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Homosexualität in der katholischen Kirche: Gottes geliebte Söhne

Er ist homosexuell und Kandidat für das Priesteramt. Die katholische Kirche sieht das nicht vor, sie nennt sein Leben „ungeordnet“. Anvertrauen kann sich der junge Mann niemandem – und ringt mit seiner Berufung.

Die Kommilitonin grinst, als sie die Tüte mit dem Geschenk überreicht. „Alles Gute zum Geburtstag“, sagt sie. „Ist was Unanständiges“. Das Päckchen enthält eine rosafarbene Packung Kondome, bedruckt mit bunten Comics.

Felix freut sich. „Meine sind gerade alle, die kann ich gut gebrauchen“, sagt der junge Mann und stellt sie zu den übrigen Präsenten: Büchern über Seelsorge, Predigtgestaltung und Auftreten vor der Gemeinde.

Die kleine Feier findet in einem Priesterseminar statt. Felix will katholischer Priester werden, und er ist homosexuell. In einigen Jahren hofft er die Weihe zu empfangen. Von einer Kirche, die ihn und seine Lebensweise ablehnt.

Felix heißt eigentlich anders, auch in der schwulen Szene ist er oft unter falschem Namen unterwegs. „Mal nenne ich mich Michael, mal Lukas – ich muss nur sehen, dass ich selbst den Überblick behalte“, grinst er. Das Grinsen ist typisch, verschmitzt, verlegen, manchmal ein bisschen hinterhältig. Man sieht es bei ihm oft, wenn Felix von Ausflügen in die Szene erzählt. Er spricht schnell, leise, fast ohne Pause. Kettet Wichtiges und Unwichtiges aneinander, so als hätten sich Worte aufgestaut und zu selten Gelegenheit, auszubrechen.

Felix ist in einer engagiert katholischen Familie in einem kleinen mitteldeutschen Dorf aufgewachsen. Er war Messdiener, leitete später jüngere Messdiener an und half als Jugendlicher, Freizeiten zu organisieren. Noch bevor er die Oberschule erreicht hatte, wusste er, dass er selbst Priester werden wollte. „Man wächst so rein“, sagt Felix. „Irgendwann hatte es mich dann gepackt und nicht mehr losgelassen. Durch unseren Pfarrer hatte ich ein Bild davon, wie ich sein möchte, könnte, sollte.“

Schon früh erfährt dieses Selbstbild einen Bruch: Felix bemerkt, dass ihn Männer interessieren. Dort, wo er aufgewachsen ist, spricht man nicht darüber. „Mein Vater hat es sehr schnell akzeptiert“, sagt Felix. Die Mutter sagt zunächst nichts. Erst jetzt, nach Jahren, beginnt sie nachzufragen. Aber nachdem ihr Felix in den Weihnachtsferien erklärt hat, was ein Darkroom ist, in dem Männer schnellen anonymen Sex haben können, bittet sie nicht mehr um Details. „Wir reden da nicht drüber“, sagt Felix.

Felix erlebt schon hier, im vertrauten Kreis der Familie, was heute sein Leben als Priesteramtskandidat prägt: Schweigen über das, was man nicht genauer wissen will. Es ist sein Arrangement mit der Situation. Aber warum tut er sich das an?

Nach der Schule hat Felix einen Freund, lernt einen handwerklichen Beruf, belügen muss er dort niemanden. Trotzdem kommt er von dem Gedanken an den Priesterberuf doch nicht los. Mit Mitte 20 beendet er die Beziehung und tritt ins Priesterseminar ein. In diesen Ausbildungseinrichtungen bereitet die katholische Kirche junge Männer auf das Priesteramt vor. Es ist eine Mischung aus Studentenwohnheim und sehr großer Familie: Die jungen Männer haben ihr eigenes Zimmer und gehen einem Theologiestudium nach, gleichzeitig festigen gemeinsame Mahlzeiten, Dienste, Messen und eine geistliche Aufsicht die Gemeinschaft mit und die Bindung an den späteren Dienstherrn, die katholische Kirche. Eine ganzheitliche Ausbildung, die nicht nur die Leistung, sondern auch die Priesteramtskandidaten als Menschen im Blick hat.

Zu seinem Geburtstag hat Felix nur Eingeweihte eingeladen, ein sehr kleiner Kreis: Zwei alte Freunde mit Partnerin, eine Studienkollegin, die Schwester mit dem Lebensgefährten, ein Freund aus der Szene. Es ist still im Haus, die meisten von Felix’ Kollegen sind über das Wochenende weggefahren. So fallen die fremden Gäste in den holzgetäfelten Gängen des Priesteramtseminars nicht auf.

In Felix Zimmer stapeln sich Studienordner und Bücher, Familienfotos sind das Einzige, was auf Interessen jenseits der Kirche schließen lässt. Einige seiner Kommilitonen dekorieren ihre Zimmer mit Weihrauchfass, Kerzen, Bibelsprüchen. Über dem Bett die Muttergottes, auf dem Schreibtisch die heilige Bernadette. In Felix’ Welt lenken intensives Gebet und Gottesdienst einen Großteil menschlicher Zuneigung auf eine göttliche Präsenz. Die Novizen haben mit ungewohnten Gefühlen umzugehen. Es sind die strengen Rituale, die die Kirche gegen diese Unsicherheit aufbietet.

Die Zahl der Homosexuellen unter Priestern ist überproportional groß.

„Die Zahl der Homosexuellen ist unter Priestern überproportional hoch“, sagt David Berger. Der lange als erzkonservativ bekannte katholische Theologe outete sich 2007 als homosexuell. Er glaubt, dass jeder vierte Priester homosexuell veranlagt sei, und stellt die These auf, die katholische Kirche wirke auf Schwule besonders anziehend – eine reine Männergesellschaft, die Wert legt auf Erscheinung, Zeremoniell, Kleidung. „Für viele junge Männer aus konservativen Familien bietet sich hier die Möglichkeit, aus der Not eine sehr große Tugend zu machen.“ Zumal die katholische Kirche die hohe Zahl schwuler Priester bewusst ignoriere, solange die Betreffenden nicht selbst an die Öffentlichkeit gehen.

Auch Felix hat das Versteckspiel perfektioniert.

Beim sommerlichen Grillabend entspricht er mit seitlich gescheitelten Haaren und im Anzug problemlos dem Bild, das Geistliche von sich haben. Er ist ruhig, wirkt bodenständig, spricht kaum und in kurzen Sätzen. Die meisten seiner Freunde kennen ihn so – schweigsam und konservativ. Nun, während Fettdämpfe emporsteigen, diskutiert er über die Wiedereinführung eines althergebrachten Gottesdienstritus’ in lateinischer Sprache, er ist nie dabei, wenn die anderen auf ein Bier weggehen. Ein- oder zweimal hat er einem Kommilitonen zu verstehen gegeben, dass ihm ein Mädchen gefällt. Bei seiner zurückhaltenden Art erwartet aber niemand, dass sich daraus mehr entwickelt. Er wirkt verschlossen, manchmal zynisch. Die perfekte Tarnung.

Geahnt haben es trotzdem viele. „Er hatte manchmal Besuch von einem ,Cousin’“, sagt ein Freund. „Das an sich wäre nicht weiter sonderbar gewesen, aber die beiden sind regelrecht vor uns geflohen. Und sie haben im gleichen Zimmer übernachtet.“ Gesagt hat niemand etwas.

Felix selbst vermutet, dass viele seiner Mitschüler ebenfalls schwul sind. Das würde nur niemand zugeben, denn die katholische Kirche hat ein klares Bild von ihrem Personal. Unter Benedikt XVI. stellte die Kongregation für das Bildungswesen 2005 „mit aller Klarheit“ fest, „dass die Kirche – bei aller Achtung der betroffenen Personen – jene nicht für das Priesterseminar und zu den heiligen Weihen zulassen kann, die Homosexualität praktizieren, tiefsitzende homosexuelle Tendenzen haben oder eine sogenannte homosexuelle Kultur unterstützen.“

Für „kontraproduktiv“ hält man diese Anweisung in der Abtei Münsterschwarzach. Das Benediktinerkloster ist deutschlandweit für seine spirituellen Angebote bekannt. Hier befindet sich auch die einzige Anlaufstelle für homosexuelle Priester: das Recollectio-Haus, gegründet und geleitet von dem Pastoralpsychologen Wunibald Müller. Er begleitet Priester, die Probleme mit ihrer Sexualität und dem Zölibat haben. Öffentlich spricht er sich gegen den Zwangszölibat und für die Ordination von Frauen und Homosexuellen aus. Aus seinen Erfahrungen in der Seelsorge weiß er, dass solche Dogmen es den Männern schwer machen, ihre Orientierung anzunehmen. „Nach der offiziellen Lehrmeinung ist Homosexualität objektiv ungeordnet, entspricht also nicht der göttlichen Schöpfungsordnung“, sagt Müller. Ein Rückschritt unter Benedikt XVI., denn „in der Priesterausbildung hat sich inzwischen sehr viel verändert“.

Felix schnaubt verächtlich. „Alibiveranstaltungen“ nennt er die Gelegenheiten, wenn das Thema im Seminar auf der Tagesordnung steht. Ein Kirchenhistoriker referiert über den Zölibat, die jungen Männer lernen Atemübungen gegen den Trieb und sollen in ritualisierten Umarmungen den Wunsch nach menschlicher Nähe kompensieren. Noch unaussprechlicher als körperliche Liebe zu Frauen ist nur die zu Männern. „Wenn es um Homosexualität geht, hörst du immer: das ist schmutzig, dreckig, schlecht!“, sagt er und schlägt bestätigend mit der Hand auf den Tisch. Felix ist sensibel geworden. Mit jeder dieser Äußerungen stellt er sich auch selbst infrage.

„Die jungen Männer haben sehr daran zu knabbern, dass sie ungeordnet sind“, weiß Pastoralpsychologe Müller aus seiner Erfahrung mit schwulen Priestern. „Wenn ich mich aber selbst nicht mag, dann reduziere ich meine Möglichkeiten, mit meiner Sexualität umzugehen.“ Für die Betroffenen bestehe dann „die Gefahr, in die Szene abzudriften“.

HIV-Diagnose und Antidepressiva - Felix zweifelte nie an seiner Berufung.

Wie weit das gehen kann, dafür ist Felix’ Leben ein Beispiel. Der kompensiert, indem er sich außerhalb des Seminars mit anderen Männern trifft. Sein zweites Leben findet meistens in anderen Städten statt. Wenn er dort unterwegs ist, wirkt er wie ein anderer: Ein buntes Hemd, die glatten Haare mit Haargel aufgestellt, eine freiere Gestik.

Das Mobiltelefon ist Felix’ ständiger Begleiter, auch während er in der Kirchenbank sitzt, hört man leise Tippgeräusche – Abendplanung. Im Seminar hat er gelernt, sich abends wegzuschleichen. Er weiß, wie man den Bewegungsmelder umgeht, der das Außenlicht am Eingang steuert. „Ich hätte den Kollegen erwürgen können, der immer den einzigen Parkplatz blockiert hat, den man vom Haus aus nicht sehen kann“, lacht er.

In Momenten wie diesen scheint alles ein Spiel zu sein. Aber die Antidepressiva, die er jeden Tag schluckt, verraten, dass es mehr ist als ein Spiel, und wie sehr ihn die Situation belastet.

Seine Mutter macht sich inzwischen Sorgen. „Sie fragt mich, wie das gehen soll mit meinem Schwulsein und dem Seminar“, sagt Felix. Er hat darauf keine Antwort. Die naheliegenden Lösungen – das Seminar zu verlassen, zu konvertieren, wieder in seinem gelernten Beruf zu arbeiten – kommen für ihn nicht infrage. Entrüstet sagt er: „Das wäre mir zu billig.“

Warum also? Neulich hat er eine Stelle im Paulusbrief gelesen, die ihn sehr berührt hat. Vielleicht weil sie eine Art Antwort ist. Der Apostel spricht davon, dass man als Nachfolger Christi auch die Tiefen des Lebens erlebt. Schließlich wurde der Begründer des Christentums als Verbrecher hingerichtet und stieß den Klerus vor den Kopf. „Es muss hier brennen!“, erklärt Felix und tippt sich auf das karierte Hemd. Etwa auf der Höhe, wo sein Herz sitzt.

Das Einzige, an dem Felix bislang nicht gezweifelt hat, ist seine Berufung. Der Preis dafür ist hoch. „Es gab eine Zeit, da war mir alles egal“, erinnert er sich an die ersten Wochen im Seminar. Der Druck war groß, Felix suchte nach Bestätigung und Nähe in schnellen sexuellen Kontakten. Monate später diagnostizierte sein Arzt eine HIV-Infektion.

„Smarties“, so nennt Felix die bunten Tabletten, mit denen er das Virus in Schach hält – Virusdämpfer, Wirkstoffverstärker, Antidepressiva. Bei einem Treffen entsorgt Felix zuerst die Medikamentenschachteln, große weiße Plastikdosen. Einfach wegwerfen darf er sie nicht. Im Seminar könnte jemand die Dosen im Müll sehen. Die Medikamente müssen mit dem Frühstück eingenommen werden, das provoziert Nachfragen.

Einmal ist ihm beim Brotschneiden das Messer abgerutscht, eine blutige Angelegenheit. Die Fleischwunde musste genäht werden. Jeder Arzt zieht selbstverständlich Handschuhe an, bevor er die Wunde versorgt. Was aber, wenn ihm im Seminar etwas zustößt? Wie tief sitzt das Versteckspiel schon in ihm?

Von der Infektion wissen nicht einmal seine Eltern, nur seiner Schwester hat er davon erzählt. Ihr gibt er auch regelmäßig seine Laborergebnisse, ungefragt. Und auch Nachfragen kommen selten. „Ich glaube, sie weiß nicht, wie sie damit umgehen soll“, sagt Felix. „Sie hat da kein großes Informationsbedürfnis.“

Er selbst bezeichnet die Infektion als „Geschenk“. Sie hat ihn auch mit Menschen zusammengebracht, die ihn akzeptieren und unterstützen. Dank der Medikamente liegt die Viruslast im Moment unter der Nachweisgrenze. Felix fühlt sich gesund und weicht aus, wenn man ihn auf die Zeit anspricht, in der das anders werden könnte. Man könne damit 60, 70 Jahre leben, meint er zuversichtlich.

„Auch als homosexueller Mann bin ich uneingeschränkt Gottes geliebter Sohn, unabhängig davon, was die Kirche dazu sagt.“ Der Pastoralpsychologe Müller sagt diesen Satz mit Nachdruck. Er empfiehlt, sich in einer solchen Situation einem Seelsorger anzuvertrauen. „Es werden immer wieder Homosexuelle zu Priestern geweiht. Ich weiß von einigen Mitbrüdern und bin positiv von ihrer Arbeit angetan“, sagt Müller.

Felix könnte jetzt jemanden gebrauchen, der ihn bei seiner Entscheidung begleitet. Doch mit dem Seelsorger im Haus zu sprechen, wagt er nicht. Der Mann ist zwar an das Beichtgeheimnis gebunden, gibt aber auch eine Empfehlung zur Priesterweihe ab. Er könnte Felix’ Berufswunsch zerstören – oder ihn erpressen, wie der Theologe David Berger warnt. Berger hat selbst erlebt, wie Priester von der Kirche mit ihrer Neigung unter Druck gesetzt wurden. Auch Felix kennt Fälle, in denen enttäuschte Liebe mit Denunziationen endete: „Du weißt nicht, wo dann mal das Telefon klingelt.“

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