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Kultur: Glatzen und Stiefel

Martina Döckers Dokfilm „Bernau liegt am Meer“

Eigentlich wollte Andreas Müller ja in Kreuzberg kleine Leute verteidigen. Doch dann landete er als Jugendrichter in Bernau. Und die kleinen Leute, mit denen er in seinem brandenburgischen Arbeitsalltag konfrontiert war, trugen Glatzen und ließen ihren Frust mit Baseballkeulen und Stiefeltritten an noch Schwächeren ab. Die Justiz schien da ohnmächtig. Doch irgendwann, es war nach einem brutalen Überfall am Herrentag an einem Badesee, hatte Jugendrichter Müller genug von dem immer gleichen Katz-und-Maus-Spiel aus Bewährungsstrafen und Wiederholungstaten. Er verfügte, was auch in Berlin einige von der Justiz im Umgang mit jugendlichen Serientätern fordern: kurzen Prozeß und schmerzhafte Strafen gleich beim ersten Mal. Außerdem wurde den Tätern das Tragen von Springerstiefeln verboten, eine bei den Betroffenen treffsicher wirkende Maßnahme – wenn auch von manch Außenstehendem als putziges Detail belächelt.

Daniel ist einer von denen, die ihre Stiefel nicht mehr tragen dürfen. Vor ein paar Jahren schon geriet er in Andreas Müllers harte Hände. Jetzt hat er eine Alkoholtherapie hinter sich, spielt in einem Resozialisierungs-Projekt mit Aussiedlern und Polizisten Ball und wartet auf seinen nächsten und erst mal letzten Prozess – und statt Glatze trägt er akkuraten Scheitel und den Hemdkragen zugeknöpft. Auch der Gewalt hat Daniel abgeschworen, einen Polizeioberst nennt er seinen Freund. Nur ein Nazi ist er immer noch, nur dass aus dem prügelnden Skin ein ordentlicher Jungmann „rechter Gesinnung“ geworden ist, wie Daniel es selbst nennt. Sonst spricht er gern im Bürokratenjargon von sich und den „durchgeführten Straftaten“. Daniels Lieblingswort ist „normal“: Eine ganz normale Kindheit habe er gehabt, ein normaler Typ sei er, der Heimat und Familie liebt; und auch Deutschland soll eben einfach ein ganz normales Land werden ohne Holocaust-Mahnmale und Wiedergutmachung und so Zeugs.

Rosemarie Calas ist eine normale Mittvierzigerin, vor dreizehn Jahren vom „Bürger der DDR“ zum „Bundesbürger“ transformiert und jetzt als Streetworkerin mit Jugendlichen wie Daniel tätig. Eine gestandene Frau, der man zutraut, den dummen Sprüchen der jungen Rechten mehr als nur arrogante Gegensprüche entgegenzusetzen, wie Richter Müller es gerne tut. Rosemarie Calas ist neben Andreas Müller und Daniel die dritte Protagonistin von Martina Döckers („Mit Haut und Haar“) neuem Dokumentarfilm „Bernau liegt am Meer“. Doch sie hat hier eigentlich nur eine Sekundantenrolle, auch wenn der Film seine Figuren mit einer kontrollierten Inszenierung formal gleichwertig miteinander verknüpft.

Dreimal Auftritt aus der Natur ins Kameraauge. Dreimal wird zu kurzen Porträts mit Gitarrengezupfe innegehalten. Jede der drei wird auch bestimmten Verfahren unterzogen, Befragungen etwa zu naheliegenden und auf den ersten Blick abwegig erscheinenden Begriffen wie „Hände“ oder „Haut“. Deren Ergebnisse sind persönlich aufschlussreich und auch erheiternd. Trotzdem sieht es manchmal so aus, als hätte sich auch die Hilflosigkeit der Regisseurin gegenüber dem schwierigen Stoff in diesen Inszenierungseifer eingeschrieben. Es ist eine Hilflosigkeit, die ganz unkontrolliert hervorbricht, als sich die Regisseurin bei einer antisemitischen Äußerung Daniels spontan selbst in die Debatte hineinbringt, mit „absoluter“ moralischer Distanzierung und einem Appell an die Menschlichkeit.

Doch Daniels Argumentation ist nicht unmenschlich, sie ist nur falsch. Es ist dieser allgemein menschelnde Grundton, der „Bernau liegt am Meer“ in seiner Aussagekraft bremst. Der Film zeigt drei Menschen, die an einem Punkt ihres Lebens aufeinander treffen, nicht weniger und nicht mehr. Was er nicht zeigt, ist der Kontext, der diese Leben prägt und erst verständlich macht. So erscheint gerade Daniel immer auch ein wenig als einsamer pathologischer Einzeltäter. Rechte Gewalt aber ist ein soziales Phänomen, das von einem breiten Umfeld getragen wird – und immer noch höchst aktuell. Letztes Wochenende erst wieder wurde im brandenburgischen Kebnitz eine Berliner Schulklasse mit Baseballschlägern und Eisenstangen überfallen.

Hackesche Höfe

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