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Beten im Exil.

© Katharina Eglau

Naher Osten: Rom will gegen Christenverfolgung vorgehen

Im Nahen Osten hat das Christentum seinen Ursprung – heute werden Gläubige dort verfolgt. Rom will das nicht länger hinnehmen. Auch Muslime sehen die Flucht der Christen mit Sorge.

Familie Georgis ist vor vier Monaten nach Amman gekommen. Vater Adnan, ein Elektriker, wurde im Irak entführt und ist seither verschwunden. „Haut ab“, stand kurz danach an die Haustüre gesprüht. Jetzt wohnen Mutter Awatif und ihre drei erwachsenen Kinder in einem kleinen Mansardenzimmer im Armenbezirk Ashrafiyeh. Nachts schlafen alle unter freiem Himmel auf dem Flachdach zwischen den Satellitenschüsseln der Nachbarn. „Wir können nicht mehr“, sagt sie nur. „Wir haben nichts mehr außer unserem Glauben.“

So berichtet es Mansour Mattosha, als er an dem Haus vorübergeht. Zehn Jahre war er Seelsorger an der St.-Bihnam-Kirche in Bagdad. Heute existiert die Gemeinde nicht mehr. Seit die amerikanische Irak-Invasion 2003 die wohl brutalste Christenverfolgung der jüngeren Weltgeschichte entfesselte, werden im ganzen Land Kirchen angezündet und Klöster verwüstet, christliche Familien bedroht, Väter oder Söhne entführt, Priester ermordet. Jeden Tag habe er Taufzeugnisse ausgestellt, sagt Mansour Mattosha, für alle, die nur noch wegwollten. Inzwischen leben von den einst 1,2 Millionen Christen unter Saddam Hussein höchstens noch 300 000 im Irak. Und der Exodus geht weiter. Monat für Monat stranden Familien mit Touristenvisa in Jordanien und Syrien, tauchen in die Illegalität ab und versuchen, irgendwie weiterzukommen. Nur zurück will keiner. 60 000 Christen haben allein in der jordanischen Hauptstadt Amman Unterschlupf gefunden.

Seit einem Jahr arbeitet auch Mansour Mattosha in Amman als syrisch-katholischer Pfarrer. Fast zu jedem Haus kann der Geistliche ein Schicksal erzählen, wenn er durch die steilen Straßen von Ashrafiyeh läuft, wo seine kleine Marienkirche steht. Da ist eine Ecke weiter das frisch verheiratete Paar, dem muslimische Peiniger im Irak ihren kleinen Getränkeladen zertrümmerten und eine CD mit Morddrohungen unter der Haustür durchschoben. Einen anderen jungen Mann konnte seine Familie in letzter Sekunde für 25 000 Dollar freikaufen, nachdem man ihm mit einer Gasflasche bereits die Beine gebrochen hatte.

Aufgerüttelt durch Vertreibungen dieser Art hat die katholische Kirche zum ersten Mal in ihrer Geschichte ein großes Krisentreffen zum Schicksal ihrer orientalischen Schwesterkirchen einberufen. 150 Patriarchen und Bischöfe kommen von Sonntag an bis zum 24. Oktober zu einer Sondersynode in Rom zusammen. Als seien Gewalt und Hetze nicht schon schlimm genug, wird der Vatikan an einer empfindlichen Stelle getroffen: Im Zweistromland liegen die Wurzeln von Christentum und Judentum. Von Ur in Chaldäa, dem heutigen Südirak, machte sich Abraham der Bibel nach auf ins Gelobte Land. Aus beinahe sämtlichen Gebieten, von denen in der Bibel die Rede ist, ziehen sich die Christen zurück. Heute leben noch 17 Millionen von ihnen unter den 480 Millionen Muslimen des Nahen und Mittleren Ostens. Sie sind kleine Minderheiten – angefangen von einem Prozent im Iran und in der Türkei bis hin zu rund zehn Prozent in Ägypten.

„Die Geschichte hat uns zu einer kleinen Herde gemacht“, sagte Papst Benedikt XVI., als er vor einem Jahr zu dem Kirchentreffen einlud. Das 46-seitige vorbereitende Synodenpapier nennt die Sorgen der Gläubigen deutlich beim Namen. Ob in Ägypten, Libanon, der Türkei oder Iran, überall fühlten sie sich durch das Erstarken des „politischen Islam“ mit seinen „extremistischen Strömungen“ bedroht. Der Orient erlebe eine regelrechte „christliche Entvölkerung“, lautet das besorgte Fazit im Vatikan.

Welche Folgen das für Palästina hat, das Kernland der Bibel, spricht der Patriarch der melkitischen Katholiken, Erzbischof Lufti Laham, aus. Eines Tages werde man sich fragen, „ob Jesus wirklich hier war, wenn keine Menschen mehr vor Ort präsent sind, die an ihn glauben“. Die Mehrheit der weltweit 400 000 palästinensischen Christen lebt mittlerweile auf anderen Kontinenten. Manche Gemeinde in Kanada, Australien oder Südamerika ist heute größer als die in Jerusalem oder Bethlehem. Beispielhaft für diesen Aderlass ist die Entwicklung in Jerusalem. Vor der Staatsgründung Israels lebten hier rund 30 000 Christen unter 200 000 Einwohnern. 60 Jahre später sind unter 740 000 Bürgern noch 12 000 Christen, von denen 4000 Nicht-Palästinenser sind. Wenn dieser Trend sich fortsetze, so Laham, werde „das Heilige Land für die Christen zu einem Museum“.

Dabei zählen Melkiten, Armenier, Kopten und Syrisch-Orthodoxe zu den ältesten Kirchen überhaupt, zusammen mit den Chaldäern. Mehr als tausend Jahre tiefe historische Wurzeln haben auch Maroniten, Griechisch-Orthodoxe und Äthiopier. „Wir arabische Christen sind hier genauso zu Hause wie die Muslime – und haben mit ihnen eine reiche gemeinsame Kultur“, sagt Selim Sayegh, Weihbischof im Lateinischen Patriarchat in Jerusalem und seit über 50 Jahren Priester. Er wird ebenfalls zur Synode nach Rom reisen. Und er weiß davon zu berichten, dass islamische Radikale die einheimischen Christen immer aggressiver als fünfte Kolonne des Westens denunzierten. „Sie tun so, als wenn wir Mitschuld trügen an den Problemen, die die Vereinigten Staaten und Europa in der Region verursacht haben.“ Der 75-Jährige pendelt zwischen Jerusalem und Amman, sein Empfangszimmer schmückt eine spezielle Dreifaltigkeit aus der heiligen Maria, dem Papst und dem jordanischen Monarchen.

Auch muslimische Intellektuelle sehen den Exodus mit Sorge. „Je weniger Christen es gibt, desto stärker wird der islamische Fundamentalismus“, prognostiziert Mohammed Sammak, politischer Berater des Großmuftis im Libanon. „Wenn die Christen eines Tages nicht mehr da sind“, sagt er mit Blick auf den Libanon, „ist das, als ziehe man aus einem Tuch Fäden heraus – am Ende zerfällt das gesamte soziale Gewebe.“ Seit dem Krieg im Sommer 2006 haben 70 000 Christen den Zedernstaat verlassen. Einer Umfrage zufolge gehen die meisten wegen der schiitischen Hisbollah.

Um das Schrumpfen der Gemeinden in den Ursprungsregionen des Christentums einzudämmen, versuchen vor allem die katholische und protestantische Kirche, die Menschen durch soziale Projekte zu halten: Günstige Wohnungen sollen Familien zum Bleiben bewegen, Schulen und Ausbildungsprogramme jungen Leuten eine neue Perspektive geben. „Wir dürfen uns nicht in die Opferrolle zurückziehen“, sagt Bernard Sabella, Soziologe an der Universität von Bethlehem und der wohl beste Kenner der christlichen Auswanderungsströme.

Wie die unter Druck geratenen Gemeinden sich stärken könnten, dafür hat Wael Suleiman, der erst 36-jährige Caritas-Direktor von Jordanien, einen einfachen Rat. Auch er appelliert an die lokalen Kirchen, weniger nach Europa oder Amerika zu schielen und mehr auf die eigene Kraft zu bauen. In Jordanien hätten Christen einen Anteil von 3,5 Prozent an der Bevölkerung, besäßen aber ein Drittel der wirtschaftlichen Macht, besonders im Bankengeschäft und im Autohandel. „Wir sollten das Gleichnis vom barmherzigen Samariter nicht nur predigen, sondern auch leben“, sagt er. Das gelte auch für das Verhältnis der jordanischen Christen zu den irakischen Flüchtlingen.

Was Wael Suleiman meint, lässt sich an der chaldäischen Notgemeinde in Ammans Stadtteil Lweibdeh ablesen. Rund 150 Menschen, Alt und Jung, Groß und Klein, haben sich am Sonntagabend zum Gebet versammelt. Die Gesichter sind ernst, erschöpft und in sich gekehrt. Ihre aramäischen Gesänge in der Sprache Jesu ähneln der Liturgie in jüdischen Synagogen mehr als den wortreichen Gottesdiensten im Westen. Als Kirchenraum dient das mit der Garage zusammengelegte Wohnzimmer einer Parterrewohnung, man sitzt auf billigen Plastikstühlen. Hinter dem Altar lugt noch der offene Kamin aus rötlichem Marmor hervor. Am schwarzen Brett neben dem Eingang hängt ein Drohbrief von Al Qaida, den jemand aus Bagdad mitgebracht hat.

„Wir gehören zu den ältesten christlichen Gemeinden überhaupt – und heute werden wir als ,Verwandte der Amerikaner’ beschimpft“, sagt Pfarrer Raymund Moussalli, der, wie sein Name besagt, aus Mossul stammt. Der chaldäische Priester hat in Syrien und Rom studiert hat, kümmert sich seit sieben Jahren in Jordanien um die Flüchtlinge aus dem Zweistromland. 5000 Menschen gehören zu seiner provisorischen Gemeinde. „Sie haben ihr Leben gerettet. Aber was für ein Leben?“ Fast keiner kann zurück, und die meisten können nicht weiter. Und so fristen sie ihr Dasein in der Fremde, illegal, untergetaucht, bei Verwandten oder irgendwo unterm Dach.

An die Krisensynode in Rom hat man hier im jordanischen Exil eine einzige Erwartung: „Wir wünschen uns, dass die Kirche in Europa zu unserem Schicksal nicht schweigt. Wir wünschen uns, dass sie kräftig ihre Stimme erhebt und uns hilft, wieder in unser Leben zurückzufinden“, sagt Moussalli.

Zweimal die Woche besucht sein Kollege Mansour Mattosha die Kranken im nahe gelegenen Rote-Halbmond-Hospital. Dessen dritte Etage ist voll belegt mit irakischen Terroropfern. Die 25-jährige Wafa Kassab stammt aus dem Christenstädtchen Karakosh nahe Mossul. Sie kam mit ihrer Schwester gerade aus der Universität, als ein Terrorist eine Bombe in den Bus warf. Jetzt liegt sie mit zerschmetterten Füßen in Amman, weil man ihr in Mossul nicht mehr helfen konnte. Das Leben im Irak sei unerträglich geworden, sagt sie. Trotzdem sehnt sie sich zurück, „wenn ich irgendwann mal wieder laufen kann“.

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