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 Papst Hadrian VI. (1522–1523) auf einem Porträt von 1625, Kopie nach einem verlorenen Original des 16. Jahrhunderts von Jan van Scorel.

© Centraal Museum, Utrecht

Glanz und Abgründe der Päpste: Die Stellvertreter

Hier sitze ich und kann auch anders: Eine Ausstellung in Mannheim und ein 1000-Seiten-Buch erzählen die Geschichte des Papsttums. Eines, das zeigt sich, waren die Pontifexe oft: fehlbar.

Zu seinen Füßen windet sich ein Drache, Symbol für den Sieg über den Unglauben. Der Mann im symmetrisch gefalteten Gewand hält in einer Hand ein Buch, sicher die Bibel, und hebt die andere zum Segensgruß. Sein Blick richtet sich erwartungsvoll gen Osten, in Richtung Jerusalem. Das Grabmal von Papst Clemens II., um 1230 entstanden, ist im doppelten Sinne bemerkenswert. Es handelt sich um das einzige Papstgrab nördlich der Alpen, und während die Tumba heute im Westchor des Gotteshauses steht, hängt die auf ein Kissen gebettete Figur des Pontifex Maximus wie ein Heiligenstandbild im Seitenschiff des Ostchors. Zusammengebracht wurden sie jetzt für die herausragende Ausstellung „Die Päpste und die Einheit der lateinischen Welt“ im Reiss-Engelhorn-Museum Mannheim: als 3-D-Ausdrucke aus dem Kunststoff Styrodor.

Getrennte Wege

Was einmal zerbrochen ist, lässt sich nicht mehr kitten. Oder vielleicht doch? Die Papst-Ausstellung ist ein eigenwilliger Kommentar zum Reformationsjubiläum. Statt von den letzten 500 Jahren, in denen Katholiken und Protestanten getrennte Wege gehen, erzählt sie von den gemeinsamen 1500 Jahren davor. Bis zu Martin Luthers Thesenanschlag amtierten 242 Päpste, die Gegenpäpste des 14. und 15. Jahrhunderts nicht mitgerechnet. Hätte die Spaltung verhindert werden können, wenn Papst Leo X. nicht den Hedonismus zum Mittelpunkt seines Lebens- und Regierungsstils gemacht hätte? Oder wenn Luther kompromissbereiter gewesen wäre? Wenn Kaiser und Fürsten im Theologenstreit nicht sogleich die Möglichkeit erkannt hätten, ihre Territorien zu erweitern?

 Pontifikalstrümpfe aus dem Sarkophag von Papst Clemens II. in Bamberg (erste Hälfte 11. Jahrhundert).
Pontifikalstrümpfe aus dem Sarkophag von Papst Clemens II. in Bamberg (erste Hälfte 11. Jahrhundert).

© Diözesanmuseum Bamberg

Mit dem Ablasshandel zur Finanzierung eines neuen Petersdoms gab der Pontifex aus der Familie der Medici den Anlass zum Aufstand des Wittenberger Professors. Raffael, dessen Gemälde in einer zeitgenössischen Kopie zu sehen ist, zeigt Leo als feisten Machtmenschen in Samt und Seide, flankiert von seinen Nepoten. Luther, der in der Ausstellung ein paar Wände weiter auf einer kleinformatigen Cranach-Tafel neben seinem Mitstreiter Melanchthon hängt, sieht nicht weniger wohlgenährt aus.

Aber er trägt das schwarze Gewand und das schwarze Barett eines Gelehrten. Prachtentfaltung gegen Geistesstrenge, so verlief die Frontlinie in diesem kalten Krieg, der bald zum heißen werden sollte. Stärker als mit Glaubensfragen waren die Renaissance-Päpste mit Feldzügen beschäftigt. Unter Leos Nachnachfolger Clemens VII., der auf Raffaels Gemälde neben ihm sitzt, endete die Hybris 1527 im Sacco di Roma, der Zerstörung Roms durch deutsche Landsknechte in einer Orgie der Plünderung und Gewalt. „Babilon“ ritzte damals ein Söldner in ein Stadtfresko der Villa Farnese. Ein Wort der Verdammung, wie es auch von Luther hätte stammen können.

Eitelkeit als Tradition

An Opulenz ist die Ausstellung kaum zu überbieten, sie präsentiert 330 Exponate auf drei Etagen. Allein 35 davon stammen aus den Vatikanischen Museen und Bibliotheken, Institutionen, die gemeinhin auf Anfragen eher zurückhaltend reagieren. „Erstaunlicherweise haben uns vor allem italienische Kardinäle unterstützt“, sagt Museumsdirektor Alfried Wieczorek. „Die deutschen Kollegen waren weniger kooperativ.“ Womit das Umfeld von Benedikt XVI. gemeint ist. Der emeritierte deutsche Papst hatte unter anderem mit seinen roten Maßschuhen Aufsehen erregt. Eine Form der Eitelkeit, die – so lehrt die Ausstellung – in langer Tradition steht.

Golden schimmern die Pontifikalstrümpfe aus dem Clemensgrab in Bamberg. Blüten, Herzen, Blatt- und Baumornamente zieren ihre Flanken, sie wurden wohl in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts in Byzanz hergestellt und zusammen mit einer Stola, Seidenkreuzen, Medaillons, einem Grabkelch und einer Urkunde den sterblichen Überresten des Kirchenfürsten beigegeben, in der er versichert, dass das Bistum Bamberg seine „süßeste Braut“ gewesen sei. Clemens, der mit dem Namen Suidger einer sächsischen Hochadelsfamilie entstammte, saß als zweiter von bislang acht Deutschen auf dem Stuhl Petris.

Rom in einer Darstellung aus Hartmann Schedels Weltchronik (1493). Im Hintergrund ist der Papstpalast zu erkennen, davor Alt-St.-Peter.
Rom in einer Darstellung aus Hartmann Schedels Weltchronik (1493). Im Hintergrund ist der Papstpalast zu erkennen, davor Alt-St.-Peter.

© Universitätsbibliothek Heidelberg

Sein Amt verdankte er dem Salier-König Heinrich III., der mit militärischen Mitteln ein Schisma beendete und drei rivalisierende Päpste abgesetzt hatte. Clemens krönte Heinrich noch am Tag seiner eigenen Inthronisierung zum Kaiser. „Gebet, so wird euch gegeben werden“ (Lukas 6:38). Als Clemens nach zehn Monaten starb und seinem ebenfalls deutschen Nachfolger Damasus II. bloß drei Wochen Amtszeit beschieden waren, verdichteten sich Giftmordgerüchte zur Verschwörungstheorie. Die römische Adelsgesellschaft kämpfte mit allen Mitteln gegen die nordalpinen Parvenüs. Notfalls auch per Mord und Totschlag.

Die Balance zwischen Bescheidenheit und Verschwendung zu bewahren, daran sollte das Papsttum immer wieder scheitern. Meist war das Bedürfnis nach weltlicher Bedeutung größer als die Bereitschaft zu Askese und Versenkung. 1229 fordert Papst Gregor IX. den Bischof von Worms in einem prachtvollen Schreiben auf, seine „geliebten Söhne“, die dort ansässigen Dominikaner und Franziskaner, besser zu schützen. Ihre Kritiker verurteilt er als – nach einem biblischen Dämon – „Söhne Belials“.

Blutige Glaubensbereinigung

Die Armutsbewegungen der Waldenser und Albigenser lässt Rom im 12. Jahrhundert noch blutig niederschlagen. Aus den Ketzergesetzen gehen die Anfänge der Inquisition hervor. Aber Franz von Assisi, der sich der kirchlichen Hierarchie unterwirft, erhält von Papst Honorius III. 1221/23 die Bestätigung der Ordensregel. Ausschlaggebend dafür ist eine Begegnung von Franziskus und elf seiner Gefährten mit dem Vorgängerpapst Innocenz III. in Rom, die man sich als Erweckungserlebnis vorzustellen hat. Auf einer herrlichen Goldgrundtafel des Giotto-Schülers Taddeo Gaddi schläft Innocenz in der Obhut von Petrus.

Gleich daneben ist der Traum des Pontifex zu sehen, in dem Franziskus die kollabierende Kirche stützt. Ähnliches könnte auch Franziskus, der aktuelle „Papst der Armen“, träumen. Rettung durch Demut. Petrus heißt auf Griechisch „der Fels“. „Du bist Petrus, der Fels, und auf diesem Felsen werde ich meine Kirche bauen“, soll Jesus zum späteren Apostelfürsten gesagt haben. Dieser Satz steht heute in der Kuppel des Petersdoms, die über dem Grabmal des ersten Gottes-Stellvertreters errichtet wurde. Die Kuratoren haben die konstantinische Basilika mit dem ersten Petrus-Monument als Modell und Simulation rekonstruieren lassen. Bei Ausgrabungen waren 1940 Reste der Anlage entdeckt worden. Dabei ist bis heute umstritten, ob Petrus tatsächlich aus Jerusalem nach Rom geflohen ist und dort im Jahr 64 oder 67 unter Kaiser Nero den Märtyrertod starb. Aber ohne sein Grab gäbe es keine Peterskirche, und Rom wäre wohl auch nicht das Zentrum der Christenheit.

Im antiken Rom existierten mehr als dreihundert verschiedene Gotteskulte, die Christen mussten sich auf einem Markt der Götter behaupten. Ihr Weg führte in den Untergrund, in die Katakomben. Die Kunstwerke, die dort entstanden, gehören zu den beeindruckendsten der Ausstellung. Auf der sogenannten Loculusplatte mit der Geschichte des Jonas gleicht der Prophet eher einem Baby als einem Mann. Weil er drei Tage im Bauch des Wals überlebt hatte, wurde der Held als Präfiguration von Jesus verstanden.

Die „Krone von Namur“ fungierte als Reliquienkrone (Anfang des 13. Jahrhunderts).
Die „Krone von Namur“ fungierte als Reliquienkrone (Anfang des 13. Jahrhunderts).

© Musée diocésain de la cathédrale Saint Aubin

Aber in der Situation des Abtauchens und Verborgenseins konnten die Christen des dritten Jahrhunderts auch sich selbst wiedererkennen. Nachdem Kaiser Konstantin im Jahr 312 in der Schlacht an der Milvischen Brücke im „Zeichen Gottes am Himmel“ gesiegt hatte, stieg das Christentum zur Quasi-Staatsreligion auf. Die Päpste waren ursprünglich Episkopen, dann Presbyter, dann römische Bischöfe. Nun konnten sie eine Kirche nach Strukturen der kaiserlichen Herrschaft aufbauen. Der Zölibat wurde im 12. Jahrhundert eingeführt, als unfehlbar gelten die Päpste erst seit dem Ersten Vatikanischen Konzil von 1870.

Die Ausstellung ist etwas zu enzyklopädisch geraten, etwas zu wenig essayistisch. Die Welt der Gerüchte kommt immerhin in Form der Legende von der Päpstin Johanna vor. Johanna, am Rhein geboren, soll aus Liebe zu einem Mönch selber die Kutte angezogen haben, 855 nach dem Tod von Leo IV. als Johannes zum Papst gewählt worden sein. Die Geschichte, seit dem 11. Jahrhundert verbreitet, war frei erfunden.

Terror als Methode

Was fehlt, sind die deftigen Sex & Crime-Geschichten, wie sie sich etwa um die Borgia-Päpste ranken. Alexander VI., so schreibt der Historiker Volker Reinhardt in seiner glänzenden, unlängst erschienenen Gesamtdarstellung „Pontifex. Die Geschichte der Päpste“, regierte mittels „Terror als Methode der politischen Verunsicherung“. Seinen Sohn Cesare erhob er zum Kardinal, mit Tochter Lucretia wurde ihm ein inzestuöses Verhältnis nachgesagt. Gescheitert ist Alexander nicht an Mätressen oder Orgien, sondern am Versuch, ein eigenes Familien-Reich zu errichten.

Als Außenposten der Mannheimer Ausstellung fungiert der knapp dreißig Kilometer entfernte Wormser Dom. Dort ist eine Petrusfigur zu sehen, deren Fußspitze aus Messing von vielen Berührungen grüngolden glänzt. Gleich neben dem Gotteshaus markiert eine Bodenplatte den Ort, an dem sich Luther 1521 vor dem Reichstag für seine Lehre rechtfertigen musste. Jetzt kann sich jeder dort aufbauen und verkünden: Hier stehe ich und kann nicht anders.

Die Päpste, Reiss-Engelhorn-Museum Mannheim, bis 31. Oktober. Katalog (Schnell+Steiner Verlag) 39,95 €.

Volker Reinhardt: Pontifex. Die Geschichte der Päpste. C.H. Beck, München 2017, 928 Seiten, 38 €.

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