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Viel geredet, aber nicht das Entscheidende gesagt: Papst Benedikt XVI. und das Thema Kindesmissbrauch in der Katholischen Kirche.

© dapd

Evangelisches Papst-Lob: Gut katholisch ist, nicht alles zu wörtlich zu nehmen

Patrik Schwarz ist evangelisch, ärgert sich aber über hochmütige Papstkritiker. Hier erklärt er, warum.

Der Papst kommt nach Deutschland, ich bin evangelisch und fühle mich doch zu seinen Andachten mehr hingezogen als zu den Gegendemonstrationen. Das hat sicher mit diesem Papst zu tun, aber auch mit den Protesten gegen ihn.

Zunächst einmal mangelt es den Demonstranten an einem Gefühl für die melancholische Größe des Augenblicks. Der letzte deutsche Papst für lange Zeit reist – womöglich zum letzten Mal – in seine Heimat. Da sollte man sich zweimal überlegen, was man ihm alles vorhält.

Außerdem ärgert mich der Hochmut vieler Kritiker, die meinen, wer die Visite des Papstes verteidigt, wisse nicht um dessen Schwächen. Seine unzulängliche Kontrolle über eine selbstherrliche Kurie, sein fataler Hang zur Großzügigkeit gegen Rechtsabweichler bei stark verzögertem Entgegenkommen gegenüber Kritikern von links – all das muss einem nicht verborgen bleiben, um trotzdem sagen zu können: Die Kritik am Papst erreicht oft nicht das Niveau des Kritisierten.

Wäre denn wirklich alles gut im katholischen Kosmos, wenn Benedikt XVI. plötzlich die Ansichten seiner Gegner übernähme? Würden all die Proteste verstummen, wenn das Oberhaupt der katholischen Kirche plötzlich bundesrepublikanische Allerweltsansichten verträte?

Natürlich kann man das Argument auch zu weit treiben. Ich misstraue dem Feuereifer, mit dem viele Feuilleton-Katholiken rühmen, das Feine am Papst sei seine Widerständigkeit gegen die Welt. Anders zu sein als der liberale Westen ist natürlich kein Wert an sich. Mit diesem Argument ließe sich, sagen wir, auch die Herrschaft von General Pinochet in Chile verteidigen.

Ich werde beim Papstbesuch zu einigen der Andachten gehen, weil ich neugierig bin, ob dort wahre Andacht möglich ist. Passen Massen und Messen zusammen? Diesem Papst kann man jedenfalls glauben, dass es ihm zuerst um die Suche nach Gott geht. Kann man dafür nicht einfach in die Gemeinde um die Ecke gehen? Natürlich, aber man muss das eine nicht lassen, bloß weil man das andere tut.

Und stoße ich mich nicht daran, dass der Hauptzelebrant katholisch ist, ich aber evangelisch? Ja, ganz am Schluss: Dass ich nach Benedikts Vorstellung vom Abendmahl ausgeschlossen sein soll, empfinde ich als Grobheit. Warum soll Judas gut genug für das Brot gewesen sein, aber nicht der gemeine Protestant?

Es ist vielleicht nicht sehr erstrebenswert, für diese Kirche zu arbeiten oder in ihr Ämter ausfüllen zu müssen. Weil sie den Gehorsam über die Freiheit stellt, befördert sie bei denen, die von ihr abhängig sind, ungute Verkrümmungen. Aber just mit der Sexualmoral, diesem Haupthader kritischer Katholiken, habe ich weniger Probleme, je älter ich werde. Dass diese Kirche die Unverbrüchlichkeit der Ehe hochhält, kann ich ihr nicht verübeln. Jüngst ist ein Buch über die »Patchwork-Lüge« erschienen. Dort schildert eine Autorin aus der Generation der Scheidungskinder den Schmerz, den die Selbstverwirklichung von Eltern oft für die Kinder bedeutet. Natürlich war es wichtig, die Macht der Kirchen zu brechen, Scheidungen zu verbieten oder zu ächten. Doch 30, 40 Jahre später stellt sich die gegenteilige Frage: Muss wirklich jede Trennung sein? Gibt es nicht mehr Gründe, in einer Partnerschaft trotz Krisen durchzuhalten, auch wenn es zunächst nicht unbedingt danach aussieht, als läge darin Heil? Ein Kindertherapeut erzählte neulich, auf das Lebensglück schlügen immer die zwei Generationen davor durch. Ich übersetze das für mich: Eine Ehe wirkt offenbar so lange nach, gleich, ob sie geschieden ist oder nicht, dass man sie durchaus unauflöslich nennen kann.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche Freiheiten der Interpretation sich Patrik Schwarz herausnimmt.

Und selbst die kühnste, scheinbar weltfremdeste Forderung dieses Papstes finde ich inzwischen nicht mehr völlig aus der Welt: dass Sex in der Ehe besser aufgehoben ist als außerhalb. Unterscheidet sich dieser Imperativ wirklich so sehr von dem, was viele von uns sich wünschen? Dass man ein glückliches Leben auch ohne Seitensprünge hinbekommt? Mag sein, dass das hoffnungslos spießig klingt, aber wird einem nicht dieses Versprechen bei der Trauung abgenommen, egal, ob evangelisch oder katholisch? Und zumindest am Anfang meinen es die meisten ernst damit. Warum eigentlich später nicht mehr?

Die sprichwörtlichen Väter und Mütter vom Prenzlauer Berg, gewiss Spießer auch sie, vermitteln ihren halbstarken Heranwachsenden jedenfalls eine Idee von Sexualität, die der katholischen nicht so fern ist: Kein Vater ermuntert seine Tochter, doch kräftig die freie Liebe zu erproben. Stattdessen ist viel die Rede davon, dass sie jederzeit Nein sagen kann und dass die Liebe, nicht der Sex entscheidend sei. Womit ich hadere bei dieser Kirche, ist ihre Neigung, den Leuten moralisch heimzuleuchten, statt darauf zu vertrauen, dass das Licht christlicher Weisheit sie von allein erleuchtet.

Bin ich zu kreativ in meiner privat-protestantischen Auslegung der katholischen Sexuallehre? Sicher, einige meiner Freiheiten der Interpretation würden in Rom keine Billigung finden. Aber auch das kann man unter Katholiken lernen: Gut katholisch ist, nicht alles immer allzu wörtlich zu nehmen. Wenn ich also einen Vorbehalt gegen diesen Papst hege, dann allenfalls den, dass er zu strikt in der Auslegung der Lehren seiner Kirche ist. Benedikt XVI. ist mir, anders gesagt, manchmal zu protestantisch, aber eigentlich nie zu katholisch.

Lesen Sie hier, wieso der Katholik Bernd Ulrich sich gegen den Papst-Besuch ausspricht.

Quelle: Zeit Online

Patrik Schwarz

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