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Globale Bewegung: Die Nacktivisten

Sie kämpfen gegen Zensur, Walfang, Klimawandel, Anwendung der Scharia – um nur ein paar Beispiele zu nennen. Und ihre Waffe ist die bloße Haut. Renaissance einer globalen Protestform.

Er fand die Sicherheitskontrolle zu streng. Also zog er sich aus. Vor den Augen der Polizei am Flughafen Portland ließ John E. Brennan erst sein Hemd, dann die Stoffhose, Boxershorts und Socken zu Boden fallen. Nur die Brille behielt er auf. Nach zwei Minuten wurde der 50-Jährige abgeführt. Das Entblößen von Genitalien ist im US-Bundesstaat Oregon verboten, sobald Menschen des anderen Geschlechts zugucken.

John E. Brennan ist Teil einer internationalen Bewegung. Vier Jahrzehnte nach dem berühmten Foto der Berliner Kommune 1 erlebt die Protestform Blankziehen eine erstaunliche Renaissance. In den vergangenen zwölf Monaten wurde sich weltweit unter anderem gegen folgende Missstände ausgezogen: Walfang, Studiengebühren, Machismus, die Macht der Banken, Prostitution, Prostitutionsverbot, Klimawandel, Imperialismus, Pelzzucht, Gefährdung von Radfahrern im Straßenverkehr, Abhängigkeit der Weltwirtschaft von der Ölindustrie, Diskriminierung Andersdenkender und sexueller Minderheiten, Fleischkonsum. Aber auch gegen: niedrige Löhne, Kunstzensur, Stierkämpfe, Anwendung der Scharia, Tiere im Zirkus, Pressezensur, Repressionen gegen Wikileaks, Polizeigewalt, Urheberrechtsverletzungen bei E-Books. Aber auch gegen: Globalisierung, häusliche Gewalt, illegalen Organhandel, Wladimir Putin, Freihandelsabkommen, religiöse Fanatiker, Gentrifizierung und Ausziehverbote. In Berlin gab es Proteste gegen die Bankenkrise, die Ausbeutung der Arbeiterklasse und die Filmauswahl der Berlinale.

Inna Shevchenko von der feministischen Nacktprotestgruppe „Femen“ fasst die Vorteile so zusammen: geringer Aufwand, maximale Wirkung. Weil Haut mehr Fotografen und Fernsehteams anlocke als jedes noch so aufwendig gestaltete Plakat. Die mediale Aufmerksamkeit wiederum sei nicht nur nötig, um die Botschaft zu vermitteln, sondern erfülle zumindest in repressiven Staaten auch eine Schutzfunktion. Anders als oft behauptet sind nicht etwa John Lennon und Yoko Ono die Pioniere des politisch motivierten Strips – die zwei entblößten sich 1968 lediglich für ein Plattencover. Beim friedenspolitischen "Bed In" 1969 in Amsterdam dagegen trugen sie Kleidung.

Die wahre Premiere fand deutlich früher statt: Im 11. Jahrhundert soll die Adlige Lady Godiva nackt durch die Straßen Coventrys geritten sein, um ihren Mann zum Steuernsenken zu bewegen. Historisch belegt ist das nicht. John E. Brennan, der Nackte von Portland, klebte sich bei seiner Gerichtsverhandlung trotzdem einen Sticker mit der Aufschrift „Sir Godiva“ ans Hemd. Der Richter sprach ihn frei. Meinungsfreiheit habe Vorrang vor dem ästhetischen Empfinden der übrigen Passagiere, hieß es.

Die Nacktivisten in Bildern:

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