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Publikum von morgen

© dpa

Glosse: Frischer Schnee

Alle Theater-, Opern- und Konzerthausintendanten träumen davon, dass junges Publikum ihre Säle füllt. Dabei gibt es gute Gründe, warum das Publikum dort eher alt aussieht.

Ein Entsetzen geht durch die bildungsbürgerlichen Wohnzimmer der Bundesrepublik: Von den rund 8,79 Millionen Zuschauern der „Tagesschau“ sind nur 280 000 unter 29 Jahren alt! Die Jugend glotzt 136 Minuten TV täglich – aber lieber Shows, Dschungelcamps und Society-Magazine als seriöse Nachrichten. Das erinnert an die Kassandrarufe der Statistiker vom angeblich aussterbenden Klassikpublikum. Als sie jüngst vom Rang eines Opernhauses auf die Häupter der Parkettbesucher herabschaute, erzählt passend dazu Karla Knyh vom AvantgardeKünstlerkollektiv HGich.T im Pop-Magazin „Intro“, habe es dort ausgesehen, als sei frischer, weißer Schnee gefallen.

Normalerweise fällt den Verantwortlichen in den Medien wie den schönen Künsten zu solchen News vor allem eines ein: dass man die jungen Leute dort abholen müsse, wo sie stehen. Auf das Desinteresse der Teens und Twens an tiefschürfendem Journalismus wollen ARD und ZDF mit einem Jugendkanal reagieren, an den staatlichen Bühnen werden ständig vermeintlich coole Crossover-Projekte angeschoben wie jetzt an der Deutschen Oper Berlin, wo sich im März Video, Elektrobeats und Streetdance mit Wagners „Ring des Nibelungen“ treffen sollen. Voll krass, Alter!

Aber ist es wirklich die beste Methode, Kids und Teens für sich zu gewinnen, indem man vorgibt, ihre Sprache zu sprechen? Viel klüger ist es doch, wenn sich Institutionen nicht verbiegen, sondern gerade ihre uniqueness, ihre Besonderheit betonen. Mag dies auf den ersten Blick auch anstrengend wirken, im Fall der „Tagesschau“ genauso wie bei Musiktheater und Sinfonik. Jedes Lebensalter hat seine Kultur, und viele kommen eben erst nach der Pubertät darauf, dass sich Konzentration lohnen kann – weil man die Welt da draußen dann besser versteht.

Wenn 80 Musiker auf dem Podium sitzen, allesamt hochprofessionelle Handwerksmeister, und für eine exklusive Gemeinde von Zuhörern spielen, wenn 100 Mitwirkende vor und hinter der Bühne ein Gesamtkunstwerk erschaffen, dann ist das ein erhebendes Erlebnis, dessen Genuss vielleicht ein gewisse Lebensreife voraussetzt. Viele Leute, so hat es der Unterhaltungsunternehmer Peter Schwenkow beobachtet, werden auch darum in der Mitte ihres Lebens zu Käufern von Klassiktickets, weil sie keine Lust mehr haben, bei Rockkonzerten den ganzen Abend lang zu stehen, weil ihnen die Musik zu laut, das Publikum zu jung ist. Diesen alten Neukunden sollten die Institutionen das Gefühl vermitteln, herzlich willkommen zu sein. Weil sie sich freiwillig öffnen für andere, ungewohnte Klänge.

Für all jene, die gern mit den Idolen ihrer Jugend weiterleben, gibt es die OldStar-Konzerte – und Radiosender, die nur „das Beste aus den XXigern“ spielen.

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