Das Volk der Lukaner, das die von den Griechen gegründete Stadt Poseidonia, später Paiston, dann Paestum, übernahm und die griechischen Tempel weiternutzte, hat keine schriftlichen Zeugnisse hinterlassen. Wenig weiß man von ihren Gebräuchen, und die Grabmalerei galt Fachleuten als der der Griechen nicht ebenbürtig. Ein Bauernvolk eben, kein Kulturvolk.

Hier tritt Bernard Andreae auf den Plan, der langjährige Leiter des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom. Eine Paestum-Ausstellung war sein Traum, seit er während seiner Unterwasserforschung in der Bucht von Baiae die Funde kennenlernte. Für das Bucerius-Forum hat er 2004 die große Etrusker-Ausstellung sowie im vergangenen Jahr die viel beachtete Kleopatra-Ausstellung kuratiert. Doch mit Paestum betritt er Neuland: Tonnenschwere Grabplatten mit fragilen Fresko-Malereien von Süditalien nach Hamburg zu transportieren, ist konservatorisch problematisch. Seine Zusage, die teils verschmutzten Grabplatten für die Ausstellung restaurieren zu lassen, erweichte schließlich die italienische Antikenbehörde. Hinzu kam, dass Andreae der Chefarchäologin von Salerno, Giuliana Tocco Sciarelli, einst beim Tauchen das Leben rettete. Die Mischung aus Geldzusage und Lebensrettung hatte Erfolg: In Hamburg sind nun neun vollständige Gräber zu sehen. Und die Wissenschaft erhält eine unschätzbare Chance.

Für die Ausstellung hat Andreae die Platten wieder zusammengesetzt – und dabei festgestellt, dass in fünf Fällen die bisherige Zuordnung nicht stimmen kann. Das Bildprogramm, welches im Osten die Sonne, die Wiederauferstehung im Jenseits verheißt, fand seine Bestätigung. Auch für die Entstehung der Fresken war die Rekonstruktion entscheidend. So ließ sich beweisen, dass die Gräber im zusammengebauten Zustand bemalt wurden. Abriebspuren künden von den Seilen, die benutzt wurden, um die Platten in die Grube zu heben, zuweilen ist im Putz noch der Kopf des Malers zu erkennen, der in der Grabkammer angestoßen war.

Das erklärt die flüchtige Malweise, die mit fast comicartigen Andeutungen arbeitet, mit hingeworfenen Umrisszeichnungen und erst in den späteren Gräbern perspektivische Mittel wie Schatten hinzufügt. Es waren die Gräber der Jungverstorbenen, die so ausgemalt wurden, mit Bildfolgen, die das Begräbnisritual mit Wagenrennen, Box- und Speerkämpfen ebenso zeigen wie Ewigkeitssymbole: Granatapfel, Girlanden, Kränze. Zu sehen waren sie nur im Moment der Beisetzung, dann wurden die Gräber verschlossen. „Malerei für die Ewigkeit“ titelt das Bucerius-Forum. Malerei für den Augenblick könnte man genauso gut sagen. Ein selten kostbarer Augenblick.

Bucerius Kunstforum Hamburg, bis 20. Januar 2008, Katalog 24,80 €.

Christina Tilmann

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