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Gottesdienst für Demenzkranke: Stilles Beten und Mitsingen

Gottesdienst für Demenzkranke in der Trinitatis-Kirche am Karl-August-Platz in Charlottenburg.

Die Orgelmusik rührt an. Sacht wiegt Karin Krüger den Rollstuhl, in dem ihr Lebensgefährte sitzt, im Takt hin und her. Immer wieder streicht sie ihm zärtlich übers Haar. Ihr Partner hatte mehrere Schlaganfälle, ist an Parkinson erkrankt. Seit sieben Jahren lebt er im Pflegeheim, erzählt die 61-Jährige. Zusammen sind die beiden an diesem Sonntag in die Trinitatis-Kirche am Karl-August-Platz gekommen, um mit anderen einen „Gottesdienst für Menschen mit Demenz, deren Pflegekräfte und Angehörige“ zu feiern.

Alter und Altwerden stehen dabei im Mittelpunkt. In ihrer Ansprache wählt die Prädikantin Ursula Michaelsen einfache, leicht verständliche Worte. Die 73-jährige Psychologin erzählt Geschichten, die aus der Lebenswelt der alten Menschen stammen. Sie spricht die Gefühle an, Schönes und Trauriges, Glück und Schicksalsschläge. „Meine Kindheit war keine schöne Zeit, es war Krieg und dann war der Krieg vorbei, und alles war zerstört“, sagt sie. Später erinnert sie an glückliche Zeiten, an die große Liebe, Hochzeit, Zusammenleben. „Sieben Jahre waren wir glücklich, alles war leicht, auch das Schwere haben wir miteinander getragen.“

Ein Großteil der Gottesdienstbesucher ist mit dem Seniorenfahrdienst aus den umliegenden Pflegeheimen gekommen. Viele sitzen im Rollstuhl, haben die Augen geschlossen oder den Blick ins Leere gerichtet. Fern in einer anderen Zeit, einer unerreichbaren Welt. Eine Frau starrt versunken auf ein zerknülltes Taschentuch in ihrer Hand. Erst als die Orgel „All Morgen ist ganz frisch und neu“ intoniert, hebt sie den Kopf und blickt kurz auf. So als ob für einen Moment die Gegenwart zu ihr durchdringt.

„Viele der an Demenz erkrankten Gottesdienstbesucher erinnern sich daran, dass sie früher in der Kirche waren“, ist sich Ursula Michaelsen sicher. Sie kennen die Lieder, die Liturgie, beten das Vaterunser mit. Auch in Alter, Einsamkeit und Krankheit sollen diese Menschen erfahren, dass sie immer noch zur Gemeinde zu gehören. Zweimal im Jahr veranstaltet daher die Trinitatis-Gemeinde diesen Gottesdienst. „Es bleibt die Stimmung, die die Menschen mit der Kirche verbinden.“

Später, nach dem Gottesdienst, sitzen die alten Menschen mit ihren Pflegern und Angehörigen an einer Kaffeetafel in der Kirche. Karin Krüger hat neben ihrem Lebensgefährten Platz genommen. Immer wieder gibt sie dem stillen, in sich gekehrten Mann mit einer Gabel ein Stück Kuchen. Auch wenn es schien, als habe ihr Mann geschlafen, „er hat mitgesungen, mitgebetet und mitgeweint“, sagt sie. Barbara Schneider

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