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Kultur: Glänzend poliert

Natur ist das neue Thema in Berlins Galerien - allerdings haben sich die Ansichten sehr verändert

Ein Zufall, dass im April plötzlich alle Welt über die Verfiftung der Meere debattierte, während die Berliner Galerie Sprüth Magers Arbeiten von Andreas Gursky präsentierte: überdimensionale Aufsichten auf das tiefe, unberührte Blau der Ozeane. Aber ist es auch Zufall, dass die Natur in der Kunst wieder wuchert? Gerade proklamierte die Akademie der Künste die „Wiederkehr der Landschaft“, das Museum Schloss Moyland versammelt „Landschaft ohne Horizont“ mit internationaler Fotografie zum Thema. Die Ausstellung „Weltsichten“ in Bochum zeigt Landschaftsmalerei vom 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart – und behauptet, der Blick auf die Umwelt lasse auf gesellschaftliche Entwicklungen schließen.

Offenbar wird einem unguten Bauchgefühl stattgegeben, seit sich zur ökonomischen noch eine ökologische Krise gesellt hat. „Landschaft ist Natur, die im Anblick für einen fühlenden und empfindenden Betrachter ästhetisch gegenwärtig ist“, formulierte der deutsche Philosoph Joachim Ritter. Sehnsuchtsort mag die Natur in der Kunst immer noch sein. Doch lustwandelt man nicht mehr in diesen Landschaften. Unterwandert wird das Schöne. Zumindest in den drei Berliner Galerien, die gerade Landschaften ausstellen.

Bei Wagner und Partner steht das gesamte Jahr unter dem Motto „Natur, Landschaft, Behausung“. „Es wäre vermessen zu behaupten, dass wir da strategisch geplant haben“, sagt Galerist Cai Wagner. Kurz vor der ersten Vernissage war die Klimakonferenz in Kopenhagen gescheitert. Von dem Medieninteresse, das ihn dann regelrecht überrannte, war er aber doch überrascht. In der aktuellen Ausstellung „Open Landscape“ (Karl-Marx-Allee 87, bis 31. Juli) trifft Malerei auf Fotografie. Thomas Wrede bettet ein Autokino oder Schrottautos in Panoramen von Stränden und Wüsten (9900–10 200 Euro). Er provoziert den perfekten Schein und fordert das Auge, denn etwas scheint mit diesen fotografischen Breitbildorten nicht zu stimmen. Wrede setzt echt aussehende, detailverliebte Miniaturen in die Dünen oder Felsen und verschiebt so die Proportionen. Die Natur wirkt übermächtig durch einen Trick. Ähnlich verfährt Josef Schulz. Das Bergmassiv vor strahlend blauem Himmel ist wunderschön (12 000 Euro). Allerdings wurde nachgeholfen: Schulz retuschierte kleine Büschel und Wölkchen weg. Romantische Motive, auf Hochglanz poliert. Ein utopisches Unterfangen.

Friederike Jokisch, Neuzugang der Galerie und Schülerin von Neo Rauch, entwirft Landschaften in Öl aus fliegender Höhe. Der Horizont ist weit weg, Seen lassen sich erahnen, Bäume stehen wie aufgereihte Soldaten. Und was macht der Schuppen im dichten Wald? Kein Mensch zu sehen, die Orte wirken seltsam verlassen. Es sind düstere Kulturlandschaften, nichts davon ist unberührte Natur (6000 Euro). Peter Dreher schließlich macht aus der Genremalerei ein dokumentarisches Verfahren: Auf seinen kleinen Ölgemälden „Schöne Tage im Hochschwarzwald“ finden sich Einritzungen von Datum und Uhrzeit (16 500 Euro).

In der Galerie Hunchentoot (Choriner Straße 8, bis 4. September) nennt Jens Hanke seine Landschaften „mindscapes“. Sie entspringen purer Fantasie: Einem japanischen Tuschezeichner gleich testet Hanke, wie viele Striche und Tupfer es braucht, um Wasserspiegel, Lichtungen oder Lianen vorzutäuschen (je 2700 Euro). Landschaftsdarstellung als ein Versuch größtmöglicher Abstraktion. Was läge näher, als diese Welten mit abstrakten Formen zu spicken? So durchschneiden aggressive Keile die Panoramen und überlagern technoide Bauelemente die Idylle. Zwei Welten im Zusammenprall.

Mit der Doppeldeutigkeit der Idylle spielen auch die beiden Österreicher Peter Hauenschild und Georg Ritter in der jüngst eröffneten Galerie von Patrick Ebensperger (Geschwister-Scholl-Straße 5, bis 7. August). Keineswegs sind die beiden, die stets gemeinsam arbeiten und dabei hunderte Spitzer und Stifte verbrauchen, auf Landschaftsmotive spezialisiert. Das Duo stammt aus dem Umfeld der Linzer Stadtwerkstatt, einem Kreis politischer Aktionskünstler. Es nutzt die idyllische Aura der Natur als bewussten Bruch. „Gimme shelter“ ist eine Arbeit von zwei Meter Höhe auf vier Meter Länge mit einem scheinbar beliebigen Blick in den Wald. Tatsächlich handelt es sich um einen geschichtsträchtigen Ort: Von 1944 an diente das Waldstück im Salzkammergut als Unterschlupf für Widerständler (21 000 Euro). Auf einem anderen Papierbogen explodiert die Blütenpracht eines Obstbaumes. Auch das ist versteckte Gesellschaftskritik: Die Maiblüte als Metapher für die Mai-Aufmärsche der Arbeiter, der Titel „Blütenweiß“ ein Ablenkungsmanöver (7700 Euro). Dass ausgerechnet lauter Landschaftsbilder gezeigt werden, wo die beiden mit derselben Akribie auch Küchen, Schweineställe oder Werkstätten zeichnen, sei Zufall, sagt der Galerist. Zufall?

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