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Viel geredet, aber nicht das Entscheidende gesagt: Papst Benedikt XVI. und das Thema Kindesmissbrauch in der Katholischen Kirche.

© dapd

Katholische Papst-Kritik: Sexualmoral ohne Liebe

Bernd Ulrich ist Katholik, Kirchgänger und Berliner. Aber er geht heute nicht zum Papst. Hier begründet er, warum.

Der Papst ist in Berlin. Ich bin Berliner und katholisch, aber ich werde nicht hingehen. Warum nicht? Das ist nicht so leicht zu erklären, ich will es dennoch versuchen.

Welches Verhältnis hat ein gewöhnlicher, gern in die Kirche gehender deutscher Katholik zum Papst. Selbstverständlich betrachte ich ihn nicht als unfehlbar, wohl aber als unüberhörbar, was er sagt, kann ich nicht ignorieren, was er verschweigt, dröhnt mir in den Ohren. Wenn ich mit meinem Papst nicht übereinstimme, dann schmerzt mich das. Es verschafft mir keine Bestätigung, wie das bei vielen eingefleischten Antipapisten der Fall sein mag. Ich kann aber auch nicht sagen, es ist gut für unsere ach so verlotterte Gesellschaft, wenn da jemand ist, der ihr ein paar harte moralische Sachen reinreibt.

Die Worte des Papstes sind für mich kein Gegengift, sie sind überhaupt kein Gift, sondern richtig und christlich – oder nicht. Insofern ist es mir auch egal, ob der Papst bei der Mehrheit der Leute ankommt. Wenn ich etwas an ihm zu kritisieren habe, dann nicht, dass er sich zu wenig marktgängig verhält, die Kirche ist kein Produkt und keine Partei. Meine einzige Papst-Frage lautet: Kann ich ihm folgen? Papst Benedikt XVI. ist in der deutschen Hauptstadt gelandet. Auf dem Rollfeld begrüßten ihn Bundeskanzlerin Merkel und Bundespräsident Wulff.

Als Joseph Ratzinger zum Papst gewählt wurde, habe ich mich gefreut. Weniger weil er ein Deutscher, eher weil er ein großer Theologe ist, in dem die christliche Weisheit aus Jahrhunderten lebt. Nun, nach sechs Jahren Papst Benedikt, bezweifle ich nicht seine Intellektualität, wohl aber die Lebendigkeit und Liebeskraft seines Denkens.

Wie kann er sich bei seinen ökumenischen Bemühungen nur so sehr den demokratisch zurückgebliebenen orthodoxen Kirchen annähern und die einem Christentum in Freiheit viel näher stehenden Protestanten links liegen lassen? Das war eine der Fragen, die sich mir stellten, wenn auch, offen gestanden, nicht mit Vehemenz, Ökumene ist für mich kein drängendes Problem. Dasselbe habe ich auch beim Thema Sexualität und Homosexualität gedacht. In meinem Kopf war das abgespeichert unter: We agree to disagree. Außerdem, so dachte ich, steht das Verhältnis des Papstes zur Sexualität nicht im Zentrum seiner Botschaft, also sollte es auch nicht im Zentrum meines Verhältnisses zu ihm stehen.

So war das bis Januar 2010, als, von Berlin ausgehend, Abertausende von sexuellen Missbrauchsfällen in katholischen Institutionen bekannt wurden, einschließlich ihrer kirchlichen Vertuschung.

Auf der folgenden Seite erklärt Bernd Ulrich, was ihn konkret an der päpstlichen Sexualmoral stört.

Der Papst sagte, dass das alles auch etwas mit der Kirche zu tun habe. Ja, da hat er recht, aber was?! Die Sexualmoral, die von der Kirche, die nicht zuletzt vom Papst vertreten wird, ist heillos. Sie macht den Weg des Erlaubten so schmal, dass ihn kaum jemand gehen kann, sie schafft andersherum eine so große Landschaft des Verbotenen, dass man sich darin leicht verirren kann. Doch bezieht sich dieser Einwand lediglich auf die mangelhafte Praktikabilität der Papst-Moral, entscheidend ist jedoch, dass sie in ihrem Kern ethisch falsch ist.

Wie kann man Menschen, die ihre Homosexualität in sich vorfinden, zwingen wollen, lebenslang enthaltsam zu sein, weil diese Sexualität von Übel sei? Wie kann man für etwas bestraft werden, das einem von der Natur oder von Gott gegeben ist? Wie kann man Menschen, die sich lieben und füreinander einstehen und die schon vier Kinder haben, verbieten, Kondome zu benutzen, weil weitere Kinder über ihre seelische oder körperliche Kraft gingen? Nein, Sexualität steht nicht im Zentrum der christlichen Botschaft. Aber sie kann sie, falsch verstanden, doch verderben.

Und wie kann man Eheleuten, die sich scheiden lassen, lebenslänglich die Heilige Kommunion verweigern. Wie denkt sich das eine so strafende Kirche denn? Haben die Menschen die volle Macht über ihre eigene Liebe, können sie ihr befehlen, ewig zu dauern? Oder wird erwartet, dass sie ohne Liebe zusammenbleiben? Keine Frage, es gibt Menschen, die den anderen aus leichtfertigen oder egoistischen Motiven verlassen, auch im Stich lassen. Aber wie kann eine barmherzige Kirche durchweg alle Geschiedenen so behandeln, als wären sie bloß leichtfertig, wie kann sie so tun, als gäbe es nicht auch die anderen, die, denen die Liebe zerbrochen ist und die daran leiden?

Der Papst hat zu diesen Fragen viel geschrieben, doch ist die zugrundeliegende Wahrheit leider banal: Die katholische Sexualmoral ist nicht von der Liebe her, sie ist von der Vermehrung her gedacht, sie entstammt nicht dem Geist Jesu Christi, sondern dem Geist der damals herrschenden Stammesgesellschaften. Das wird der Papst anders sehen, niemand kann von ihm verlangen, dass er, ausgerechnet er, die katholische Sexualmoral vom Kopf auf die Füße stellt. Doch dass er selbst nach den Abertausenden Fällen von Missbrauch nicht erkennbar ins Nachdenken gekommen ist, das eben schmerzt mich sehr. Der Papst ist in Berlin, und ich gehe nicht hin, denn wenn ich es täte, dann mit einem Groll. Und mit Groll gegen den, der zelebriert, geht man nicht in eine Messe. Aus Respekt vor ihr.

Eines muss noch gesagt werden. Die Amtskirche kann gegenüber geistlichen und weltlichen Angestellten immer noch recht autoritär sein, selten jedoch gegenüber einzelnen Gläubigen, da wird sie nolens volens immer liberaler. Es erfordert also von einfachen Katholiken nicht den geringsten Mut, den Papst öffentlich zu kritisieren. Man darf das.

Lesen Sie hier, wieso der Protestant Patrik Schwarz den Papst-Besuch gutheißt.

Quelle: Zeit Online

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