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Alois Glück

© ddp

Katholikenpräsident Glück: "Ängste nicht politisch vermarkten"

Alois Glück saß fast 40 Jahre lang für die CSU im bayerischen Landtag. Im Tagesspiegel-Interview sagt der Präsident der Katholiken, was schief läuft in der Integrationsdebatte.

Herr Glück, was läuft schief in der aktuellen Integrationsdebatte?

Vor allem im Hinblick auf den Islam ist das Thema angstbesetzt, entsprechend defensiv und ängstlich geht die Politik damit um. Es fehlt an klarer Führung, was die Zukunftsstrategie betrifft. Wir leben in einer globalisierten Welt. Die Wanderungsbewegungen sind weltweit, und sie werden noch zunehmen – durch Klimawandel ebenso wie durch politische Instabilitäten. Mit diesen vorhersehbaren Entwicklungen müssen wir realistischer umgehen, sie auch wirklich gestalten wollen. In den vergangenen zehn Jahren ist ja viel geschehen, aber noch immer gibt es keine klare Linie und Führung in diesem Bereich. Zu vieles ist taktisch bestimmt.

Wieso tun wir uns mit dem Thema Zuwanderung denn so schwer?

Unser Problem ist vor allem die Zuwanderung aus Regionen, etwa der Türkei, die sich noch in ländlich archaischem Entwicklungsstand befinden. Hier geht es um Menschen, die auch, wenn sie nach Istanbul oder Ankara ziehen würden, Probleme hätten. Inzwischen ist ja die Zahl der Auswanderer größer als die der Zuwanderer. Aber es gehen oft die Tüchtigsten. Und bei denen, die kommen, handelt es sich eher um solche, bei denen ganz besondere Anstrengungen nötig sind, um sie zu integrieren.

Sollte man europäischen Kulturkreisen bei der Zuwanderung den Vorzug zu geben?

Integration ist primär von Lernbereitschaft und Bildung abhängig, nicht so sehr vom Kulturkreis. Natürlich integrieren sich Menschen aus dem europäischen Kulturkreis schneller. Auch bei ihnen gibt es manche Unterschiede, je nach Bildungsstand. Wir können uns in einer globalisierten Welt nicht abschotten gegen Menschen aus anderen Kulturen, und wir dürfen sie damit auch nicht diskriminieren. Friedliches Zusammenleben ist nur möglich, wenn sich die Menschen verschiedener Kulturkreise wechselseitig mit Respekt begegnen. Was nicht heißt, Unterschiede zu nivellieren.

Warum ist die Debatte so aufgeregt?

Bei uns herrscht auch so große Nervosität, weil wir selbst keine Übereinstimmung darin haben, was unsere prägende Kultur ist. Mit dem Islam trifft eine in sich zumindest scheinbar sehr gefestigte Gesinnungsgemeinschaft auf eine im Inneren zutiefst verunsicherte Gesellschaft. Das Wichtigste ist, dass wir selber eine bessere Beziehung zu unserer Kultur und Identität bekommen – und nicht durch Abgrenzungsstrategien unsere eigene Unsicherheit überspielen. Die größte Gefahr für unsere Kultur ist im Übrigen die Kommerzialisierung aller Lebensbereiche, nicht irgendein Druck von außen.

Aber wenn man die Ängste davor bedient, bekommt man Wählerstimmen ...

Wenn man Ängste bedient, hat man zwar vordergründig Resonanz, verliert jedoch jede Gestaltungskraft. Man muss Ängste ernst nehmen, darf sie aber weder in die eine noch in die andere Richtung politisch vermarkten. Das ist immer kurzsichtig. Solche Politik kann nur reagieren, niemals gestalten.

Alois Glück (70) saß 38 Jahre lang für die CSU im bayerischen Landtag, war Fraktionschef und Landtagspräsident. Seit 2009 ist er Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.

Die Fragen stellte Rainer Woratschka.

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