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Die Beschneidung des Herrn: Das Wunder der göttlichen Vorhaut

Acht Tage nach seiner Geburt trennte man Jesus die Vorhaut ab. Wo ist sie heute? Mehrere Kirchen reklamieren die Reliquie für sich, der Vatikan schweigt. Eine Odyssee durch die Skurrilitäten des christlichen Glaubens.

In der Debatte über Knabenbeschneidung, ausgelöst von einem im Dunstkreis des katholischen Joachim Kardinal Meisner residierenden Landgericht, stellt sich dringend die Frage: Wo steckt denn eigentlich die Vorhaut Jesu, welche dieser, noch im zarten Babyalter von acht Tagen, gemäß der Schilderung des Evangelisten Lukas in Kapitel 2, Vers 21, in Bethlehem verlieren musste, um – wie es im 1. Buch Mose, Kapitel 17, Vers 14 heißt –, als Unbeschnittener den Bund mit Gott (also mit sich selbst?) nicht zu brechen?

Wir wissen nicht, ob heute lebende Juden oder Muslime von ihren Eltern das am kindlichen Penis entfernte hautige Kränzchen, getrocknet und gut konserviert, in einem güldenen Döslein später im Leben ausgehändigt erhalten, als ledriges Andenken an die eigene graue Vorzeit, wie es in gewissen Landkreisen dieses Globus mit den niedlichen Milchzähnchen von Kindern in der Art einer weltlichen Reliquie geschieht, denen nach der Vollendung des sechsten Lebensjahres die Zahnfee begegnet ist.

Und noch viel weniger wissen wir, ob des Gottessohns Präputium aufgehoben und überliefert worden ist. Zwar heißt es im nicht zur Bibel gehörenden „Evangelium der Kindheit“, die alte Jüdin, welche die Operation vornahm, habe Jesu Vorhaut aufgehoben und in ein mit Nardenöl gefülltes Alabastergefäß gelegt, habe einen im Handel mit Wohlgerüchen tätigen Sohn gehabt und diesem das Gefäß mit den Worten übergeben: „Hüte dich, dieses Gefäß voll Nardenöl zu verkaufen, selbst wenn man dir dreihundert Silberlinge böte.“ Er habe es aber dennoch an Maria Magdalena verkauft, welche das Nardenöl über die geheiligten Füße Unseres Herrn Jesus Christus ausgoss und diese mit ihren Haaren trocknete. Das apokryphe Buch schweigt allerdings züchtig darüber, was schließlich mit dem Präputium Jesu in den Händen der Maria Magdalena geschah.

Wer dies allenfalls wüsste oder wissen könnte, wäre die einzige weltliche Institution, die es als ihre Aufgabe begreift, altes Wissen, altes Denken, altes Verhalten und auch alte Gegenstände in Köpfen, tiefgründigen Archiven und Museumsdepots vor dem Verfall zu bewahren. Doch diese Institution – der Vatikan – versagt bezüglich des gottessöhnlichen Präputiums vollständig und hüllt ihr Unwissen zudem in tiefstes und betretenes Schweigen.

Bildergalerie: Die Beschneidungs-Debatte in Deutschland

Wohl hat sich im Jahre 1954 am liturgischen Fest des Heiligen Jean-Baptiste de la Salle sowie der Heiligen Denise, welcher der Vatikan – mit welchen Beweisen auch immer – seit ihrer Seligsprechung Jungfrauenstatus bescheinigt, kalendarisch somit am 15. Mai, eine Sondersitzung der Obersten Heiligen Kongregation des Sanctum Officium intensiv mit dem Vorhaut-Thema befasst. Nach langer Beratung in größerem Kreise zogen sich die der Sitzung beiwohnenden Kardinäle Giuseppe Pizzardo (1877–1970), Alfredo Ottaviani (1890–1979), Adeodato Giovanni Piazza (1884–1957) und Nicola Canali (1874–1961) zurück und verhandelten während einer Stunde geheim und ohne Protokoll. Später verkündeten sie in der wiederaufgenommenen Sitzung ihr Urteil: Die Bitte eines französischen Jesuiten, das Dekret Nr. 37 A vom 3. Februar 1900 aufzuheben, mit welchem die Oberste Heilige Kongregation verbietet, über die Reliquie der Vorhaut Jesu zu sprechen und zu schreiben, werde abgewiesen und das frühere Dekret verschärft. Gegen jeden, der ohne Erlaubnis über das heilige Präputium schreibt und spricht, bleibe dem Heiligen Apostolischen Stuhl die Strafe der Exkommunikation vorbehalten, welche zudem von der Kategorie speciali modo in die Kategorie specialissimo modo übernommen wird. Wer diese Vorschrift übertrete, sei ipso facto als ehrlos anzusehen, gnädigerweise allerdings bloß in der niederen Kategorie der „geduldeten Ehrlosen“. Sollten sie allerdings verstockt bleiben, würden sie durch ein auf ihren Namen lautendes Urteil in die höhere Kategorie der „zu meidenden Ehrlosen“ versetzt.

Es ist das größte Wunder der katholischen Kirche: die wuchernde Vermehrung der göttlichen Vorhaut!

Dem Protokolle dieser Sitzung ist zu entnehmen, dass keinerlei Löschblatt, sondern nur Sand zum Trocknen der Tinte verwendet wurde. Abschließend sprachen die Teilnehmer der Sitzung den 25. Psalm, in dem es heißt: „Ich hasse die Versammlung der Missetäter, nie setzte ich mich zu den Gottlosen. Ich wasche meine Hände in Unschuld und umwandle deinen Altar, o Herr, dass ich laut den Lobgesang anstimme und alle deine Wunder verkünde.“

Und eben ein solches – überdies gewaltiges! – Wunder lässt sich im Zusammenhang mit der Vorhaut Jesu ad oculos nachweisen: Hatte sich doch der Antrag des frommen Jesuiten, der die Verehrung der vom kindlichen Jesu abgetrennten Reliquie wiederauferstehen lassen wollte, auf jenes Präputium bezogen, welches sich in der Kirche Santi Cornelio e Cipriano in Calcata befand, gelegen in der umfangreichen Diözese Civita Castellana, Orte und Gallese, in der altrömischen Landschaft Latium, heute in der Provinz Viterbo. Die Beratung indes hatte gezeigt, dass nicht weniger als 14 Kirchgemeinden den Besitz des heiligen Objekts beanspruchten. Dies ist wohl eines der größten Wunder der katholischen Kirche: die wuchernde Vermehrung der göttlichen Vorhaut!

Doch nicht nur dem biologischen Material selbst wohnte göttliche Kraft zur Vervielfältigung inne, nein, auch das Messer, das damals zu Bethlehem seine gottesbündische Kraft an der Penisspitze des Jesulein bewies, vermochte sich zu verdoppeln. So wird es denn, wie sonst nur in der Quantenphysik üblich, gleichzeitig an zwei Orten dieses Planeten verwahrt (wenn auch nicht gezeigt). Der erste Ort befindet sich zu Compiègne in Frankreich, das zweite Exemplar des Beschneidungsskalpells findet sich im holländischen Maastricht.

Video: "Die Beschneidung gehört zur muslimischen Identität"

Und schließlich ist auch der Stein, auf welchem die Beschneidung Jesu vorgenommen wurde, in der römischen Kirche San Giacomo al Castello verwahrt worden, dies allerdings vor längerer Zeit, zusammen mit dem ebenfalls dorthin verbrachten Stein, auf welchem der biblische Stammvater Abraham auf Geheiß Gottes seinen Sohn Isaak schlachten wollte. Die später heiliggesprochene Flavia Iulia Helena (248/250–330), Kaiserin von Byzanz und Mutter des wahrscheinlich im Konkubinat gezeugten späteren Kaisers Konstantins des Großen, der das Christentum zur Staatsreligion machte, soll die beiden Steine besessen und danach getrachtet haben, sie in der Vatikanischen Basilika niederzulegen. Die Pferde jedoch, die zum Behufe dieses Transports bereits eingespannt waren, hätten sich – ein Wunder mehr! – wenig vor ihrer Ankunft am Bestimmungsort aufgebäumt und seien nicht mehr von der Stelle zu bewegen gewesen. An eben jenem Orte sei dann die erwähnte Kirche errichtet worden, die allerdings seither, gemeinsam mit den beiden heiligen Steinen, ohne Spuren irgendwelcher Relikte, verschwunden ist.

Anderslautendes wusste bei besagter Sitzung der zweite Beisitzer zu berichten, Pater Gargiulo, der dem Predigerorden der Dominikaner angehörte: Der Abraham-Stein, erklärte er, sei in die Kirche seines Ordens in Santa Maria sopra Minerva verbracht worden, wo auch die Asche Abrahams aufbewahrt werde, in jene römische Kirche also, vor welcher ein Elefant auf einem Podest steht, und in der die Inquisitionsprozesse gegen den Waldenserprediger Luigi Pasquali stattgefunden haben, der am 9. September 1560 vor der Engelsburg erwürgt und verbrannt wurde, und gegen Galileo Galilei, der am 22. Juni 1633 für den Rest seines Lebens unter Hausarrest gestellt wurde.

Wie eine Eidechse ihren Schwanz zurücklässt...

Scharfsinnig bemerkte Kardinal Pizzardo in der Sitzung, das Vorhandensein des heiligen Präputiums wäre ein gutes Argument gegen die Behauptung, Jesus sei nur dem Anschein nach auf die Erde gekommen – eine Irrlehre, die in der Kirche als „Häresie des Manes“ gilt –, denn wenn sein Präputium aufbewahrt worden sei, werde er ja tatsächlich hier gewesen sein. Diesem Argument steht jedoch die Auffassung des Jesuiten Francisco Suárez (1548–1617) gegenüber. Dieser argumentierte – unter Berufung auf Cesare Kardinal Baronio (1538–1607), welcher Juden gekannt haben will, denen die Vorhaut nachgewachsen sei –, Jesus habe sein heiliges Präputium auf Erden gelassen und sei mit einem anderen auferstanden, das sich auf natürliche Weise durch die Ernährung neu gebildet habe, wohl etwa so, wie einer Eidechse der einem Feind geopferte Schwanz wieder nachwächst, wenn auch unvollkommen.

Alphons Victor Müller (1867–1930), auch „Müller-Rom“ genannt, widmete diesem in verschiedener Weise erregenden Thema sein 1907 in Berlin erschienenes Werk „Die ,hochheilige Vorhaut Christi’ im Kult und in der Theologie der Papstkirche“. Über dieses 156 Seiten umfassende Buch, das in der Staatsbibliothek zu Berlin unter den Linden eingesehen werden kann, allerdings nur im Lesesaal, weiß das von Horst Hermann 2003 bei Rütten & Loening veröffentlichte „Lexikon der kuriosesten Reliquien“ Folgendes zu berichten: „A. V. Müller führt 1907 in seiner Abhandlung über ,Die hochheilige Vorhaut Christi’ immerhin 13 Stätten auf, die sich des Besitzes der wahren Vorhaut Jesu rühmten: die Laterankirche in Rom, Charroux bei Poitiers, Antwerpen, Brügge, Paris, Boulogne, Besançon, Nancy, Metz, Le Puy, Conques, Hildesheim, Calcata.“

Weiter ist in Hermanns Kuriositätenlexikon die Rede von regelrechten Präputium-Mystiken und -Kulten: Speziell bestellte Vorhaut-Kapläne sorgten beispielsweise in Antwerpen für die angemessene Liturgie, die bis zu feierlichen Hochämtern zu Ehren des heiligen Hautfetzens reichten. „Zu dem im französischen Charroux verehrten Teil, dem noch zu Zeiten Voltaires und Goethes eine günstige Wirkung auf den Verlauf der Geburt zugeschrieben wurde, pilgerten vor allem Schwangere.“

In der Kirche Unserer Lieben Frau zu Antwerpen sei seit 1112 oder 1114 eine weithin berühmte Vorhaut gezeigt worden, die sogar Wunder gewirkt habe: Der Bischof von Cambrai hatte drei Blutstropfen von ihr fallen sehen, worauf der Klerus eine prächtige Kapelle und einen Altar aus Marmor für sie errichten ließ. „1426 wurde in Antwerpen eine Bruderschaft van der heiliger Besnidenissen Jhesu Cristi gegründet, der 24 vornehme Geistliche und Laien angehörten. Papst Eugen IV. stattete die Mitglieder der Vorhaut-Bruderschaft mit Ablaß und Privileg aus. Obwohl die Antwerpener Vorhaut bereits beim Bildersturm von 1566 verschwunden sein soll, ist ihre Verehrung noch im 18. Jahrhundert nachzuweisen.“

Jesus' Vorhaut ist von beachtlicher Größe.

Die in Rom aufbewahrte Vorhaut wiederum, so das Lexikon weiter, habe der Antwerpener Reliquie so große Konkurrenz gemacht, dass deren Klerus verstärkt Reklame für den Eigenbesitz machen musste, wobei zuzugeben war, dass nicht die gesamte Vorhaut Jesu gezeigt werden konnte, sondern nur ein Stück von ihr, wenn auch ein beachtliches (notanda portiuncula). Für die Echtheit des römischen Präputiums hatte sich gar die Nationalheilige Schwedens, die Heilige Birgitta, unter Berufung auf die Gottesmutter Maria selbst verbürgt. „1527 wurde beim Sacco di Roma die römische Reliquie aus der Sancta Sanctorum entwendet (und nach Calcata gebracht), dann aber wiedergefunden und von verschiedenen Päpsten (Sixtus V. 1585, Urban VIII. 1640, Innozenz X. 1647, Alexander VI. 1661, Benedikt XII. 1724) mit Segen und Ablaß versehen, wenn sie sich auch nicht für die Echtheit des Stücks verbürgen wollten.“

Wegen des Spotts der Nicht-Katholiken über die angebliche Reliquie verhängte im Februar 1900 schließlich der Vatikan das bereits thematisierte Sprech- und Schreibverbot über Jesu Vorhaut, unter Strafe des Kirchenbanns. Auch die Fremdenverkehrswerbung durfte sich künftig nicht mehr des Themas annehmen.

112 Jahre sind vergangen, seit das Heilige Offizium – die vatikanische Behörde, die sich heute „Kongregation für den Glauben“ nennt und deren Chef vor seiner Wahl zum Stellvertreter Christi der Deutsche Josef Kardinal Ratzinger war – im Jahre 1900 sein Verbot erließ, Jesu Vorhaut, wenn man so will, in den Mund zu nehmen. Auch die eingangs erwähnte Sitzung, bei welcher das Verbot noch verschärft wurde, liegt inzwischen 58 Jahre zurück. In dieser Zeit hat die Wissenschaft nicht stillgestanden.

Der Amerikaner Willard Frank Libby entwickelte 1946 die Radio-Karbon-Methode, für die er 1960 mit dem Nobelpreis für Chemie geehrt wurde. Sie ermöglicht es, das Alter von kohlenstoffhaltigen Gegenständen mit ausreichender Genauigkeit zu ermitteln.

Mit ihr ließe sich somit feststellen, ob eine jener offenbar noch irgendwo im Dunkel der Heiligen Kirche schlummernden Vorhäute Christi altersmäßig überhaupt annähernd in die Zeit seiner angeblichen Geburt zurückreicht.

Wäre dies der Fall, bliebe noch die Frage offen, ob es tatsächlich das Präputium Jesu ist oder aber eines anderen Erdulders der im Judentum gebotenen „Taufe mit dem Schwert“. Mittels DNA-Analyse wäre zu ermitteln, aus welcher Ecke des Globus das Material mutmaßlich stammt. Käme dafür der Nahe Osten infrage, wäre ein Abgleich mit biologischen Spuren aus dem Trierer „Heiligen Rock“ von Interesse. Ergäben sich auch dabei Übereinstimmungen, gewänne die Sache an Glaubwürdigkeit.

Dies alles jedoch sind natürlich unwahrscheinlich viele Details. Und in denen steckt bekanntlich der Teufel, der den Aufenthaltsort der echten Vorhaut Jesu einstweilen geheim hält.

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